Zweite Szene

[658] Fife, Zimmer in Macduffs Schloß.


Es treten auf Lady Macduff, ihr kleiner Sohn und Rosse.


LADY MACDUFF.

Was tat er denn, landflüchtig so zu werden?

ROSSE.

Geduldig müßt Ihr sein.

LADY MACDUFF.

Er war es nicht.

Die Flucht ist Wahnsinn. Wenn nicht unsre Taten,

Macht Furcht uns zu Verrätern.

ROSSE.

Wenig wißt Ihr,

Ob er der Weisheit oder Furcht gehorchte.

LADY MACDUFF.

Weisheit! Sein Weib, die kleinen Kinder lassen,

Haushalt wie seine Würden, an dem Ort,

Von dem er selbst entflieht? Er liebt uns nicht,

Ihm fehlt Naturgefühl: Bekämpft der schwache

Zaunkönig, dieses kleinste Vögelchen,

Die Eule doch für seine Brut im Nest.

Bei ihm ist alles Furcht, und Liebe nichts;

Nicht größer ist die Weisheit, wo die Flucht

So gegen die Vernunft rennt.[658]

ROSSE.

Teure Muhme,

Ich bitte, mäßigt Euch; denn Euer Gatte

Ist edel, klug, vorsichtig, kennt am besten

Der Tage Sturm. – Nicht viel mehr darf ich sagen: –

Doch harte Zeit, wenn wir Verräter sind

Uns unbewußt, wenn uns Gerüchte ängsten,

Aus Furcht nur, doch nicht wissend, was wir fürchten,

Getrieben auf empörtem, wildem Meer,

Nach allen Seiten hin. – So lebt denn wohl!

Nicht lang', und wieder frag' ich vor bei Euch.

Was so tief sank, geht unter, oder klimmt

Zur alten Höh' empor. Mein Vetterchen,

Gott segne dich!

LADY MACDUFF.

Er hat 'nen Vater und ist vaterlos.

ROSSE.

Ich bin so kindisch, daß ein längres Bleiben

Mich nur beschämen würd' und Euch entmut'gen:

Lebt wohl mit eins!


Er geht ab.


LADY MACDUFF.

Nun, Freund, tot ist dein Vater:

Und was fängst du nun an? Wie willst du leben?

SOHN.

Wie Vögel, Mutter.

LADY MACDUFF.

Was, von Würmern? Fliegen?

SOHN.

Nein, was ich kriegen kann: so machen sie's.

LADY MACDUFF.

Du armer Vogel, würdest nicht das Netz,

Leimrute, Schling' und Falle fürchten.

SOHN.

Wie doch?

Für arme Vögel stellt man die nicht auf. –

Mein Vater ist nicht tot, was du auch sagst.

LADY MACDUFF.

Ja, doch; wo kriegst du nun 'nen Vater her?

SOHN.

Nun, wo kriegst du 'nen Mann her?

LADY MACDUFF.

Ei, zwanzig kauf' ich mir auf jedem Markt.

SOHN.

So kaufst du sie, sie wieder zu verkaufen.

LADY MACDUFF.

Du sprichst, so klug du kannst, und für dein Alter

Doch wahrlich klug genug.

SOHN. War mein Vater ein Verräter, Mutter?

LADY MACDUFF. Ja, das war er.

SOHN. Was ist ein Verräter?

LADY MACDUFF. Nun, einer, der schwört und es nicht hält.

SOHN. Und sind alle Verräter, die das tun?[659]

LADY MACDUFF. Jeder, der das tut, ist ein Verräter und muß aufgehängt werden.

SOHN. Müssen denn alle aufgehängt werden, die schwören und es nicht halten?

LADY MACDUFF. Jawohl.

SOHN. Wer muß sie denn aufhängen?

LADY MACDUFF. Nun, die ehrlichen Leute.

SOHN. Dann sind die, welche schwören und es nicht halten, rechte Narren; denn ihrer sind so viele, daß sie die ehrlichen Leute schlagen könnten und aufhängen dazu.

LADY MACDUFF. Nun, Gott stehe dir bei, armes Äffchen! Aber was willst du nun anfangen, um einen Vater zu bekommen?

SOHN. Wenn er tot wäre, so würdest du um ihn weinen, und tätest du das nicht, so wäre es ein gutes Zeichen, daß ich bald einen neuen Vater bekomme.

LADY MACDUFF. Armes Närrchen, wie du plauderst!


Ein Bote tritt auf.


BOTE.

Gott mit Euch, schöne Frau! Ihr kennt mich nicht,

Doch weiß ich Euren Stand und edeln Namen.

Ich fürchte, daß Gefahr Euch nah bedroht;

Verschmäht Ihr nicht den Rat 'nes schlichten Mannes,

So bleibt nicht hier: schnell fort mit Euren Kleinen!

Euch so zu schrecken, bin ich grausam zwar;

Doch wär's Unmenschlichkeit, es nicht zu tun,

Da die Gefahr so nah. Der Himmel schütz' Euch!

Ich darf nicht weilen.


Er geht ab.


LADY MACDUFF.

Wohin sollt' ich fliehn?

Ich tat nichts Böses: doch jetzt denk' ich dran,

Dies ist die ird'sche Welt, wo Böses tun

Oft löblich ist, und Gutes tun zuweilen

Schädliche Torheit heißt. Warum denn, ach,

Verlass' ich mich auf diese Frauenwaffe,

Und sag', ich tat nichts Böses? –


Die Mörder kommen.


Was für Gesichter?[660]

MÖRDER.

Wo ist Euer Mann?

LADY MACDUFF.

Nicht, hoff' ich, an so ungeweihtem Platz,

Wo deinesgleichen ihn kann finden.

MÖRDER.

Er

Ist ein Verräter.

SOHN.

Du lügst, strupfköpf'ger Schurke!

MÖRDER.

Was! du Ei,

Verräterbrut!


Ersticht das Kind.


SOHN.

Er hat mich umgebracht!

Mutter, ich bitte dich, lauf fort!


Lady Macduff entflieht und schreit »Mord!«.


Die Mörder verfolgen sie.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 658-661.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Macbeth
Lektürehilfen William Shakespeare
Macbeth
Macbeth: Zweisprachige Ausgabe
Die Tragödie des Macbeth (insel taschenbuch)
Macbeth. Textanalyse und Interpretation mit ausführlicher Inhaltsangabe und Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon