Dritte Szene

[114] Ein Klostergarten.


Bruder Lorenzo mit einem Körbchen.


LORENZO.

Der Morgen lächelt froh der Nacht ins Angesicht

Und säumet das Gewölk im Ost mit Streifen Licht.

Die matte Finsternis flieht wankend, wie betrunken,

Von Titans Pfad, besprüht von seiner Rosse Funken.

Eh' höher nun die Sonn' ihr glühend Aug' erhebt,

Den Tau der Nacht verzehrt und neu die Welt belebt,

Muß ich dies Körbchen hier voll Kraut und Blumen lesen,

Voll Pflanzen gift'ger Art, und diensam zum Genesen.

Die Mutter der Natur, die Erd', ist auch ihr Grab,

Und was ihr Schoß gebar, sinkt tot in ihn hinab.

Und Kinder mannigfalt, so all ihr Schoß empfangen,

Sehn wir, gesäugt von ihr, an ihren Brüsten hangen;

An vielen Tugenden sind viele drunter reich,[114]

Ganz ohne Wert nicht eins, doch keins dem andern gleich.

Oh, große Kräfte sind's, weiß man sie recht zu pflegen,

Die Pflanzen, Kräuter, Stein' in ihrem Innern hegen.

Was nur auf Erden lebt, da ist auch nichts so schlecht,

Daß es der Erde nicht besondern Nutzen brächt'.

Doch ist auch nichts so gut, das, diesem Ziel entwendet,

Abtrünnig seiner Art, sich nicht durch Mißbrauch schändet.

In Laster wandelt sich selbst Tugend, falsch geübt,

Wie Ausführung auch wohl dem Laster Würde gibt.

Die kleine Blume hier beherbergt gift'ge Säfte

In ihrer zarten Hüll' und milde Heilungskräfte!

Sie labet den Geruch, und dadurch jeden Sinn;

Gekostet, dringt sie gleich zum Herzen tötend hin.

Zwei Feinde lagern so im menschlichen Gemüte

Sich immerdar im Kampf: verderbter Will' und Güte;

Und wo das Schlechtre herrscht mit siegender Gewalt,

Dergleichen Pflanze frißt des Todes Wurm gar bald.


Romeo tritt auf.


ROMEO.

Mein Vater, guten Morgen!

LORENZO.

Sei der Herr gesegnet!

Wes ist der frühe Gruß, der freundlich mir begegnet?

Mein junger Sohn, es zeigt, daß wildes Blut dich plagt,

Daß du dem Bett so früh schon Lebewohl gesagt.

Die wache Sorge lauscht im Auge jedes Alten,

Und Schlummer bettet nie sich da, wo Sorgen walten.

Doch da wohnt goldner Schlaf, wo mit gesundem Blut

Und grillenfreiem Hirn die frische Jugend ruht.

Drum läßt mich sicherlich dein frühes Kommen wissen,

Daß innre Unordnung vom Lager dich gerissen.

Wie? oder hätte gar mein Romeo die Nacht

(Nun rat' ich's besser) nicht im Bette hingebracht?

ROMEO.

So ist's, ich wußte mir viel süßre Ruh' zu finden.

LORENZO.

Verzeih' die Sünde Gott! Warst du bei Rosalinden?

ROMEO.

Bei Rosalinden, ich? Ehrwürd'ger Vater, nein!

Vergessen ist der Nam' und dieses Namens Pein.

LORENZO.

Das ist mein wackrer Sohn! Allein wo warst du? sage![115]

ROMEO.

So hör': ich spare gern dir eine zweite Frage.

Ich war bei meinem Feind auf einem Freudenmahl,

Und da verwundete mich jemand auf einmal.

Desgleichen tat ich ihm, und für die beiden Wunden

Wird heil'ge Arzenei bei deinem Amt gefunden.

Ich hege keinen Groll, mein frommer, alter Freund:

Denn sieh! zu statten kömmt die Bitt' auch meinem Feind.

LORENZO.

Einfältig, lieber Sohn! Nicht Silben fein gestochen!

Wer Rätsel beichtet, wird in Rätseln losgesprochen.

ROMEO.

So wiss' einfältiglich: ich wandte Seel' und Sinn

In Lieb' auf Capulets holdsel'ge Tochter hin.

Sie gab ihr ganzes Herz zurück mir für das meine,

Und uns Vereinten fehlt zum innigsten Vereine

Die heil'ge Trauung nur: doch wie und wo und wann

Wir uns gesehn, erklärt, und Schwur um Schwur getan,

Das alles will ich dir auf unserm Weg erzählen;

Nur bitt' ich, will'ge drein, noch heut uns zu vermählen!

LORENZO.

O heiliger Sankt Franz! Was für ein Unbestand!

Ist Rosalinde schon aus deiner Brust verbannt,

Die du so heiß geliebt? Liegt junger Männer Liebe

Denn in den Augen nur, nicht in des Herzens Triebe?

O heiliger Sankt Franz! wie wuch ein salzig Naß

Um Rosalinden dir so oft die Wange blaß!

Und löschen konnten doch so viele Tränenfluten

Die Liebe nimmer dir: sie schürten ihre Gluten.

Noch schwebt der Sonn' ein Dunst von deinen Seufzern vor;

Dein altes Stöhnen summt mir noch im alten Ohr.

Sieh, auf der Wange hier ist noch die Spur zu sehen

Von einer alten Trän', die noch nicht will vergehen.

Und warst du je du selbst, und diese Schmerzen dein,

So war der Schmerz und du für Rosalind' allein.

Und so verwandelt nun? Dann leide, daß ich spreche:

Ein Weib darf fallen, wohnt in Männern solche Schwäche.

ROMEO.

Oft schmältest du mit mir um Rosalinden schon.

LORENZO.

Weil sie dein Abgott war; nicht weil du liebtest, Sohn.

ROMEO.

Und mahntest oft mich an, die Liebe zu besiegen.

LORENZO.

Nicht um in deinem Sieg der zweiten zu erliegen.[116]

ROMEO.

Ich bitt' dich, schmäl' nicht! Sie, der jetzt mein Herz gehört,

Hat Lieb' um Liebe mir und Gunst um Gunst gewährt.

Das tat die andre nie.

LORENZO.

Sie wußte wohl, dein Lieben

Sei zwar ein köstlich Wort, doch nur in Sand geschrieben.

Komm, junger Flattergeist! Komm nur, wir wollen gehn;

Ich bin aus einem Grund geneigt, dir beizustehn:

Vielleicht, daß dieser Bund zu großem Glück sich wendet,

Und eurer Häuser Groll durch ihn in Freundschaft endet.

ROMEO.

O laß uns fort von hier! Ich bin in großer Eil'.

LORENZO.

Wer hastig läuft, der fällt: drum eile nur mit Weil'!


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 114-117.
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