Zweite Szene

[749] Eine Straße.


Viola, Malvolio ihr nachgehend.


MALVOLIO. Wart Ihr nicht eben jetzt bei der Gräfin Olivia?

VIOLA. Eben jetzt, mein Herr; in einem mäßigen Schritte bin ich seitdem nur bis hieher gekommen.

MALVOLIO. Sie schickt Euch diesen Ring wieder, Herr; Ihr hättet mir die Mühe sparen können, wenn Ihr ihn selbst mitgenommen hättet. Sie fügt außerdem hinzu, Ihr solltet Euern Herrn aufs bündigste bedeuten, daß sie ihn nicht will. Noch eins: Ihr möchtet Euch niemals erdreisten, in seinen Angelegenheiten wieder zu ihr zu kommen, es wäre denn, um zu berichten, wie Euer Herr dies aufgenommen hat. So nehmt ihn hin!

VIOLA. Sie nahm den Ring von mir: ich will ihn nicht.[749]

MALVOLIO. Hört, Ihr habt ihn ihr ungestüm hingeworfen, und ihr Wille ist, ich soll ihn ebenso zurückgeben. Ist es der Mühe wert, sich darnach zu bücken, so liegt er hier vor Euern Augen; wo nicht, so nehm' ihn der erste, der ihn findet. Ab.

VIOLA.

Ich ließ ihr keinen Ring: was meint dies Fräulein?

Verhüte, daß mein Schein sie nicht betört!

Sie faßt' ins Auge mich; fürwahr so sehr,

Als ließ sie ganz die Zunge aus den Augen.

Sie sprach verwirrt in abgebrochnen Reden.

Sie liebt mich, ja! Die Schlauheit ihrer Neigung

Lädt mich durch diesen mürr'schen Boten ein.

Der Ring von meinem Herrn? – Er schickt' ihr keinen:

Ich bin der Mann. – Wenn dem so ist, so täte

Die Arme besser, einen Traum zu lieben.

Verkleidung! Du bist eine Schalkheit, seh' ich,

Worin der list'ge Feind gar mächtig ist.

Wie leicht wird's hübschen Gleisnern nicht, ihr Bild

Der Weiber weichen Herzen einzuprägen!

Nicht wir sind schuld, ach! unsre Schwäch' allein:

Wie wir gemacht sind, müssen wir ja sein.

Wie soll das gehn? Orsino liebt sie zärtlich;

Ich armes Ding bin gleich verliebt in ihn,

Und sie, Betrogne, scheint in mich vergafft.

Was soll draus werden? Wenn ich Mann bin, muß

Ich an der Liebe meines Herrn verzweifeln;

Und wenn ich Weib bin: lieber Himmel, ach!

Wie fruchtlos wird Olivia seufzen müssen!

O Zeit! du selbst entwirre dies, nicht ich:

Ein zu verschlungner Knoten ist's für mich.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 749-750.
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