Erste Szene

[50] Troja.


Es treten auf Pandarus und ein Diener; man hört Musik hinter der Szene.


PANDARUS. Freund, Ihr da, bitte Euch, nur ein Wort – folgt Ihr nicht dem jungen Herrn Paris? –

DIENER. Ja, Herr, wenn er vor mir geht.

PANDARUS. Ich meine, Ihr dient ihm?

DIENER. Ich diene dem Herrn.

PANDARUS. Dann dient Ihr einem edeln Herrn; ich kann nicht anders als ihn lobpreisen.

DIENER. Der Herr sei gepriesen!

PANDARUS. Ihr kennt mich, nicht wahr?

DIENER. Ei nun, Herr, so obenhin.

PANDARUS. Freund, lernt mich besser kennen: ich bin der Herr Pandarus.

DIENER. Ich hoffe, Eure Herrlichkeit besser kennen zu lernen.

PANDARUS. Das wünsche ich.

DIENER. So seid Ihr also im Stande der Gnade?

PANDARUS. Gnade? O nein, Freund; Hochgeboren und Gestrengen sind meine Titel. Was ist das für Musik?

DIENER. Ich kenne sie nur zum Teil: es ist Musik mit verteilten Stimmen.

PANDARUS. Kennt Ihr die Musikanten?

DIENER. Ganz und gar, Herr.

PANDARUS. Für wen spielen sie?

DIENER. Für die Zuhörer, Herr.

PANDARUS. Wem zu Gefallen?

DIENER. Mir, Herr, und allen denen, die gern Musik hören.

PANDARUS. Auf wes Geheiß trag' ich, Freund?[50]

DIENER. Ich denke, Ihr fragt auf niemands Geheiß.

PANDARUS. Freund, wir verstehn einander nicht. Ich bin zu höflich, und Ihr seid zu spitz. Auf wes Verlangen spielen diese Leute? –

DIENER. Ja, nun traft Ihr's, Herr. Nun, auf das Verlangen des Prinzen Paris, meines Herrn, welcher selbst dabei ist, und mit ihm die sterbliche Venus, das Herzblatt der Schönheit, der Liebe unsichtbare Seele –

PANDARUS. Wer? Meine Nichte Cressida?

DIENER. Nein, Herr, Helena; konntet Ihr das nicht aus ihren Ehrentiteln erraten?

PANDARUS. Ich sehe schon, lieber Freund, du kennst das Fräulein Cressida noch nicht. Ich komme, um mit Paris vom Prinzen Troilus zu sprechen; ich will eine freundliche Bestellung ihm eilend beibringen, denn mein Geschäft ist siedend.

DIENER. Ein gesottnes Geschäft! Das nenn' ich eine Phrase für die Schwitzbäder.


Es treten auf Paris und Helena mit Gefolge.


PANDARUS. Alles Schöne für Euch, mein Prinz, und für Eure schöne Umgebung! Schöne Wünsche in schönem Maß begleiten Euch schönstens! Vor allen Euch, schönste Königin! Schöne Träume seien Euer schönes Kopfkissen!

HELENA. Werter Herr, Ihr seid voll von schönen Worten.

PANDARUS. Ihr sprecht Euer schönstes Wohlgefallen aus, holde Königin. Schönster Prinz, hier ist vortreffliche fugierte Musik.

PARIS. Ihr habt sie aus den Fugen gebracht, Vetter; so wahr ich lebe, Ihr sollt sie wieder herstellen: Ihr sollt ein Stück von Eurer Komposition anstücken. Er ist ein Meister in der Harmonie, Lenchen.

PANDARUS. Ach nein, Königin!

HELENA. Oh, mein Herr. ...

PANDARUS. Rauh, bei den Göttern; ja, bei den Göttern, sehr rauh und unmelodisch.

PARIS. In den Dissonanzen; gut gesagt, Vetter!

PANDARUS. Ich habe ein Geschäft mit dem Prinzen, teure Königin. Gnädiger Herr, wollt Ihr mir ein Wort vergönnen?[51]

HELENA. Nein, damit sollt Ihr uns das Tor nicht sperren; wir müssen Euch singen hören, ganz gewiß.

PANDARUS. Ihr habt die Gnade, mit mir zu scherzen, süße Königin. Aber die Sache ist die, mein Prinz, ... mein gnädigster Prinz und höchstgeehrter Freund, Euer Bruder Troilus –

HELENA. Herr Pandarus! Mein honigsüßer Pandarus –

PANDARUS. Laßt mich, süße Königin, laßt mich;..empfiehlt sich Euch aufs inständigste –

HELENA. Ihr sollt uns nicht aus unsrer Melodie foppen; wenn Ihr's tut, so komme unsre Melancholie über Euch!

PANDARUS. Süße Königin! Das ist eine süße Königin! Nein, welche süße Königin!

HELENA. Und eine süße Königin traurig machen, ist ein bittrer Frevel.

PANDARUS. Nein, damit setzt Ihr's nicht durch, damit wahrhaftig nicht! Nein! Solche Worte machen mich nicht irre, nein! Nein! – Und, mein gnädiger Prinz, er bittet Euch, Ihr wollt seine Entschuldigung übernehmen, wenn der König bei der Abendtafel nach ihm fragt.

HELENA. Bester Pandarus –

PANDARUS. Was sagt die süße Königin? Die allersüßeste Königin?

PARIS. Was hat er denn vor? Wo speist er zu Nacht?

HELENA. Aber, bester Pandarus –

PANDARUS. Was sagt die süße Königin? Meine Nichte würde sich mit Euch erzürnen.

HELENA. Ihr dürft nicht fragen, wo er zu Nacht speist! –

PARIS. Ich setze mein Leben dran, bei meiner Herzenskaiserin Cressida.

PANDARUS. Ach nein, nichts dergleichen: nein, da irrt Ihr; Eure Herzenskaiserin ist krank.

PARIS. Gut, ich will ihn entschuldigen.

PANDARUS. Schön, mein teurer Prinz. Wie kommt Ihr auf Cressida? Nein, Eure arme Herzenskaiserin ist krank.

PARIS. Ich errate.

PANDARUS. Ihr erratet? Was erratet Ihr? Kommt, gebt mir eine Zither! Nun, süße Königin?

HELENA. So, das ist recht artig von Euch.[52]

PANDARUS. Meine Nichte ist erschrecklich verliebt in ein Ding, das Ihr habt, süße Königin.

HELENA. Sie soll's haben, wenn's nicht mein Gemahl Paris ist.

PANDARUS. Den? Nein, nach dem fragt sie nicht. Er und sie sind entzweit.

HELENA. Heut zwieträchtig, morgen einträchtig: so könnten wohl drei draus werden.

PANDARUS. Geht, geht, nichts mehr davon: ich will Euch nun mein Lied singen. –

HELENA. Ja; singt es gleich! Meiner Treu, Pandarus, Ihr habt eine hübsche Stirn.

PANDARUS. Ei, ei! –

HELENA. Singt uns ein verliebtes Lied: die Liebe wird uns noch alle verderben. O Cupido, Cupido, Cupido!

PANDARUS. Ein Liebeslied! Ja, wahrhaftig!

PARIS. Ja, von Liebe; nichts als von Liebe! –

PANDARUS. Wahrhaftig, so fängt's auch an:

O Liebe, Lieb' in jeder Stunde! –


Dein Pfeil mit Weh

Trifft Hirsch und Reh;

Doch nicht entrafft

Sie gleich der Schaft,

Er kitzelt nur die Wunde.

Verliebte schrein:

O Todespein!

Doch was so tödlich erst gedroht,

Daraus wird Jubeln und Juchhein.

Die Sterbenden sind frisch und rot;

O weh, ein Weilchen, dann ha! Ha!

O weh seufzt nur nachha! Ha! Ha!

Juchhei!

HELENA. Verliebt, wahrhaftig, bis an die Spitze seiner Nase!

PARIS. Er ißt nichts als Tauben, Liebste, und die brüten ihm heißes Blut, und heißes Blut erzeugt heiße Gedanken, und heiße Gedanken erzeugen heiße Werke, und heiße Werke sind Liebe.

PANDARUS. Ist dies die Stammtafel der Liebe? Heißes Blut,[53] heiße Gedanken und heiße Werke: das heiße ich eine heiße Abstammung. – Wer ist heut im Felde, liebster Prinz?

PARIS. Hektor, Deiphobus, Helenus, Antenor und die ganze junge Ritterschaft von Troja. Ich hätte heut auch gern die Waffen angelegt, Lenchen wollte es aber nicht zugeben. Wie kommt's, daß mein Bruder Troilus ausblieb? –

HELENA. Er läßt den Mund um etwas hängen, – Ihr wißt schon warum, Herr Pandarus.

PANDARUS. Ich weiß nichts, honigsüße Königin. Mich soll doch wundern, wie es ihnen heut gegangen ist. – Ihr denkt daran, Euern Bruder zu entschuldigen?

PARIS. Aufs pünktlichste.

PANDARUS. Lebt wohl, süße Königin!

HELENA. Empfehlt mich Eurer Nichte!

PANDARUS. Das werd' ich tun, süße Königin.


Er geht ab. Es wird zum Rückzug geblasen.


PARIS.

Sie kehren heim. Gehn wir in Priams Halle,

Sie zu begrüßen; und du, süßes Weib,

Hilf Hektorn sich entpanzern. Fühlt sein Harnisch

Den Zauber deiner weißen Hand, gehorcht er

Weit williger als scharfem Stahl, gezückt

Von griech'scher Kraft; und dir gelingt, was nicht

Dem Bundesheer: Held Hektorn zu entwaffnen.

HELENA.

Es soll mein Stolz sein, ihm zu dienen, Paris.

Das, was wir ihm als schuld'ge Pflicht geweiht,

Wird unsrer Schönheit Palme noch erhöhn;

Ja, überstrahlt uns selbst.

PARIS.

Du Süße! Über alles lieb' ich dich!


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 50-54.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Troilus und Cressida
Troilus and Cressida
Troilus und Cressida: Zweisprachige Ausgabe
Troilus and Cressida. Troilus und Cressida
Troilus und Cressida

Buchempfehlung

Wette, Adelheid

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon