Zweite Szene

[320] Ein Saal im Schlosse.


Hamlet und einige Schauspieler treten auf.


HAMLET. Seid so gut und haltet die Rede, wie ich sie Euch vorsagte, leicht von der Zunge weg; aber wenn Ihr den Mund so voll nehmt, wie viele unsrer Schauspieler, so möchte ich meine Verse eben so gern von dem Ausrufer hören. Sägt auch nicht zu viel mit den Händen durch die Luft, so – sondern behandelt alles gelinde! Denn mitten in dem Strom, Sturm und, wie ich sagen mag, Wirbelwind Eurer Leidenschaft müßt Ihr Euch eine Mäßigung zu eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit gibt. Oh, es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein handfester haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft in Fetzen, in rechte Lumpen zerreißt, um den Gründlingen im Parterre in die Ohren zu donnern, die meistens von nichts wissen, als verworrnen stummen Pantomimen und Lärm. Ich möchte solch einen Kerl für sein Bramarbasieren prügeln lassen; es übertyrannt den Tyrannen. Ich bitte Euch, vermeidet das!

ERSTER SCHAUSPIELER. Eure Hoheit kann sich darauf verlassen.

HAMLET. Seid auch nicht allzuzahm, sondern laßt Euer eignes Urteil Euren Meister sein: paßt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an; wobei Ihr sonderlich darauf achten müßt, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten. Denn alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspieles entgegen, dessen Zweck sowohl anfangs als jetzt war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen. Wird dies nun übertrieben oder zu schwach vorgestellt, so kann es zwar den Unwissenden zum Lachen bringen, aber den Einsichtsvollen muß es verdrießen; und der Tadel von einem solchen muß in Eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen. Oh, es gibt Schauspieler, die ich habe spielen sehn und von andern preisen hören, und das höchlich, die,[320] gelinde zu sprechen, weder den Ton noch den Gang von Christen, Heiden oder Menschen hatten, und so stolzierten und blökten, daß ich glaubte, irgendein Handlanger der Natur hätte Menschen gemacht, und sie wären ihm nicht geraten; so abscheulich ahmten sie die Menschheit nach.

ERSTER SCHAUSPIELER. Ich hoffe, wir haben das bei uns so ziemlich abgestellt.

HAMLET. Oh, stellt es ganz und gar ab! Und die bei euch den Narren spielen, laßt sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht: denn es gibt ihrer, die selbst lachen, um einen Haufen alberne Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn auch zu derselben Zeit irgendein notwendiger Punkt des Stückes zu erwägen ist. Das ist schändlich, und beweist einen jämmerlichen Ehrgeiz an dem Narren, der es tut. Geht, macht Euch fertig!


Schauspieler ab. Polonius, Rosenkranz und Güldenstern kommen.


Nun, Herr, will der König dies Stück Arbeit anhören?

POLONIUS. Ja, die Königin auch, und das sogleich.

HAMLET.

Heißt die Schauspieler sich eilen!


Polonius ab.


Wollt ihr beide sie treiben helfen?

ROSENKRANZ UND GÜLDENSTERN.

Ja, gnädiger Herr.


Beide ab.


HAMLET.

He! Horatio!


Horatio kommt.

HORATIO.

Hier, lieber Prinz, zu Eurem Dienst.

HAMLET.

Du bist grad' ein so wackrer Mann, Horatio,

Als je mein Umgang einem mich verbrüdert.

HORATIO.

Mein bester Prinz –

HAMLET.

Nein, glaub' nicht, daß ich schmeichle:

Was für Beförd'rung hofft' ich wohl von dir,

Der keine Rent' als seinen muntern Geist

Um sich zu nähren und zu kleiden hat?

Weswegen doch dem Armen schmeicheln? Nein,

Die Honigzunge lecke dumme Pracht,

Es beuge sich des Knies gelenke Angel,

Wo Kriecherei Gewinn bringt. Hör' mich an:

Seit meine teure Seele Herrin war[321]

Von ihrer Wahl, und Menschen unterschied,

Hat sie dich auserkoren. Denn du warst,

Als littst du nichts, indem du alles littest;

Ein Mann, der Stöß' und Gaben vom Geschick

Mit gleichem Dank genommen: und gesegnet,

Wes Blut und Urteil sich so gut vermischt,

Daß er zur Pfeife nicht Fortunen dient,

Den Ton zu spielen, den ihr Finger greift.

Gebt mir den Mann, den seine Leidenschaft

Nicht macht zum Sklaven, und ich will ihn hegen

Im Herzensgrund, ja in des Herzens Herzen,

Wie ich dich hege. – Schon zu viel hievon.

Es gibt zu Nacht ein Schauspiel vor dem König;

Ein Auftritt kommt darin dem Umstand nah,

Den ich von meines Vaters Tod dir sagte.

Ich bitt' dich, wenn du das im Gange siehst,

So achte mit der ganzen Kraft der Seele

Auf meinen Oheim: wenn die verborgne Schuld

Bei einer Rede nicht zum Vorschein kommt,

So ist's ein höll'scher Geist, den wir gesehn,

Und meine Einbildungen sind so schwarz

Wie Schmiedezeug Vulkans. Bemerk' ihn recht,

Ich will an sein Gesicht mein Auge klammern,

Und wir vereinen unser Urteil dann

Zur Prüfung seines Aussehns.

HORATIO.

Gut, mein Prinz;

Wenn er was stiehlt, indes das Stück gespielt wird,

Und schlüpfet durch, so zahl' ich für den Diebstahl.

HAMLET.

Man kommt zum Schauspiel; ich muß müßig sein.

Wählt einen Platz!


Ein dänischer Marsch. Trompetenstoß.


Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz, Güldenstern und andre.


KÖNIG. Wie lebt unser Vetter Hamlet?

HAMLET. Vortrefflich, mein' Treu': von dem Chamäleons-Gericht. Ich esse Luft, ich werde mit Versprechungen gestopft: man kann Kapaunen nicht besser mästen.[322]

KÖNIG. Ich habe nichts mit dieser Antwort zu schaffen, Hamlet; dies sind meine Worte nicht.

HAMLET. Meine auch nicht mehr. Zu Polonius. Ihr spieltet einmal auf der Universität, Herr? Sagtet Ihr nicht so?

POLONIUS. Das tat ich, gnädiger Herr, und wurde für einen guten Schauspieler gehalten.

HAMLET. Und was stelltet Ihr vor?

POLONIUS. Ich stellte den Julius Cäsar vor: ich wurde auf dem Kapitol umgebracht; Brutus brachte mich um.

HAMLET. Es war brutal von ihm, ein so kapitales Kalb umzubringen. – Sind die Schauspieler fertig?

ROSENKRANZ. Ja, gnädiger Herr, sie erwarten Euren Befehl.

KÖNIGIN. Komm hieher, lieber Hamlet, setz' dich zu mir!

HAMLET. Nein, gute Mutter, hier ist ein stärkerer Magnet.

POLONIUS zum Könige. O ho, hört Ihr das wohl?

HAMLET. Fräulein, soll ich in Eurem Schoße liegen?


Setzt sich zu Opheliens Füßen.


OPHELIA. Nein, mein Prinz.

HAMLET. Ich meine, den Kopf auf Euren Schoß gelehnt.

OPHELIA. Ja, mein Prinz.

HAMLET. Denkt Ihr, ich hätte erbauliche Dinge im Sinne?

OPHELIA. Ich denke nichts.

HAMLET. Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen.

OPHELIA. Was ist, mein Prinz?

HAMLET. Nichts.

OPHELIA. Ihr seid aufgeräumt.

HAMLET. Wer? ich?

OPHELIA. Ja, mein Prinz.

HAMLET. Oh, ich reiße Possen wie kein andrer. Was kann ein Mensch Beßres tun als lustig sein? Denn seht nur, wie fröhlich meine Mutter aussieht, und doch starb mein Vater vor noch nicht zwei Stunden.

OPHELIA. Nein, vor zweimal zwei Monaten, mein Prinz!

HAMLET. So lange schon? Ei, so mag der Teufel schwarz gehn: ich will einen Zobelpelz tragen. O Himmel! Vor zwei Monaten gestorben und noch nicht vergessen! So ist Hoffnung[323] da, daß das Andenken eines großen Mannes sein Leben ein halbes Jahr überleben kann. Aber, bei unsrer lieben Frauen! Kirchen muß er stiften, sonst denkt man nicht an ihn: es geht ihm wie dem Steckenpferde, dessen Grabschrift ist:

»Denn oh! denn oh!

Vergessen ist das Steckenpferd.«

Trompeten, hierauf die Pantomime.


Ein König und eine Königin treten auf, sehr zärtlich; die Königin umarmt ihn, und er sie. Sie kniet und macht gegen ihn die Gebärden der Beteurung. Er hebt sie auf, und lehnt den Kopf an ihre Brust; er legt sich auf ein Blumenbette nieder, sie verläßt ihn, da sie ihn eingeschlafen sieht. Gleich darauf kommt ein Kerl herein, nimmt ihm die Krone ab, küßt sie, gießt Gift in die Ohren des Königs und geht ab. Die Königin kommt zurück, findet den König tot, und macht leidenschaftliche Gebärden. Der Vergifter kommt mit zwei oder drei Stummen zurück, und scheint mit ihr zu wehklagen. Die Leiche wird weggebracht. Der Vergifter wirbt mit Geschenken um die Königin; sie scheint anfangs unwillig und abgeneigt, nimmt aber zuletzt seine Liebe an.

Sie gehen ab.


OPHELIA. Was bedeutet dies, mein Prinz?

HAMLET. Ei, es ist spitzbübische Munkelei; es bedeutet Unheil.

OPHELIA. Vielleicht, daß diese Vorstellung den Inhalt des Stücks anzeigt.


Der Prolog tritt auf.


HAMLET. Wir werden es von diesem Gesellen erfahren: Die Schauspieler können nichts geheim halten, sie werden alles ausplaudern.

OPHELIA. Wird er uns sagen, was diese Vorstellung bedeutet?

HAMLET. Ja, oder irgendeine Vorstellung, die Ihr ihm vorstellen wollt. Schämt Euch nur nicht, ihm vorzustellen, so wird er sich nicht schämen, Euch zu sagen, was es bedeutet.

OPHELIA. Ihr seid schlimm, Ihr seid schlimm; ich will das Stück anhören.

PROLOG.

Für uns und unsre Vorstellung

Mit untertän'ger Huldigung

Ersuchen wir Genehmigung.[324]

HAMLET. Ist dies ein Prolog, oder ein Denkspruch auf einem Ringe?

OPHELIA. Es ist kurz, mein Prinz.

HAMLET. Wie Frauenliebe.


Ein König und eine Königin treten auf.


KÖNIG im Schauspiel.

Schon dreißigmal hat den Apollsein Wagen

Um Nereus' Flut und Tellus' Rund getragen,

Und zwölfmal dreißig Mond' in fremdem Glanz

Vollbrachten um den Erdball ihren Tanz,

Seit unsre Herzen Liebe treu durchdrungen

Und Hymens Bande Hand in Hand geschlungen.

KÖNIGIN im Schauspiel.

Mag Sonn' und Mond so manche Reise doch,

Eh' Liebe stirbt, uns zählen lassen noch!

Doch leider seid Ihr jetzt so matt von Herzen,

So fern von vor'ger Munterkeit und Scherzen,

Daß Ihr mich ängstet: aber zag' ich gleich,

Doch, mein Gemahl, nicht ängsten darf es Euch:

Denn Weiberfurcht hält Maß mit ihrem Lieben;

In beiden gar nichts, oder übertrieben.

Wie meine Lieb' ist, hab' ich Euch gezeigt:

Ihr seht, daß meine Furcht der Liebe gleicht.

Das Kleinste schon muß große Lieb' erschrecken

Und ihre Größ' in kleiner Sorg' entdecken.

KÖNIG im Schauspiel.

Ja, Lieb', ich muß dich lassen, und das bald:

Mich drückt des Alters schwächende Gewalt.

Du wirst in dieser schönen Welt noch leben,

Geehrt, geliebt; vielleicht wird, gleich ergeben,

Ein zweiter Gatte –

KÖNIGIN im Schauspiel.

O halt' ein! halt' ein!

Verrat nur könnte solche Liebe sein.

Beim zweiten Gatten würd' ich selbst mir fluchen;

Die einen totschlug, mag den zweiten suchen.

HAMLET.

Das ist Wermut.

KÖNIGIN im Schauspiel.

Das, was die Bande zweiter Ehe flicht,

Ist schnöde Sucht nach Vorteil, Liebe nicht.[325]

Es tötet noch einmal den toten Gatten,

Dem zweiten die Umarmung zu gestatten.

KÖNIG im Schauspiel.

Ich glaub', Ihr denket jetzt, was Ihr gesprochen,

Doch ein Entschluß wird oft von uns gebrochen.

Der Vorsatz ist ja der Erinn'rung Knecht,

Stark von Geburt, doch bald durch Zeit geschwächt:

Wie herbe Früchte fest am Baume hangen,

Doch leicht sich lösen, wenn sie Reif' erlangen.

Notwendig ist's, daß jeder leicht vergißt

Zu zahlen, was er selbst sich schuldig ist.

Wo Leidenschaft den Vorsatz hingewendet,

Entgeht das Ziel uns, wann sie selber endet.

Der Ungestüm sowohl von Freud' als Leid

Zerstört mit sich die eigne Wirksamkeit.

Laut klagt das Leid, wo laut die Freude schwärmet,

Leid freut sich leicht, wenn Freude leicht sich härmet.

Die Welt vergeht: es ist nicht wunderbar,

Daß mit dem Glück selbst Liebe wandelbar.

Denn eine Frag' ist's, die zu lösen bliebe,

Ob Lieb' das Glück führt, oder Glück die Liebe.

Der Große stürzt: seht seinen Günstling fliehn!

Der Arme steigt, und Feinde lieben ihn.

So weit scheint Liebe nach dem Glück zu wählen:

Wer ihn nicht braucht, dem wird ein Freund nicht fehlen,

Und wer in Not versucht den falschen Freund,

Verwandelt ihn sogleich in einen Feind.

Doch, um zu enden, wo ich ausgegangen,

Will' und Geschick sind stets in Streit befangen.

Was wir ersinnen, ist des Zufalls Spiel,

Nur der Gedank' ist unser, nicht das Ziel.

So denk', dich soll kein zweiter Gatt' erwerben,

Doch mag dies Denken mit dem ersten sterben.

KÖNIGIN im Schauspiel.

Versag mir Nahrung, Erde! Himmel, Licht!

Gönnt, Tag und Nacht, mir Lust und Ruhe nicht!

Verzweiflung werd' aus meinem Trost und Hoffen,

Nur Klausnerbuß' im Kerker steh' mir offen![326]

Mag alles, was der Freude Antlitz trübt,

Zerstören, was mein Wunsch am meisten liebt,

Und hier und dort verfolge mich Beschwerde,

Wenn, einmal Witwe, jemals Weib ich werde!

HAMLET zu Ophelia.

Wenn sie es nun brechen sollte –

KÖNIG im Schauspiel.

's ist fest geschworen. Laß mich, Liebe, nun!

Ich werde müd', und möcht' ein wenig ruhn,

Die Zeit zu täuschen.

KÖNIGIN im Schauspiel.

Wiege dich der Schlummer,

Und nimmer komme zwischen uns ein Kummer!


Ab.


HAMLET. Gnädige Frau, wie gefällt Euch das Stück?

KÖNIGIN. Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.

HAMLET. Oh, aber sie wird ihr Wort halten!

KÖNIG. Habt Ihr den Inhalt gehört? Wird es kein Ärgernis geben?

HAMLET. Nein, nein; sie spaßen nur, vergiften im Spaß, kein Ärgernis in der Welt.

KÖNIG. Wie nennt Ihr das Stück?

HAMLET. Die Mausefalle. Und wie das? Metaphorisch. Das Stück ist die Vorstellung eines in Vienna geschehnen Mordes. Gonzago ist der Name des Herzogs, seine Gemahlin Baptista; Ihr werdet gleich sehen, es ist ein spitzbübischer Handel. Aber was tut's? Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht. Der Aussätzige mag sich jucken, unsre Haut ist gesund.

Lucianus tritt auf.


Dies ist ein gewisser Lucianus, ein Neffe des Königs.

OPHELIA. Ihr übernehmt das Amt eines Chorus, gnädiger Herr.

HAMLET. Oh, ich wollte zwischen Euch und Eurem Liebsten Dolmetscher sein, wenn ich die Marionetten nur tanzen sähe.

OPHELIA. Ihr seid spitz, gnädiger Herr, Ihr seid spitz.

HAMLET. Ihr würdet zu stöhnen haben, ehe Ihr meine Spitze abstumpftet.

OPHELIA. Immer noch besser und schlimmer.

HAMLET.

So wählt Ihr Eure Männer! – Fang' an, Mörder![327]

Laß deine vermaledeiten Gesichter, und fang' an! Wohlauf:

»Es brüllt um Rache das Gekrächz' des Raben –«

LUCIANUS.

Gedanken schwarz, Gift wirksam, Hände fertig,

Gelegne Zeit, kein Wesen gegenwärtig.

Du schnöder Trank aus mitternächt'gem Kraut,

Dreimal vom Fluche Hekates betaut!

Daß sich dein Zauber, deine grause Schärfe

Sogleich auf dies gesunde Leben werfe!


Gießt das Gift in das Ohr des Schlafenden.

HAMLET. Er vergiftet ihn im Garten um sein Reich. Sein Name ist Gonzago: die Geschichte ist vorhanden, und in auserlesenem Italienisch geschrieben. Ihr werdet gleich sehn, wie der Mörder die Liebe von Gonzagos Gemahlin gewinnt.

OPHELIA. Der König steht auf.

HAMLET. Wie? durch falschen Feuerlärm geschreckt?

KÖNIGIN. Wie geht es meinem Gemahl?

POLONIUS. Macht dem Schauspiel ein Ende!

KÖNIG. Leuchtet mir! Fort!

POLONIUS. Licht! Licht! Licht!


Alle ab, außer Hamlet und Horatio.


HAMLET.

Ei, der Gesunde hüpft und lacht,

Dem Wunden ist's vergällt;

Der eine schläft, der andre wacht,

Das ist der Lauf der Welt.

Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen (wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht) nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen gekerbten Schuhen mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen?

HORATIO. O ja, einen halben Anteil an der Einnahme.

HAMLET. Nein, einen ganzen.

Denn dir, mein Damon, ist bekannt,

Dem Reiche ging zu Grund

Ein Jupiter: nun herrschet hier

Ein rechter, rechter – Affe.

HORATIO. Ihr hättet reimen können.

HAMLET. O lieber Horatio, ich wette Tausende auf das Wort des Geistes. Merktest du?[328]

HORATIO. Sehr gut, mein Prinz.

HAMLET. Bei der Rede vom Vergiften?

HORATIO. Ich habe ihn genau betrachtet.

HAMLET.

Ha ha! – Kommt, Musik! kommt, die Flöten! –

Denn wenn der König von dem Stück nichts hält,

Ei nun! vielleicht – daß es ihm nicht gefällt.


Rosenkranz und Güldenstern kommen.


Kommt, Musik!

GÜLDENSTERN. Bester gnädiger Herr, vergönnt mir ein Wort mit Euch!

HAMLET. Eine ganze Geschichte, Herr.

GÜLDENSTERN. Der König –

HAMLET. Nun, was gibt's mit ihm?

GÜLDENSTERN. Er hat sich auf sein Zimmer begeben und ist sehr übel.

HAMLET. Vom Trinken, Herr?

GÜLDENSTERN. Nein, von Galle.

HAMLET. Ihr solltet doch mehr gesunden Verstand beweisen und dies dem Arzte melden; denn wenn ich ihm eine Reinigung zumutete, das würde ihm vielleicht noch mehr Galle machen.

GÜLDENSTERN. Bester Herr, bringt einige Ordnung in Eure Reden, und springt nicht so wild von meinem Auftrage ab!

HAMLET. Ich bin zahm, Herr: sprecht!

GÜLDENSTERN. Die Königin, Eure Mutter, hat mich in der tiefsten Bekümmernis ihres Herzens zu Euch geschickt.

HAMLET. Ihr seid willkommen.

GÜLDENSTERN. Nein, bester Herr, diese Höflichkeit ist nicht von der rechten Art. Beliebt es Euch, mir eine gesunde Antwort zu geben, so will ich den Befehl Eurer Mutter ausrichten; wo nicht, so verzeiht, ich gehe wieder, und damit ist mein Geschäft zu Ende.

HAMLET. Herr, ich kann nicht.

GÜLDENSTERN. Was, gnädiger Herr?

HAMLET. Euch eine gesunde Antwort geben. Mein Verstand ist krank. Aber, Herr, solche Antwort, als ich geben kann, ist zu Eurem Befehl; oder vielmehr, wie Ihr sagt, zu meiner[329] Mutter Befehl; drum nichts weiter, sondern zur Sache: Meine Mutter, sagt Ihr –

ROSENKRANZ. Sie sagt also folgendes: Euer Betragen hat sie in Staunen und Verwunderung gesetzt.

HAMLET. O wundervoller Sohn, über den seine Mutter so erstaunen kann! Kommt kein Nachsatz, der dieser mütterlichen Verwunderung auf dem Fuße folgt? Laßt hören!

ROSENKRANZ. Sie wünscht mit Euch in ihrem Zimmer zu reden, ehe Ihr zu Bett geht.

HAMLET. Wir wollen gehorchen, und wäre sie zehnmal unsre Mutter. Habt Ihr noch sonst was mit mir zu schaffen?

ROSENKRANZ. Gnädiger Herr, Ihr liebtet mich einst –

HAMLET. Das tu' ich noch, bei diesen beiden Diebeszangen hier!

ROSENKRANZ. Bester Herr, was ist die Ursache Eures Übels! Gewiß, Ihr tretet Eurer eignen Freiheit in den Weg, wenn Ihr Eurem Freunde Euren Kummer verheimlicht.

HAMLET. Herr, es fehlt mir an Beförderung.

ROSENKRANZ. Wie kann das sein, da Ihr die Stimme des Königs selbst zur Nachfolge im Dänischen Reiche habt?

HAMLET. Ja, Herr, aber »derweil das Gras wächst« – das Sprichwort ist ein wenig rostig.


Schauspieler kommen mit Flöten.


Oh, die Flöten! Laßt mich eine sehn! – Um Euch insbesondre zu sprechen Nimmt Güldenstern bei seit. Weswegen geht Ihr um mich herum, um meine Witterung zu bekommen, als wolltet Ihr mich in ein Netz treiben?

GÜLDENSTERN. O gnädiger Herr, wenn meine Ergebenheit allzukühn ist, so ist meine Liebe ungesittet.

HAMLET. Das versteh' ich nicht recht. Wollt Ihr auf dieser Flöte spielen?

GÜLDENSTERN. Gnädiger Herr, ich kann nicht.

HAMLET. Ich bitte Euch.

GÜLDENSTERN. Glaubt mir, ich kann nicht.

HAMLET. Ich ersuche Euch darum.

GÜLDENSTERN. Ich weiß keinen einzigen Griff, gnädiger Herr.

HAMLET. Es ist so leicht wie lügen. Regiert diese Windlöcher mit Euren Fingern und der Klappe, gebt der Flöte mit[330] Eurem Munde Odem, und sie wird die beredteste Musik sprechen. Seht Ihr, dies sind die Griffe.

GÜLDENSTERN. Aber die habe ich eben nicht in meiner Gewalt, um irgendeine Harmonie hervorzubringen; ich besitze die Kunst nicht.

HAMLET. Nun, seht Ihr, welch ein nichtswürdiges Ding Ihr aus mir macht? Ihr wollt auf mir spielen; (Ihr wollt tun, als kenntet Ihr meine Griffe;) Ihr wollt in das Herz meines Geheimnisses dringen; Ihr wollt mich von meiner tiefsten Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen: und in dem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch könnt Ihr es nicht zum Sprechen bringen. Wetter! denkt Ihr, daß ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen.


Polonius kommt.


Gott grüß' Euch, Herr!

POLONIUS. Gnädiger Herr, die Königin wünscht Euch zu sprechen, und das sogleich.

HAMLET. Seht Ihr die Wolke dort, beinah' in Gestalt eines Kamels?

POLONIUS. Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel.

HAMLET. Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.

POLONIUS. Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel.

HAMLET. Oder wie ein Walfisch?

POLONIUS. Ganz wie ein Walfisch.

HAMLET. Nun, so will ich zu meiner Mutter kommen, im Augenblick. – Sie närren mich, daß mir die Geduld beinah' reißt. Ich komme im Augenblick.

POLONIUS. Das will ich ihr sagen. Ab.

HAMLET. »Im Augenblick« ist leicht gesagt. Laßt mich, Freunde!

Rosenkranz, Güldenstern, Horatio und die andern ab.


Nun ist die wahre Spükezeit der Nacht,

Wo Grüfte gähnen, und die Hölle selbst[331]

Pest haucht in diese Welt. Nun tränk' ich wohl heiß Blut,

Und täte Dinge, die der bittre Tag

Mit Schaudern säh'. Still! jetzt zu meiner Mutter!

O Herz, vergiß nicht die Natur! Nie dränge

Sich Neros Seel' in diesen festen Busen!

Grausam, nicht unnatürlich laß mich sein;

Nur reden will ich Dolche, keine brauchen.

Hierin seid Heuchler, Zung', und du, Gemüt:

Wie hart mit ihr auch meine Rede schmäle,

Nie will'ge drein, sie zu versiegeln, Seele!


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 320-332.
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