Erste Szene

[200] Rochester. Ein Hof in der Herberge.


Ein Kärrner kommt gähnend mit einer Laterne in der Hand.


KÄRRNER. Ohe! Wenn's nicht schon um viere ist, will ich mich hängen lassen. Der Wagen da droben steht schon über dem neuen Schornstein, und unser Pferd ist noch nicht bepackt. He, Stallknecht!

STALLKNECHT drinnen. Gleich! Gleich!

KÄRRNER. Hörst du, Thoms, schlag' mir Hansens Sattel zurecht, steck' ein bißchen Werg unter den Knopf! Das arme Vieh hat sich am Widerrist gedruckt wie nichts Gutes.


Ein anderer Kärrner kommt.


ZWEITER KÄRRNER. Erbsen und Bohnen sind hier so mulstrig wie die Schwerenot, und das ist das rechte Mittel, daß so 'n armes Luder die Würmer kriegt. Das Haus ist um und um gekehrt, seit der alte Fritz tot ist.

ERSTER KÄRRNER. Der arme Kerl! Er kam nicht wieder zurechte, seit der Hafer aufschlug; es war sein Tod.

ZWEITER KÄRRNER. Ich glaube, es gibt kein so niederträchtig Haus auf der ganzen Londner Straße mit Flöhen. Ich bin so bunt gestochen wie 'ne Schleie.

ERSTER KÄRRNER. Wie 'ne Schleie? Sapperment, kein König in der Christenheit kann's besser verlangen, als ich gebissen bin, seit der Hahn zum erstenmal gekräht hat.

ZWEITER KÄRRNER. Ja, sie wollen uns niemals einen Nachttopf geben, und da schlagen wir's in den Kamin ab, und die Kammerlauge, die heckt euch Flöhe wie ein Froschlaich.[200]

ERSTER KÄRRNER. He, Stallknecht, komm heraus und geh an den Galgen! komm heraus!

ZWEITER KÄRRNER. Ich habe eine Speckseite und zwei Packen Ingwer, die soll ich bis Charing-Croß mitnehmen.

ERSTER KÄRRNER. Gotts Blitz! die Truthähne in meinem Korb sind ganz ausgehungert. – He, Stallknecht! – Daß dich die Schwerenot! Hast keine Augen im Kopfe? kannst nicht hören? Wenn es nicht eben so gut wäre, wie einmal zu trinken, dir den Kopf einzuschmeißen, so will ich ein Hundsfott sein. – Komm an den Galgen! Bist ganz des Teufels?

Gadshill kommt.


GADSHILL. Guten Morgen, Schwager! Was ist die Glocke?

ERSTER KÄRRNER. Ich denke, es ist zwei.

GADSHILL. Sei so gut und leih' mir deine Laterne, daß ich nach meinem Wallach im Stalle sehen kann.

ERSTER KÄRRNER. Ei, sieh da! schönen Dank! Ich weiß Euch Pfiffe, die noch 'mal so gut sind, mein' Seel'!

GADSHILL. Sei so gut und leih' mir deine!

ZWEITER KÄRRNER. Ja, wann geschieht's? Rat' einmal! – »Leih mir deine Laterne«; so? – Ei ja doch, ich will dich erst am Galgen sehen.

GADSHILL. He, Kärrner! um welche Zeit denkt Ihr in London zu sein?

ZWEITER KÄRRNER. Zeit genug, um bei Licht zu Bette zu gehn, dafür stehe ich dir. – Kommt, Nachbar, wir wollen die Herren wecken; sie wollen mit Gesellschaft fort, denn sie haben groß Gepäck bei sich.


Kärrner ab.


GADSHILL. Heda, Hausknecht!

HAUSKNECHT drinnen. Ja, ja! »Bei der Hand«, sagt der Beutelschneider.

GADSHILL. Das paßt so gut, als: »bei der Hand«, sagt der Hausknecht. Du bist vom Beutelschneider nicht mehr verschieden, als Anweisung geben vom Arbeiten. Du machst die Anschläge.


Der Hausknecht kommt.[201]


HAUSKNECHT. Guten Morgen, Meister Gadshill! Es bleibt dabei, was ich Euch gestern abend sagte: es ist hier ein Gutsherr aus der Kentschen Wildnis, der führt dreihundert Mark in Golde bei sich. Ich hört's ihn gestern abend zu einem aus der Gesellschaft sagen, einer Art von Kammerrevisor, einem, der auch eine Last Gepäck bei sich hat, Gott weiß was. Sie sind schon auf und verlangen geröstete Eier, sie wollen gleich fort.

GADSHILL. Hör' du, wenn sie nicht Sankt Niklas seine Gesellen antreffen, so lass' ich dir meinen Hals.

HAUSKNECHT. Ne, ich mag ihn nicht, der gehört für den Schinder; denn ich weiß, du bedienst Sankt Niklas so ehrlich, als ein falscher Kerl nur immer kann.

GADSHILL. Was sprichst du mir vom Schinder? Wenn ich hänge, so mache ich ein paar Galgen fett, denn wenn ich hänge, so muß der alte Sir John mithängen, und du weißt, der ist kein Hungerleider. Pah! es gibt noch andre Trojaner, wovon du dir nichts träumen läßt, die Spaßes halber sich gefallen lassen, dem Gewerbe eine Ehre anzutun, die, wenn man uns ein bißchen auf die Finger guckte, ihres eignen Kredits wegen alles würden ins Gleiche bringen. Ich halte es mit keinen Fuß-Landstreichern, keinen Langstäben und Buschkleppern; nicht mit solchen tollen, schnurrbärtigen, kupferfarbigen Bierlümmeln: sondern mit Herrschaften und Barschaften; mit Bürgermeistern und großen Kapitalmännern; Leuten, die es an sich kommen lassen; Leuten, die lieber schlagen als sprechen, lieber sprechen als trinken, und lieber trinken als beten. Doch das ist gelogen; denn sie beten beständig zu ihrem Heiligen, dem gemeinen Wesen, oder vielmehr, sie nehmen es ins Gebet: denn sie gerben ihm das Leder und machen sich Stiefeln draus.

HAUSKNECHT. Was? Stiefeln aus dem gemeinen Wesen? Sind sie wasserdicht in schlimmen Wegen?

GADSHILL. Ja wohl, ja wohl, die Gerichte haben sie selbst geschmiert. Wir stehlen, wie in einer Festung, schußfrei; wir haben das Rezept vom Farrnsamen, wir gehen unsichtbar umher.[202]

HAUSKNECHT. Nu, meiner Treu, ich denke, ihr habt es mehr der Nacht als dem Farrnsamen zu danken, wenn ihr unsichtbar herumgeht.

GADSHILL. Topp! schlag' ein! Du sollst dein Teil an dem Erwerb haben, so gewiß ich ein ehrlicher Mann bin.

HAUSKNECHT. Versprich mir's lieber, so gewiß du ein falscher Dieb bist!

GADSHILL. Laß gut sein! Homo ist ein Name, der allen Menschen gemein ist. – Sag dem Pferdeknecht, daß er meinen Wallach aus dem Stalle bringt! – Leb wohl, du Drecklümmel!


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 200-203.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon