Erste Szene

[651] Kent. Die Seeküste bei Dover.


Man hört zur See feuern. Alsdann kommen aus einem Boot ein Schiffshauptmann, der Patron und sein Gehülfe, Seyfart Wittmer und andre; mit ihnen Suffolk und andre Edelleute als Gefangne.


SCHIFFSHAUPTMANN.

Der bunte, plauderhafte, scheue Tag

Hat sich verkrochen in den Schoß der See;

Lautheulend treiben Wölfe nun die Mähren,

Wovon die schwermutsvolle Nacht geschleppt wird,

Die ihre trägen Fitt'ge, schlaff gedehnt,

Auf Grüfte senken und aus dunst'gem Schlund

Die Nacht mit ekler Finsternis durchhauchen.

Drum bringt die Krieger des genommnen Schiffs;

Weil unsre Jacht sich vor die Dünen legt,

So sollen sie sich lösen hier am Strand,

Wo nicht, mit ihrem Blut ihn mir verfärben. –

Patron, hier den Gefangnen schenk' ich dir;

Du, sein Gehülfe, zieh' Gewinn von dem;

Der andre, Seyfart Wittmer, ist dein Teil.


Auf Suffolk zeigend.


ERSTER EDELMANN.

Was ist mein Lösegeld, Patron? Sag an!

PATRON.

Eintausend Kronen, oder Kopf herunter.

GEHÜLFE.

Das gleiche gebt Ihr mir, sonst fliegt der Eure.

SCHIFFSHAUPTMANN.

Was? Dünkt's euch viel, zweitausend Kronen zahlen,

Und nennt und habt euch doch wie Edelleute?

Hals ab den beiden Schurken! Ihr müßt sterben:

Das Leben unsrer eingebüßten Leute

Wiegt solche kleine Summe längst nicht auf.[651]

ERSTER EDELMANN.

Ich zahl' sie, Herr, und also schont mein Leben.

ZWEITER EDELMANN.

Ich auch, und schreibe gleich darum nach Haus.

WITTMER zu Suffolk.

Mein Auge büßt' ich bei dem Entern ein,

Und darum, das zu rächen, sollst du sterben,

Und, wenn mein Wille gölte, diese mit.

SCHIFFSHAUPTMANN.

Sei nicht so rasch! Nimm Lösung, laß ihn leben.

SUFFOLK.

Sieh mein Georgenkreuz, ich bin von Adel:

Schätz' mich, so hoch du willst, du wirst bezahlt.

WITTMER.

Das werd' ich schon; mein Nam' ist Seyfart Wittmer.

Nun, warum starrst du so? Wie? Schreckt der Tod?

SUFFOLK.

Mich schreckt dein Nam': in seinem Klang ist Tod.

Mir stellt' ein weiser Mann das Horoskop

Und sagte mir, durch Seefahrt käm' ich um.

Doch darf dich das nicht blutbegierig machen;

Dein Nam' ist Siegfried, richtig ausgesprochen.

WITTMER.

Sei's Siegfried oder Seyfart, mir ist's gleich.

Nie hat noch unsern Namen Schimpf entstellt,

Daß unser Schwert den Fleck nicht weggewischt.

Drum, wenn ich mit der Rache Handel treibe,

Zerbreche man mein Schwert, mein Wappenschild,

Und ruf' als Memme durch die Welt mich aus!


Greift den Suffolk.


SUFFOLK.

Halt, Wittmer! Dein Gefangner ist ein Prinz,

Der Herzog Suffolk, William de la Poole.

WITTMER.

Der Herzog Suffolk, eingemummt in Lumpen?

SUFFOLK.

Ja, doch die Lumpen sind kein Teil vom Herzog;

Ging Zeus doch wohl verkleidet: sollt' ich's nicht?

SCHIFFSHAUPTMANN.

Doch Zeus ward nie erschlagen, wie du jetzt.

SUFFOLK.

Gemeiner Bauer! König Heinrichs Blut,

Das ehrenwerte Blut von Lancaster,

Darf nicht vergießen solch ein Knecht vom Stall.[652]

Gabst du nicht Kußhand, hieltest meinen Bügel,

Liefst neben meinem Saumtier unbedeckt

Und hieltest dich beglückt, wenn ich dir nickte?

Wie oft bedientest du mich bei den Bechern,

Bekamst den Abhub, knietest an der Tafel,

Wann ich mit Königin Margreta schmauste?

Gedenke dran, und laß dich's niederschlagen

Und dämpfen deinen fehlgebornen Stolz.

Wie standest du im letzten Vorgemach

Und harrtest dienstbar, bis ich nun erschien?

Zu deinen Gunsten schrieb hier diese Hand,

Drum feßle sie die wilde Zunge dir.

WITTMER.

Durchbohr' ich den Verworfnen? Hauptmann, sprich!

SCHIFFSHAUPTMANN.

Erst ich mit Worten ihn, so wie er mich.

SUFFOLK.

Sind deine Worte stumpf doch, Sklav', wie du!

SCHIFFSHAUPTMANN.

Fort, und an unsers großen Bootes Rand

Schlagt ihm den Kopf ab!

SUFFOLK.

Wagst du deinen dran?

SCHIFFSHAUPTMANN.

Ja, Poole.

SUFFOLK.

Poole?

SCHIFFSHAUPTMANN.

Poole? Sir Poole? Lord?

Ja, Pfütze, Pfuhl, Kloak, des Kot und Schlamm

Die Silberquelle trübt, wo England trinkt.

Nun stopf' ich diesen aufgesperrten Mund,

Der unsers Reiches Schatz verschlungen hat;

Die Lippen, so die Königin geküßt,

Schleif' ich am Boden hin; und du, der einst

Des guten Herzogs Humphrey Tod belächelt,

Sollst nun umsonst fühllosen Winden grinsen,

Die, wie zum Hohn, zurück dir zischen werden.

Und mit der Hölle Hexen sei verbunden,

Weil du verlobt hast einen mächt'gen Herrn

Der Tochter eines nichtgeacht'ten Königs,

Ohn' Untertanen, Gut und Diadem.

Du wurdest groß durch Teufels-Politik

Und, wie der kühne Sylla, überfüllt

Mit Zügen Bluts aus deiner Mutter Herzen.[653]

Anjou und Maine ward durch dich verkauft;

Durch dich verschmähn abtrünnige Normannen

Uns Herrn zu nennen; und die Pikardie

Schlug die Regenten, fiel in unsre Burgen

Und sandte wund, zerlumpt, das Kriegsvolk heim.

Der hohe Warwick und die Nevils alle,

Die nie umsonst die furchtbar'n Schwerter ziehn,

Stehn wider dich aus Haß in Waffen auf;

Das Haus von York nun, von dem Thron gestoßen

Durch eines wackern Königs schnöden Mord

Und stolze frevelhafte Tyrannei,

Entbrennt von Rachefeuer, und es führt

In hoffnungsvollen Fahnen unsre Sonne

Mit halbem Antlitz, strebend durchzuscheinen,

Wobei geschrieben steht: Invitis nubibus.

Das Volk von Kent hier regt sich in den Waffen,

Und endlich hat sich Schmach und Bettelarmut

In unsers Königes Palast geschlichen,

Und alles das durch dich. Fort! Schafft ihn weg!

SUFFOLK.

O wär' ich doch ein Gott, den Blitz zu schleudern

Auf diese dürft'gen, weggeworfnen Knechte!

Elende sind auf kleine Dinge stolz:

Der Schurke hier, als Hauptmann einer Jacht,

Droht mehr als der illyrische Pirat,

Der mächt'ge Bargulus. Die Drohne saugt

Nicht Adlers-Blut, sie stiehlt aus Bienenstöcken;

Es ist unmöglich, daß ich sterben sollte

Durch solchen niedern Untertan als du.

Dein Reden weckt nur Wut, nicht Reu' in mir.

Nach Frankreich sendet mich die Königin:

Ich sag' es dir, schaff' sicher mich hinüber!

SCHIFFSHAUPTMANN.

Seyfart, –

WITTMER.

Komm, Suffolk! daß ich dich zum Tode schaffe.

SUFFOLK.

Pene gelidus timor occupat artus: – dich fürcht' ich.

WITTMER.

Du findest Grund zur Furcht, eh' ich dich lasse.

Wie, bist du nun verzagt? Willst nun dich beugen?[654]

ERSTER EDELMANN.

Mein gnäd'ger Lord, gebt ihm doch gute Worte!

SUFFOLK.

Des Suffolks Herrscherzung' ist streng und rauh,

Weiß zu gebieten, nicht um Gunst zu werben.

Fern sei es, daß wir Volk wie dieses da

Mit unterwürf'gen Bitten ehren sollten.

Nein, lieber neige sich mein Haupt zum Block,

Eh' diese Knie vor irgendwem sich beugen,

Als vor des Himmels Gott und meinem König;

Und eher mag's auf blut'ger Stange tanzen,

Als stehn entblößt vor dem gemeinen Knecht.

Der echte Adel weiß von keiner Furcht:

Mehr halt' ich aus, als ihr vollbringen dürft.

SCHIFFSHAUPTMANN.

Schleppt ihn hinweg, laßt ihn nicht länger reden!

SUFFOLK.

Soldaten, kommt! Zeigt eure Grausamkeit!

Daß diesen meinen Tod man nie vergesse.

Durch Bettler fallen große Männer oft:

Ein röm'scher Fechter und Bandit erschlug

Den holden Tullius; Brutus' Bastard-Hand

Den Julius Cäsar; wildes Inselvolk

Den Held Pompejus; und Suffolk stirbt durch Räuber.


Suffolk mit Wittmer und andern ab.


SCHIFFSHAUPTMANN.

Von diesen, deren Lösung wir bestimmt,

Beliebt es uns, daß einer darnach reise.

Ihr also kommt mit uns und laßt ihn gehn.


Alle ab, außer der erste Edelmann.


Wittmer kommt mit Suffolks Leiche zurück.


WITTMER.

Da lieg' sein Haupt und sein entseelter Leib,

Bis ihn die traute Königin bestattet!


Ab.


ERSTER EDELMANN.

Oh, ein barbarisches und blut'ges Schauspiel!

Ich will zum König seine Leiche tragen:

Rächt der ihn nicht, so werden's seine Freunde,

Die Königin, die lebend hoch ihn hielt.


Ab mit der Leiche.[655]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 651-656.
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