Zweite Szene

[677] Der Wald.


Orlando kommt mit einem Blatt Papier.


ORLANDO.

Da häng', mein Vers, der Liebe zum Beweis!

Und du, o Königin der Nacht dort oben!

Sieh keuschen Blicks, aus deinem blassen Kreis,

Den Namen deiner Jäg'rin hier erhoben!

O Rosalinde! sei der Wald mir Schrift,

Ich grabe mein Gemüt in alle Rinden,

Daß jedes Aug', das diese Bäume trifft,

Ringsum bezeugt mag deine Tugend finden.

Auf, auf, Orlando! rühme spät und früh

Die schöne, keusche, unnennbare Sie!


Ab.


Corinnus und Probstein treten auf.


CORINNUS. Und wie gefällt Euch dies Schäferleben, Meister Probstein?

PROBSTEIN. Wahrhaftig, Schäfer, an und für sich betrachtet, ist es ein gutes Leben; aber in Betracht, daß es ein Schäferleben ist, taugt es nichts. In Betracht, daß es einsam ist, mag ich es wohl leiden, aber in Betracht, daß es stille ist, ist es ein sehr erbärmliches Leben. Ferner, in Betracht, daß es auf dem Lande ist, steht es mir an; aber in Betracht, daß es nicht am Hofe ist, wird es langweilig. Insofern es ein mäßiges Leben ist, seht Ihr, ist es nach meinem Sinn; aber insofern es nicht reichlicher dabei zugeht, streitet es sehr gegen meine Neigung. Verstehst Philosophie, Schäfer?

CORINNUS. Mehr nicht, als daß ich weiß, daß einer sich desto schlimmer befindet, je kränker er ist, und wem's an Geld, Gut und Genügen gebricht, daß dem drei gute Freunde fehlen; daß des Regens Eigenschaft ist zu nässen, und des Feuers zu brennen; daß gute Weide fette Schafe macht, und die Nacht hauptsächlich vom Mangel an Sonne kommt; daß einer, der weder durch Natur noch Kunst zu Verstand gekommen wäre, sich über die Erziehung zu beklagen hätte, oder aus einer sehr dummen Sippschaft sein müßte.[677]

PROBSTEIN. So einer ist ein natürlicher Philosoph. Warst je am Hofe, Schäfer?

CORINNUS. Nein, wahrhaftig nicht.

PROBSTEIN. So wirst du in der Hölle gebraten.

CORINNUS. Ei, ich hoffe –

PROBSTEIN. Wahrhaftig, du wirst gebraten, wie ein schlecht geröstet Ei, nur an einer Seite.

CORINNUS. Weil ich nicht am Hofe gewesen bin? Euren Grund!

PROBSTEIN. Nun, wenn du nicht am Hofe gewesen bist, so hast du niemals gute Sitten gesehn. Wenn du niemals gute Sitten gesehn hast, so müssen deine schlecht sein, und alles Schlechte ist Sünde, und Sünde führt in die Hölle. Du bist in einem verfänglichen Zustande, Schäfer.

CORINNUS. Ganz und gar nicht, Probstein. Was bei Hofe gute Sitten sind, die sind so lächerlich auf dem Lande, als ländliche Weise bei Hofe zum Spott dient. Ihr sagtet mir, bei Hofe verbeugt Ihr Euch nicht, sondern küßt Eure Hand. Das wäre eine sehr unreinliche Höflichkeit, wenn Hofleute Schäfer wären.

PROBSTEIN. Den Beweis, kürzlich, den Beweis!

CORINNUS. Nun, wir müssen unsre Schafe immer angreifen, und ihre Felle sind fettig, wie Ihr wißt.

PROBSTEIN. Schwitzen die Hände unsrer Hofleute etwa nicht, und ist das Fett von einem Schafe nicht so gesund, wie der Schweiß von einem Menschen? Einfältig! einfältig! Einen besseren Beweis! Her damit!

CORINNUS. Auch sind unsre Hände hart.

PROBSTEIN. Eure Lippen werden sie desto eher fühlen. Wiederum einfältig! Einen tüchtigeren Beweis!

CORINNUS. Und sind oft ganz beteert vom Bepflastern unsrer Schafe. Wollt Ihr, daß wir Teer küssen sollen? Die Hände der Hofleute riechen nach Bisam.

PROBSTEIN. Höchst einfältiger Mensch! Du wahre Würmerspeise gegen ein gutes Stück Fleisch! Lerne von den Weisen und erwäge! Bisam ist von schlechterer Abkunft als Teer, der unsaubre Abgang einer Katze. Einen bessern Beweis, Schäfer![678]

CORINNUS. Ihr habt einen zu höfischen Witz für mich; ich lasse es dabei bewenden.

PROBSTEIN. Was? bei der Hölle? Gott helfe dir, einfältiger Mensch! Gott eröffne dir das Verständnis! Du bist ein Strohkopf.

CORINNUS. Herr, ich bin ein ehrlicher Tagelöhner; ich verdiene, was ich esse, erwerbe, was ich trage, hasse keinen Menschen, beneide niemandes Glück, freue mich über andrer Leute Wohlergehn, bin zufrieden mit meinem Ungemach, und mein größter Stolz ist, meine Schafe weiden und meine Lämmer saugen zu sehn.

PROBSTEIN. Das ist wieder eine einfältige Sünde von Euch, daß Ihr die Schafe und Böcke zusammen bringt, und Euch nicht schämt, von der Begattung des Viehes Euren Unterhalt zu ziehn; daß Ihr den Kuppler für einen Leithammel macht, und so ein jähriges Lamm einem schiefbeinigen alten Hahnrei von Widder überantwortet, gegen alle Regeln des Ehestandes. Wenn du dafür nicht in die Hölle kommst, so will der Teufel selbst keine Schäfer: sonst sehe ich nicht, wie du entwischen könntest.

CORINNUS. Hier kommt der junge Herr Ganymed, meiner neuen Herrschaft Bruder.


Rosalinde kommt mit einem Blatt Papier.


ROSALINDE liest.

»Von dem Ost bis zu den Inden

Ist kein Juwel gleich Rosalinden.

Ihr Wert, beflügelt von den Winden,

Trägt durch die Welt hin Rosalinden.

Alle Schilderei'n erblinden

Bei dem Glanz von Rosalinden.

Keinen Reiz soll man verkünden

Als den Reiz von Rosalinden.«

PROBSTEIN. So will ich Euch acht Jahre hinter einander reimen, Essens- und Schlafenszeit ausgenommen; es ist der wahre Butterfrauentrab, wenn sie zu Markte gehn.

ROSALINDE. Fort mit dir, Narr!

PROBSTEIN. Zur Probe:[679]

Sehnt der Hirsch sich nach den Hinden:

Laßt ihn suchen Rosalinden.

Will die Katze sich verbinden:

Glaubt, sie macht's gleich Rosalinden.

Reben müssen Bäum' umwinden:

So tut's nötig Rosalinden.

Wer da mäht, muß Garben binden:

Auf den Karrn mit Rosalinden.

Süße Nuß hat saure Rinden;

Solche Nuß gleicht Rosalinden.

Wer süße Rosen sucht, muß finden

Der Liebe Dorn und Rosalinden.

Das ist der eigentliche falsche Versgalopp. Warum behängt Ihr Euch mit ihnen?

ROSALINDE. Still, dummer Narr! Ich fand sie an einem Baum.

PROBSTEIN. Wahrhaftig, der Baum trägt schlechte Früchte.

ROSALINDE. Ich will Euch auf ihn impfen, und dann wird er Mispeln tragen: denn Eure Einfälle verfaulen, ehe sie halb reif sind, und das ist eben die rechte Tugend einer Mispel.

PROBSTEIN. Ihr habt gesprochen, aber ob gescheit oder nicht, das mag der Wald richten.


Celia kommt mit einem Blatt Papier.


ROSALINDE. Still! hier kommt meine Schwester und liest: gehn wir beiseit!

CELIA.

»Sollten schweigen diese Räume,

Weil sie unbevölkert? Nein,

Zungen häng' ich an die Bäume,

Daß sie reden Sprüche fein:

Bald, wie rasch das Menschenleben

Seine Pilgerfahrt durchläuft;

Wie die Zeit, ihm zugegeben,

Eine Spanne ganz begreift.

Bald, wie Schwüre falsch sich zeigen,

Wie sich Freund vom Freunde trennt.

Aber an den schönsten Zweigen,

Und an jedes Spruches End'

Soll man Rosalinde lesen,[680]

Und verbreiten soll der Ruf,

Daß der Himmel aller Wesen

Höchsten Ausbund in ihr schuf.

Drum hieß die Natur sein Wille

Eine menschliche Gestalt

Zieren mit der Gaben Fülle,

Die Natur mischt' alsobald

Helenens Wange, nicht ihr Herz;

Kleopatrens Herrlichkeit;

Atalantens leichten Scherz

Und Lukreziens Sittsamkeit.

So ward durch einen Himmelsbund

Aus vielen Rosalind' ersonnen,

Aus manchem Herzen, Aug' und Mund,

Auf daß sie jeden Reiz gewonnen.

Der Himmel gab ihr dieses Recht,

Und tot und lebend mich zum Knecht.«

ROSALINDE. O gütiger Jupiter! – Mit welcher langweiligen Liebespredigt habt Ihr da Eure Gemeinde müde gemacht, und nicht einmal gerufen: »Geduld, gute Leute!«

CELIA. Seht doch, Freunde hinterm Rücken? – Schäfer, geh ein wenig abseits! – Geh mit ihm, Bursch!

PROBSTEIN. Kommt, Schäfer, laßt uns einen ehrenvollen Rückzug machen, wenn gleich nicht mit Sang und Klang, doch mit Sack und Pack.


Corinnus und Probstein ab.


CELIA. Hast du diese Verse gehört?

ROSALINDE. O ja, ich hörte sie alle und noch was drüber: denn einige hatten mehr Füße, als die Verse tragen konnten.

CELIA. Das tut nichts: die Füße konnten die Verse tragen.

ROSALINDE. Ja, aber die Füße waren lahm und konnten sich nicht außerhalb des Verses bewegen, und darum standen sie so lahm im Verse.

CELIA. Aber hast du gehört, ohne dich zu wundern, daß dein Name an den Bäumen hängt und eingeschnitten ist?

ROSALINDE. Ich war schon sieben Tage in der Woche über alles Wundern hinaus: ehe du kamst: denn sieh nur, was ich an[681] einem Palmbaum fand. Ich bin nicht so bereimt worden seit Pythagoras' Zeiten, wo ich eine Ratte war, die sie mit schlechten Versen vergaben, was ich mir kaum noch erinnern kann.

CELIA. Rätst du, wer es getan hat?

ROSALINDE. Ist es ein Mann?

CELIA. Mit einer Kette um den Hals, die du sonst getragen hast. Veränderst du die Farbe?

ROSALINDE. Ich bitte dich, wer?

CELIA. O Himmel! Himmel! Es ist ein schweres Ding für Freunde, sich wieder anzutreffen, aber Berg und Tal kommen im Erdbeben zusammen.

ROSALINDE. Nein, sag, wer ist's?

CELIA. Ist es möglich?

ROSALINDE. Ich bitte dich jetzt mit der allerdringendsten Inständigkeit, sag mir, wer es ist.

CELIA. Oh, wunderbar, wunderbar, und höchst wunderbarlich wunderbar, und nochmals wunderbar, und über alle Wunderweg!

ROSALINDE. O du liebe Ungeduld! Denkst du, weil ich wie ein Mann ausstaffiert bin, daß auch meine Gemütsart in Wams und Hosen ist? Ein Zollbreit mehr Aufschub ist eine Südsee weit von der Entdeckung. Ich bitte dich, sag mir, wer ist es? Geschwind, und sprich hurtig! Ich wollte, du könntest stottern, daß dir dieser verborgne Mann aus dem Munde käme, wie Wein aus einer enghalsigen Flasche, entweder zu viel auf einmal oder gar nichts. Ich bitte dich, nimm den Kork aus deinem Munde, damit ich deine Zeitungen trinken kann.

CELIA. Da könntest du einen Mann mit in den Leib bekommen.

ROSALINDE. Ist er von Gottes Machwerk? Was für eine Art von Mann? Ist sein Kopf einen Hut wert oder sein Kinn einen Bart?

CELIA. Nein, er hat nur wenig Bart.

ROSALINDE. Nun, Gott wird mehr bescheren, wenn der Mensch recht dankbar ist: ich will den Wuchs von seinem Bart schon abwarten, wenn du mir nur die Kenntnis von seinem Kinn nicht länger vorenthältst.[682]

CELIA. Es ist der junge Orlando, der den Ringer und dein Herz in einem Augenblick zum Falle brachte.

ROSALINDE. Nein, der Teufel hole das Spaßen! Sag auf dein ehrlich Gesicht und Mädchentreue!

CELIA. Auf mein Wort, Muhme, er ist es.

ROSALINDE. Orlando?

CELIA. Orlando.

ROSALINDE. Ach liebe Zeit! Was fange ich nun mit meinem Wams und Hosen an? – Was tat er, wie du ihn sahst? Was sagte er? Wie sah er aus? Wie trug er sich? Was macht er hier? Frug er nach mir? Wo bleibt er? Wie schied er von dir, und wann wirst du ihn wiedersehn? Antworte mir mit einem Wort!

CELIA. Da mußt du mir erst Gargantuas Mund leihen: es wäre ein zu großes Wort für irgendeinen Mund, wie sie heutzutage sind. Ja und nein auf diese Artikel zu sagen, ist mehr, als in einer Kinderlehre antworten.

ROSALINDE. Aber weiß er, daß ich in diesem Lande bin, und in Mannskleidern? Sieht er so munter aus, wie an dem Tage, wo wir ihn ringen sahn?

CELIA. Es ist ebenso leicht, Sonnenstäubchen zu zählen, als die Aufgaben eines Verliebten zu lösen. Doch nimm ein Pröbchen von meiner Entdeckung, und koste es recht aufmerksam! – Ich fand ihn unter einem Baum, wie eine abgefallne Eichel.

ROSALINDE. Der mag wohl Jupiters Baum heißen, wenn er solche Früchte fallen läßt.

CELIA. Verleiht mir Gehör, wertes Fräulein!

ROSALINDE. Fahret fort!

CELIA. Da lag er, hingestreckt wie ein verwundeter Ritter.

ROSALINDE. Wenn es gleich ein Jammer ist, solch einen Anblick zu sehn, so muß er sich doch gut ausgenommen haben.

CELIA. Ruf' deiner Zunge »holla« zu, ich bitte dich: sie macht zur Unzeit Sprünge. Er war wie ein Jäger gekleidet.

ROSALINDE. O Vorbedeutung! Er kommt, mein Herz zu erlegen.

CELIA. Ich möchte mein Lied ohne Chor singen: du bringst mich aus der Weise.[683]

ROSALINDE. Wißt Ihr nicht, daß ich ein Weib bin? Wenn ich denke, muß ich sprechen. Liebe, sag weiter!


Orlando und Jaques treten auf.


CELIA. Du bringst mich heraus. – Still! kommt er da nicht?

ROSALINDE. Er ist's! Schlüpft zur Seite, und laßt uns ihn aufs Korn nehmen!


Celia und Rosalinde verbergen sich.


JAQUES. Ich danke Euch für geleistete Gesellschaft; aber meiner Treu, ich wäre eben so gern allein gewesen.

ORLANDO. Ich auch, aber um der Sitte willen danke ich Euch gleichfalls für Eure Gesellschaft.

JAQUES. Der Himmel behüt' Euch! Laßt uns so wenig zusammen kommen wie möglich!

ORLANDO. Ich wünsche mir Eure entferntere Bekanntschaft.

JAQUES. Ich ersuche Euch, verderbt keine Bäume weiter damit, Liebeslieder in die Rinden zu schneiden.

ORLANDO. Ich ersuche Euch, verderbt meine Verse nicht weiter damit, sie erbärmlich abzulesen.

JAQUES. Rosalinde ist Eurer Liebsten Name?

ORLANDO. Wie Ihr sagt.

JAQUES. Ihr Name gefällt mir nicht.

ORLANDO. Es war nicht die Rede davon, Euch zu gefallen, wie sie getauft wurde.

JAQUES. Von welcher Statur ist sie?

ORLANDO. Grade so hoch wie mein Herz.

JAQUES. Ihr seid voll artiger Antworten. Habt Ihr Euch etwa mit Goldschmiedweibern abgegeben und solche Sprüchlein von Ringen zusammengelesen?

ORLANDO. Das nicht; aber ich antworte Euch wie die Tapetenfiguren, aus deren Munde Ihr Eure Fragen studiert habt.

JAQUES. Ihr habt einen behenden Witz, ich glaube, er ist aus Atalantens Fersen gemacht. Wollt Ihr Euch mit mir setzen, so wollen wir zusammen über unsre Gebieterin, die Welt, und unser ganzes Elend schmähen.

ORLANDO. Ich will kein lebendig Wesen in der Welt schelten als mich selber, an dem ich die meisten Fehler kenne.

JAQUES. Der ärgste Fehler, den Ihr habt, ist, verliebt zu sein.[684]

ORLANDO. Das ist ein Fehler, den ich nicht mit Eurer besten Tugend vertauschte. – Ich bin Euer müde.

JAQUES. Meiner Treu, ich suchte eben einen Narren, da ich Euch fand.

ORLANDO. Er ist in den Bach gefallen: guckt nur hinein, so werdet Ihr ihn sehn.

JAQUES. Da werde ich meine eigne Person sehen.

ORLANDO. Die ich entweder für einen Narren oder eine Null halte.

JAQUES. Ich will nicht länger bei Euch verweilen. Lebt wohl, guter Signor Amoroso!

ORLANDO. Ich freue mich über Euren Abschied. Gott befohlen, guter Monsieur Melancholie!


Jaques ab.


Celia und Rosalinde treten hervor.


ROSALINDE. Ich will wie ein naseweiser Lakei mit ihm sprechen, und ihn unter der Gestalt zum besten haben. – Hört Ihr, Jäger?

ORLANDO. Recht gut: was wollt Ihr?

ROSALINDE. Sagt mir doch, was ist die Glocke?

ORLANDO. Ihr solltet mich fragen, was ist's an der Zeit; es gibt keine Glocke im Walde.

ROSALINDE. So gibt's auch keinen rechten Liebhaber im Walde, sonst würde jede Minute ein Seufzen und jede Stunde ein Ächzenden trägen Fuß der Zeit so gut anzeigen wie eine Glocke.

ORLANDO. Und warum nicht den schnellen Fuß der Zeit? Wäre das nicht ebenso passend gewesen?

ROSALINDE. Mit nichten, mein Herr. Die Zeit reiset in verschiednem Schritt mit verschiednen Personen. Ich will Euch sagen, mit wem die Zeit den Paß geht, mit wem sie trabt, mit wem sie galoppiert, und mit wem sie still steht.

ORLANDO. Ich bitte dich, mit wem trabt sie?

ROSALINDE. Ei, sie trabt hart mit einem jungen Mädchen zwischen der Verlobung und dem Hochzeittage. Wenn auch nur acht Tage dazwischen hingehn, so ist der Trab der Zeit so hart, daß es ihr wie acht Jahre vorkommt.[685]

ORLANDO. Mit wem geht die Zeit den Paß?

ROSALINDE. Mit einem Priester, dem es an Latein gebricht, und einem reichen Manne, der das Podagra nicht hat. Denn der eine schläft ruhig, weil er nicht studieren kann, und der andre lebt lustig, weil er keinen Schmerz fühlt; den einen drückt nicht die Last dürrer und auszehrender Gelehrsamkeit, der andre kennt die Last schweren mühseligen Mangels nicht. Mit diesen geht die Zeit den Paß.

ORLANDO. Mit wem galoppiert sie?

ROSALINDE. Mit dem Diebe zum Galgen; denn ginge er auch noch so sehr Schritt vor Schritt, so denkt er doch, daß er zu früh kommt.

ORLANDO. Mit wem steht sie still?

ROSALINDE. Mit Advokaten in den Gerichtsferien; denn sie schlafen von Session zu Session, und werden also nicht gewahr, wie die Zeit fortgeht.

ORLANDO. Wo wohnt Ihr, artiger junger Mensch?

ROSALINDE. Bei dieser Schäferin, meiner Schwester; hier am Saum des Waldes, wie Fransen an einem Rock.

ORLANDO. Seid Ihr hier einheimisch?

ROSALINDE. Wie das Kaninchen, das zu wohnen pflegt, wo es zur Welt gekommen ist.

ORLANDO. Eure Aussprache ist etwas feiner, als Ihr sie an einem so abgelegnen Ort Euch hättet erwerben können.

ROSALINDE. Das haben mir schon viele gesagt; aber in der Tat, ein alter geistlicher Onkel von mir lehrte mich reden: er war in seiner Jugend ein Städter, und gar zu gut mit dem Hofmachen bekannt, denn er verliebte sich dabei. Ich habe ihn manche Predigt dagegen halten hören, und danke Gott, daß ich kein Weib bin, und keinen Teil an allen den Verkehrtheiten habe, die er ihrem ganzen Geschlecht zur Last legte.

ORLANDO. Könnt Ihr Euch nicht einiger von den vornehmsten Untugenden erinnern, die er den Weibern aufbürdete?

ROSALINDE. Es gab keine vornehmsten darunter: sie sahen sich alle gleich, wie Pfennige; jeder einzelne Fehler schien ungeheuer, bis sein Mitfehler sich neben ihn stellte.

ORLANDO. Bitte, sagt mir einige davon!

ROSALINDE. Nein, ich will meine Arzenei nicht wegwerfen, außer[686] an Kranke. Es spukt hier ein junger Mensch im Walde herum, der unsre junge Baumzucht mißbraucht, den Namen Rosalinde in die Rinden zu graben, der Oden an Weißdornen hängt, und Elegien an Brombeersträuche, alle – denkt doch! – um Rosalindens Namen zu vergöttern. Könnte ich diesen Herzenskrämer antreffen, so gäbe ich ihm einen guten Rat, denn er scheint mit dem täglichen Liebesfieber behaftet.

ORLANDO. Ich bin's, den die Liebe so schüttelt: ich bitte Euch, sagt mir Euer Mittel!

ROSALINDE. Es ist keins von meines Onkels Merkmalen an Euch zu finden. Er lehrte mich einen Verliebten erkennen; ich weiß gewiß, Ihr seid kein Gefangner in diesem Käfigt.

ORLANDO. Was waren seine Merkmale?

ROSALINDE. Eingefallne Wangen, die Ihr nicht habt; Augen mit blauen Rändern, die Ihr nicht habt; ein gleichgültiger Sinn, den Ihr nicht habt; ein verwilderter Bart, den Ihr nicht habt; – doch den erlasse ich Euch, denn, aufrichtig, was Ihr an Bart besitzet, ist eines jüngern Bruders Einkommen. – Dann sollten Eure Kniegürtel lose hängen, Eure Mütze nicht gebunden sein, Eure Ärmel aufgeknöpft, Eure Schuhe nicht zugeschnürt, und alles und jedes an Euch müßte eine nachlässige Trostlosigkeit verraten. Aber solch ein Mensch seid Ihr nicht. Ihr seid vielmehr geschniegelt in Eurem Anzuge, mehr wie einer, der in sich selbst verliebt als sonst jemands Liebhaber ist.

ORLANDO. Schöner Junge, ich wollte, ich könnte dich glauben machen, daß ich liebe.

ROSALINDE. Mich das glauben machen? Ihr könntet es ebenso gut Eure Liebste glauben machen, was sie zu tun williger ist, dafür steh' ich Euch, als zu gestehn, daß sie es tut: das ist einer von den Punkten, worin die Weiber immer ihr Gewissen Lügen strafen. Aber in ganzem Ernst, seid Ihr es, der die Verse an die Bäume hängt, in denen Rosalinde so bewundert wird?

ORLANDO. Ich schwöre dir, junger Mensch, bei Rosalindens weißer Hand: ich bin es, ich bin der Unglückliche.

ROSALINDE. Aber seid Ihr so verliebt, als Eure Reime bezeugen?[687]

ORLANDO. Weder Gereimtes noch Ungereimtes kann ausdrücken, wie sehr.

ROSALINDE. Liebe ist eine bloße Tollheit, und ich sage Euch, verdient ebenso gut eine dunkle Zelle und Peitsche als andre Tolle; und die Ursache, warum sie nicht so gezüchtigt und geheilt wird, ist, weil sich diese Mondsucht so gemein gemacht hat, daß die Zuchtmeister selbst verliebt sind. Doch kann ich sie mit gutem Rat heilen.

ORLANDO. Habt Ihr irgend wen so geheilt?

ROSALINDE. Ja, einen, und zwar auf folgende Weise. Er mußte sich einbilden, daß ich seine Liebste, seine Gebieterin wäre, und alle Tage hielt ich ihn an, um mich zu werben. Ich, der ich nur ein launenhafter Junge bin, grämte mich dann, war weibisch, veränderlich, wußte nicht, was ich wollte, stolz, phantastisch, grillenhaft, läppisch, unbeständig, bald in Tränen, bald voll Lächeln, von jeder Leidenschaft etwas, und von keiner etwas Rechtes, wie Kinder und Weiber meistenteils in diese Farben schlagen. Bald mochte ich ihn leiden, bald konnte ich ihn nicht ausstehn, dann machte ich mir mit ihm zu schaffen, dann sagte ich mich von ihm los; jetzt weinte ich um ihn, jetzt spie ich vor ihm aus: so daß ich meinen Bewerber aus einem tollen Anfall von Liebe in einen leibhaften Anfall von Tollheit versetzte, welche darin bestand, das Getümmel der Welt zu verschwören und in einem mönchischen Winkel zu leben. Und so heilte ich ihn, und auf diese Art nehme ich es über mich, Euer Herz so rein zu waschen, wie ein gesundes Schafherz, daß nicht ein Fleckchen Liebe mehr daran sein soll.

ORLANDO. Ihr würdet mich nicht heilen, junger Mensch.

ROSALINDE. Ich würde Euch heilen, wolltet Ihr mich nur Rosalinde nennen, und alle Tage in meine Hütte kommen und um mich werben.

ORLANDO. Nun, bei meiner Treue im Lieben, ich will es: sagt mir, wo sie ist.

ROSALINDE. Geht mit mir, so will ich sie Euch zeigen, und unterwegs sollt Ihr mir sagen, wo Ihr hier im Walde wohnt. Wollt Ihr kommen?

ORLANDO. Von ganzem Herzen, guter Junge.[688]

ROSALINDE. Nein, Ihr müßt mich Rosalinde nennen. – Komm, Schwester, laß uns gehn!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 677-689.
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