Sechste Szene

[762] Ein Zimmer im Turm.


König Heinrich, Clarence, Warwick, Somerset, der junge Richmond, Oxford, Montague, der Kommandant des Turmes und Gefolge.


KÖNIG HEINRICH.

Herr Kommandant, da Gott und Freunde nun

Eduard vom königlichen Sitz gestoßen,

In Freiheit mein Gefängnis, meine Furcht

In Hoffnung und mein Leid in Lust verkehrt:

Was sind wir bei der Loslassung dir schuldig?

KOMMANDANT.

Der Untertan kann nichts vom Fürsten fodern;

Doch, wenn demüt'ge Bitten etwas gelten,

Wünsch' ich Verzeihung von Eu'r Majestät.

KÖNIG HEINRICH.

Wofür? Daß du mich gut behandelt hast?

Nein, sei gewiß, ich lohne deine Güte,

Die den Verhaft mir umschuf in Vergnügen,

Ja solch Vergnügen, wie im Käfig Vögel

Empfinden, wenn nach langem Trübsinn sie

Zuletzt bei häuslichen Gesanges Tönen[762]

An den Verlust der Freiheit sich gewöhnen. –

Doch, Warwick, du nächst Gott hast mich befreit,

Drum bin ich dir nächst Gott zum Dank bereit:

Er war Urheber und das Werkzeug du.

Auf daß ich nun des Glückes Neid besiege,

Klein lebend, wo es mir nicht schaden kann,

Und daß mein widerwärt'ger Stern das Volk

In diesem Land des Segens nicht bestrafe,

Warwick, wiewohl ich noch die Krone trage,

So übergeb' ich dir mein Regiment:

Du bist beglückt in allem deinem Tun.

WARWICK.

Eu'r Hoheit war für Tugend stets berühmt

Und zeigt sich nun so weis' als tugendhaft,

Des Schicksals Tücke spähend und vermeidend;

Denn wen'ge richten sich nach ihrem Stern.

In einem nur muß ich Euch Unrecht geben,

Daß Ihr mich wählt, da Clarence steht daneben.

CLARENCE.

Nein, Warwick, du bist würdig der Gewalt,

Du, dem den Ölzweig und den Lorbeerkranz

Bei der Geburt der Himmel zugesprochen.

Du wirst im Krieg und Frieden Segen haben,

Drum geb' ich willig meine Stimme dir.

WARWICK.

Und ich erwähle Clarence zum Protektor.

KÖNIG HEINRICH.

Warwick und Clarence, gebt die Hand mir beide,

Fügt sie in eins nun, und zugleich die Herzen,

(Damit kein Zwiespalt die Verwaltung hemme:)

Ich mach' euch beide zu des Reichs Protektorn.

Ein stilles Leben führ' ich selbst indes,

Verbring' in Andacht meiner Laufbahn Ende,

Daß ich den Schöpfer preis' und Sünde wende.

WARWICK.

Was sagt auf seines Fürsten Willen Clarence?

CLARENCE.

Daß er drein willigt, wenn es Warwick tut:

Denn auf dein gutes Glück verlass' ich mich.

WARWICK.

So muß ich's, ungern zwar, zufrieden sein.

Wir woll'n uns wie ein Doppelschatten fügen

An Heinrichs Leib und seinen Platz vertreten;

Ich meine bei der Last des Regiments:[763]

Er soll die Ehr' und seine Ruh' genießen.

Und, Clarence, nun ist's mehr als dringend, gleich

Für Hochverräter Eduard zu erklären

Und alle seine Güter einzuziehn.

CLARENCE.

Was sonst? Und dann das Erbrecht zu bestimmen.

WARWICK.

Ja, und dabei soll Clarence ja nicht fehlen.

KÖNIG HEINRICH.

Doch vor den dringendsten Geschäften, laßt

Euch bitten (ich befehle ja nicht mehr),

Daß nach Margreta, Eurer Königin,

Und meinem Eduard werde hingesandt,

Aus Frankreich schleunig sie zurückzurufen:

Denn bis ich hier sie seh', hält banger Zweifel

Die Lust an meiner Freiheit halb verfinstert.

CLARENCE.

Es soll, mein Fürst, in aller Eil' geschehn.

KÖNIG HEINRICH.

Mylord von Somerset, wer ist der Knabe,

Für den so zärtlich Ihr zu sorgen scheint?

SOMERSET.

Mein Fürst, der junge Heinrich, Graf von Richmond.

KÖNIG HEINRICH.

Komm, Englands Hoffnung! Wenn geheime Mächte


legt ihm die Hand auf das Haupt


In den prophet'schen Sinn mir Wahrheit flößen,

So wird dies feine Kind des Landes Segen.

Sein Blick ist voll von sanfter Majestät,

Sein Haupt geformt von der Natur zur Krone,

Die Hand zum Szepter, und er selbst in Zukunft

Zur Zierde eines königlichen Throns.

Ihn haltet hoch, Mylords: er ist geboren,

Euch mehr zu helfen, als durch mich verloren.


Ein Bote tritt auf.

WARWICK.

Was bringst du Neues, Freund?

BOTE.

Daß Eduard Eurem Bruder ist entwischt

Und nach Burgund geflohn, wie er vernommen.

WARWICK.

Mißfäll'ge Neuigkeit! Doch wie entkam er?

BOTE.

Er ward entführt durch Richard, Herzog Gloster,

Und den Lord Hastings, die im Hinterhalt

Auf ihn gewartet an des Waldes Ende[764]

Und von des Bischofs Jägern ihn befreit,

Denn täglich war die Jagd sein Zeitvertreib.

WARWICK.

Mein Bruder war zu sorglos bei dem Auftrag.

Doch laßt uns fort, mein Fürst, nach Mitteln sehn

Für jeden Schaden, welcher mag geschehn.


König Heinrich, Warwick, Clarence, der Kommandant und Gefolge ab.


SOMERSET.

Mylord, ich mag nicht diese Flucht des Eduard;

Denn ohne Zweifel steht Burgund ihm bei,

Und dann gibt's neuen Krieg in kurzer Zeit.

Wie Heinrichs jüngst gesprochne Weissagung

Mit Hoffnung mir auf diesen jungen Richmond

Das Herz erquickt, so drückt es Ahnung nieder,

Was ihm zu seinem Schaden und zu unserm

In dem Zusammenstoß begegnen mag.

Drum wollen wir, dem Schlimmsten vorzubeugen,

Lord Oxford, schnell ihn nach Bretagne senden,

Bis sich der Bürgerfeindschaft Stürme enden.

OXFORD.

Ja, denn kommt Eduard wieder auf den Thron,

So teilte Richmond wohl der andern Lohn.

SOMERSET.

Gut, in Bretagne wohn' er dann geborgen.

Kommt also, laßt uns gleich das Wert besorgen!


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 762-765.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon