Zweite Szene

[656] Blackheath. Georg Bevis und Johann Holland treten auf.


GEORG. Wohlan! Schaff' dir einen Degen, und wenn er auch nur von Holz wäre; seit zwei Tagen sind sie schon auf den Beinen.

JOHANN. Desto nötiger tut's ihnen, sich jetzt hinzusetzen.

GEORG. Ich sage dir, Hans Cade, der Tuchmacher, denkt das gemeine Wesen aufzustutzen und es zu wenden und ihm die Wolle von neuem zu krausen.

JOHANN. Das tut ihm Not, denn es ist bis auf den Faden abgetragen. Nun, das weiß ich, es gab kein lustiges Leben mehr in England, seit die Edelleute aufgekommen sind.

GEORG. O die elenden Zeiten! Tugend wird an Handwerksleuten nichts geachtet.

JOHANN. Der Adel hält es für einen Schimpf, im ledernen Schurz zu gehn.

GEORG. Was noch mehr ist: des Königs Räte sind keine guten Arbeitsleute.

JOHANN. Ja, und es steht doch geschrieben: arbeite in deinem Beruf; was so viel sagen will: die Obrigkeiten sollen Arbeitsleute sein; und also sollten wir Obrigkeiten werden.

GEORG. Richtig getroffen! Denn es gibt kein besser Zeichen von einem wackern Gemüt, als eine harte Hand.

JOHANN. Ich seh' sie kommen! Ich seh' sie kommen! Da ist Bests Sohn, der Gerber von Wingham, –

GEORG. Der soll das Fell unsrer Feinde kriegen, um Hundsleder daraus zu machen.

JOHANN. Und Märten, der Metzger, –

GEORG. Nun, da wird die Sünde vor den Kopf geschlagen wie ein Ochse, und die Ruchlosigkeit wird abgestochen wie ein Kalb.

JOHANN. Und Smith, der Leinweber, –

GEORG. Ergo ist ihr Lebensfaden abgehaspelt.

JOHANN. Kommt, schlagen wir uns zu ihnen!


Trommeln. Cade, Märten der Metzger, Smith der Leinweber und andre in großer Anzahl kommen.[656]


CADE. Wir, Johann Cade, von unserm vermeintlichen Vater so benannt, denn unsre Feinde sollen vor uns niederfallen; vom Geist getrieben, Könige und Fürsten zu stürzen, – befehlt Stillschweigen!

MÄRTEN. Still!

CADE. Mein Vater war ein Mortimer, –

MÄRTEN beiseit. Es war ein ehrlicher Mann und ein guter Maurer.

CADE. Meine Mutter eine Plantagenet, –

MÄRTEN beiseit. Ich habe sie recht gut gekannt, sie war eine Hebamme.

CADE. Meine Frau stammt vom Geschlecht der Lacies, –

MÄRTEN beiseit. Wahrhaftig, sie war eines Hausierers Tochter und hat manchen Latz verkauft.

SMITH beiseit. Aber seit kurzem, nun sie nicht mehr im stande ist, mit ihrem Tornister herumzugehn, wäscht sie zu Hause für Geld.

CADE. Folglich bin ich aus einem ehrenwerten Hause.

MÄRTEN beiseit. Ja, meiner Treu! Das freie Feld ist aller Ehren wert, und da ist er zur Welt gekommen, hinterm Zaun; denn sein Vater hatte kein ander Haus als das Hundeloch.

CADE. Mut habe ich.

SMITH beiseit. Das muß er wohl, denn zum Betteln gehört Mut.

CADE. Ich kann viel aushalten.

MÄRTEN beiseit. Das ist keine Frage: ich habe ihn drei Markttage nacheinander peitschen sehn.

CADE. Ich fürchte mich weder vor Feuer noch Schwert.

SMITH beiseit. Vor dem Schwerte braucht er sich nicht zu fürchten, die Stiche werden vorbeigehn, denn sein Rock hält längst keinen Stich mehr.

MÄRTEN beiseit. Aber mich dünkt, vor dem Feuer sollte er sich fürchten, da sie ihm für seine Schafdieberei ein Zeichen in die Hand gebrannt haben.

CADE. Seid also brav, denn euer Anführer ist brav und gelobt euch Abstellung der Mißbräuche. Sieben Sechser-Brote sollen künftig in England für einen Groschen verkauft werden; die dreireifige Kanne soll zehn Reifen halten, und ich will es für ein Hauptverbrechen erklären, Dünnbier zu trinken.[657] Das ganze Reich sollen alle in gemein haben; in Cheapside geht euch mein Klepper auf die Weide. Und wenn ich König bin, – wie ich es denn bald sein werde, –

ALLE. Gott erhalte Eure Majestät!

CADE. Ich danke euch, lieben Leute! – so soll es kein Geld mehr geben, alle sollen auf meine Rechnung essen und trinken, ich will sie alle in eine Livrei kleiden, damit sie sich als Brüder vertragen und mich als ihren Herrn ehren.

MÄRTEN. Das erste, was wir tun müssen, ist, daß wir alle Rechtsgelahrte umbringen.

CADE. Ja, das gedenk' ich auch zu tun. Ist es nicht ein erbarmenswürdig Ding, daß aus der Haut eines unschuldigen Lammes Pergament gemacht wird? daß Pergament, wenn es bekritzelt ist, einen Menschen zu Grunde richten kann? Man sagt, die Bienen stechen, aber ich sage: das Wachs der Bienen tut es, denn ich habe nur ein einziges Mal etwas besiegelt, und seit der Zeit war ich niemals wieder mein eigner Herr. Nun, was gibt's? Wen habt ihr da?


Es kommen Leute, die den Schreiber von Chatham vorführen.


SMITH. Den Schreiber von Chatham: er kann lesen und schreiben und Rechnungen aufsetzen.

CADE. Oh, abscheulich!

SMITH. Wir ertappten ihn dabei, daß er den Jungen ihre Exempel durchsah.

CADE. Das ist mir ein Bösewicht!

SMITH. Er hat ein Buch in der Tasche, da sind rote Buchstaben drin.

CADE. Ja, dann ist er gewiß ein Beschwörer.

MÄRTEN. Ja, er kann auch Verschreibungen machen und Kanzleischrift schreiben.

CADE. Es tut mir leid: der Mann ist, bei meiner Ehre, ein hübscher Mann; wenn ich ihn nicht schuldig finde, so soll er nicht sterben. – Komm her, Bursch, ich muß dich verhören. Wie ist dein Name?

SCHREIBER. Emanuel.

MÄRTEN. Das pflegen sie an die Spitze der offenen Sendschreiben zu setzen. – Es wird Euch schlimm ergehn.[658]

CADE. Laßt mich allein machen. Pflegst du deinen Namen auszuschreiben, oder hast du ein Zeichen dafür, wie ein ehrlicher schlichter Mann?

SCHREIBER. Gott sei Dank, Herr, ich bin so gut erzogen, daß ich meinen Namen schreiben kann.

ALLE. Er hat bekannt: fort mit ihm! Er ist ein Schelm und ein Verräter.

CADE. Fort mit ihm, sage ich: hängt ihn mit seiner Feder und Tintenfaß um den Hals!


Einige mit dem Schreiber ab. Michel kommt.


MICHEL. Wo ist unser General?

CADE. Hier bin ich, du spezieller Kerl.

MICHEL. Flieht! Flieht! Flieht! Sir Humphrey Stafford und sein Bruder mit der Heeresmacht des Königs sind ganz in der Nähe.

CADE. Steh, Schurke, steh, oder ich haue dich nieder. Er soll es mit einem ebenso tüchtigen Mann zu tun bekommen, als er selber ist. Er ist nichts mehr als ein Ritter, nicht wahr?

MICHEL. Nein.

CADE. Um es ihm gleich zu tun, will ich mich selbst unverzüglich zum Ritter schlagen. Steh auf als Sir John Mortimer! Nun auf ihn los!


Sir Humphrey Stafford und sein Bruder William kommen mit Truppen unter Trommelschlag.


STAFFORD.

Rebellisch Pack, der Kot und Abschaum Kents,

Zum Galgen reif! Legt eure Waffen nieder,

Zu euren Hütten heim, verlaßt den Knecht!

Wenn ihr zurückkehrt, ist der König gnädig.

WILLIAM STAFFORD.

Doch zornig, wütend und auf Blut gestellt,

Treibt ihr es fort; drum fügt euch oder sterbt!

CADE.

Mir gelten nichts die taftbehangnen Sklaven;

Zu euch, ihr guten Leute, red' ich nur,

Die ich in Zukunft zu regieren hoffe,

Da ich des Throns rechtmäß'ger Erbe bin.[659]

STAFFORD.

Du Schelm, dein Vater war ein Mauerntüncher;

Tuchscherer bist du selber: bist du's nicht?

CADE.

Und Adam war ein Gärtner.

WILLIAM STAFFORD.

Was soll das hier?

CADE.

Nun, das soll's: – Edmund Mortimer, Graf von March,

Nahm sich zur Eh' des Herzogs Clarence Tochter; nicht?

STAFFORD.

Ja wohl.

CADE.

Von ihr bekam er auf einmal zwei Kinder.

WILLIAM STAFFORD.

Das ist nicht wahr.

CADE.

Nun ja, das fragt sich; doch ich sag', es ist so.

Der ältre, den man in die Kost gegeben,

Ward weggestohlen durch ein Bettelweib;

Und, seiner Abkunft und Geburt nicht kundig,

Ward er ein Maurer, wie er kam zu Jahren.

Sein Sohn bin ich, und leugnet's, wenn Ihr könnt.

MÄRTEN. Ja, es ist wahrhaftig wahr: darum soll er unser König sein.

SMITH. Herr, er hat eine Feueresse in meines Vaters Hause gebaut, und die Backsteine leben noch bis auf diesen Tag, die es bezeugen können; also leugnet es nicht.

STAFFORD.

So glaubt ihr dieses Tagelöhners Worten,

Der spricht, er weiß nicht was?

ALLE. Jawohl, das tun wir; also packt euch nur!

WILLIAM STAFFORD. Hans Cade, Euch lehrte dies der Herzog York.

CADE beiseit. Er lügt, ich habe es selbst erfunden. – Wohlan, ihr da, sagt dem Könige von meinetwegen: Um seines Vaters willen, Heinrichs des Fünften, zu dessen Zeit die Jungen Hellerwerfen um französische Kronen spielten, sei ich es zufrieden, daß er regiere; ich wolle aber Protektor über ihn sein.

MÄRTEN. Und ferner wollen wir Lord Says Kopf haben, weil er das Herzogtum Maine verkauft hat.

CADE. Und das von Rechts wegen, denn dadurch ist England verstümmelt und müßte am Stabe einhergehen, wenn ich es nicht aufrecht erhielte. Ich sage euch, ihr Mitkönige, Lord Say hat das gemeine Wesen verschnitten und zum Eunuchen gemacht; und was mehr ist, so kann er französisch sprechen, und also ist er ein Verräter![660]

STAFFORD. O grobe, klägliche Unwissenheit!

CADE. Ja, antwortet mir, wenn Ihr könnt. Die Franzosen sind unsre Feinde; nun gut, ich frage Euch nur: kann jemand, der mit der Zunge eines Feindes spricht, ein guter Ratgeber sein oder nicht?

ALLE. Nein, nein, und also wollen wir seinen Kopf haben.

WILLIAM STAFFORD.

Wohl, da gelinde Worte nichts vermögen,

So greift sie mit dem Heer des Königs an!

STAFFORD.

Fort, Herold, und in jeder Stadt ruf' aus

Die mit dem Cade Empörten als Verräter,

Auf daß man die, so aus dem Treffen fliehn,

In ihrer Frau'n und Kinder Angesicht

Zur Warnung hänge vor den eignen Türen. –

Und ihr, des Königs Freunde, folgt mir nach!


Die beiden Staffords mit den Truppen ab.


CADE.

Und ihr, des Volkes Freunde, folgt mir nach!

's ist für die Freiheit, zeigt euch nun als Männer:

Kein Lord, kein Edelmann soll übrig bleiben;

Schont nur, die in gelappten Schuhen gehn,

Denn das sind wackre, wirtschaftliche Leute,

Die, wenn sie dürften, zu uns überträten.

MÄRTEN. Sie sind schon in Ordnung und marschieren auf uns zu.

CADE. Wir sind erst recht in Ordnung, wenn wir außer aller Ordnung sind. Kommt, marschiert vorwärts!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 656-661.
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