Erste Scene

[29] (Athen. Ein Garten; im Hintergrunde eine Burg.)


Der Kerkermeister und der Freier seiner Tochter treten auf.


KERKERMEISTER. Bei meinen Lebzeiten kann ich nur wenig geben; etwas vielleicht, aber viel nicht. In das Gefängniß, dem ich vorstehe, schwimmt selten ein fetter Fisch herein, obschon es eigentlich nur für solche bestimmt ist. Fünfzig Gründlinge für einen Lachs. Man hält mich für reicher, als ich in der That bin. Ich wollte, ich wäre, wofür man mich hält. Doch alles, was ich habe (soviel es nun ist), soll meine Tochter nach meinem Tode bekommen.

FREIER. Mehr verlange ich nicht. Dagegen sichere ich ihr alles das zu, was ich versprochen habe.

KERKERMEISTER. Nun gut. Nach dem Feste wollen wir weiter darüber reden. Aber habt Ihr auch ihre Zusage? Wenn das der Fall ist, so soll es an meiner Einwilligung nicht fehlen.

FREIER. Die habe ich, Herr; da kommt sie selbst.

KERKERMEISTER. Dein Freund und ich sprachen hier eben von dir und der bewußten Angelegenheit. Aber jetzt nichts weiter davon. Wenn der Spectakel hier bei Hofe vorbei sein wird, wollen wir die Sache zu Ende bringen. Unterdessen laß dir die beiden Gefangenen angelegen sein. Ich kann dir sagen, es sind Prinzen.[29]

TOCHTER. Dies Streuwerk ist für ihr Zimmer. Es ist wahrlich recht traurig, daß sie im Gefängniß sind; aber noch mehr sollte es mir leidthun, wenn sie nicht drin wären. Ich glaube, sie besitzen solch eine Geduld, daß sie alles ruhig ertragen würden; das Gefängniß kann stolz darauf sein. Sie wiegen die ganze Welt auf.

KERKERMEISTER. Ja, man sagt, sie wären ein paar ganz ungewöhnliche Leute.

TOCHTER. O, glaubt mir, das Gerücht stammelt nur ihren Ruhm. Sie stehen weit über allem, was man von ihnen sagt.

KERKERMEISTER. Ich hörte, so tapfer wie sie hätte keiner in der Schlacht gekämpft.

TOCHTER. Das traue ich ihnen zu; darum leiden sie auch so tapfer. Ich hätt' sie erst als Sieger sehen mögen, da sie es so gut verstehen, sich selbst in der Gefangenschaft wie Freie zu betragen, über ihr Unglück zu scherzen und alle Traurigkeit hinwegzuspotten.

KERKERMEISTER. Thun sie das?

TOCHTER. Mir scheint, sie kümmern sich um ihre Gefangenschaft gerade so viel, wie ich mich um die Herrschaft Athens, – haben guten Appetit, sehen ganz vergnügt aus und sprechen von allem Möglichen, außer von ihrer unglücklichen Lage. Manchmal nur stößt einer von ihnen einen halbunterdrückten Seufzer aus, was der andere ihm dann so sanft verweist, daß man wünschen möchte, selbst so ein Seufzer zu sein, um so verwiesen, oder noch besser, solch ein Seufzender, um so getröstet zu werden.

FREIER. Ich habe sie noch nicht gesehen.

KERKERMEISTER. Der Herzog kam ganz heimlich in der Nacht an und sie auch. Ich weiß nicht, was das bedeuten mag.


(Man sieht Palämon und Arcites oben am Fenster der Burg.)


Sieh, da sind sie; der sich umschaut ist Arcites.

TOCHTER. Nein, Vater, das ist Palämon; der kleinere ist Arcites. Ihr könnt ihn nur halb sehen.

KERKERMEISTER. Zeige doch nicht mit der Hand auf sie; sie wollen gewiß nicht gesehen sein. Kommt weg von hier!

TOCHTER. Solch ein Anblick ist ein wahrer Genuß. Gott! Wie die Menschen doch verschieden sind. (Sie gehen ab.)[30]


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 29-31.
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