Erste Scene.

[36] Morgens. Ein einsames Thal im indischen Kaukasus. – Asia allein.


ASIA.

Vom Reich der Himmelsklänge stiegst du nieder,

Gleich einem Geiste, dem Gedanken gleich,

Der einen Strom von längst entwöhnten Thränen

In horn'ge Augen schießen läßt und Herzen,

Die schon verzweifelnd, starre Ruh gelernt,

Mit Eins nun wieder freudig pochen heißt.

Gewiegt von Stürmen schwebtest du herab,

Dein Weckruf klingt, o Frühling, Kind der Winde!

So plötzlich kommst du, wie Erinnerung

An einen Traum, die nun so trauervoll,

Weil er so süß gewesen; – gleich dem Genius,

Der lichten Freude gleich, die steigt empor,

Wie aus der Erde Schooß, mit gold'nen Wolken

Die Wüste uns'res Lebens überkleidend! –


Dies ist die Jahreszeit, ja Tag und Stunde!

Bei Sonnenaufgang solltest kommen du

O süße Schwester mein, – zu lang ersehnt

Und allzulange zögernd schon – o komm! –

Wie kriechen schwingenlos die Augenblicke

Gleich Todtenwürmern hin! – Dort flimmert noch

Das kleine Pünktchen eines bleichen Sterns[36]

Durch's tief're Gelb des Morgens, der nun wächst,

Hoch ob dem purpurfarbenen Gebirg:

Durch einen Spalt des windzertheilten Nebels

Nun spiegelt sich's im dunkler'n See; nun schwindet's! –

Da glitzt es wieder, weil die Wellen sich

Geglättet und das brennende Gewebe

Der Wolken sich in bleiche Luft gelöst.

Nun ist's vorbei! – und zwischen jenen Gipfeln

Von wolkengleichem Schnee bedeckt, erglänzt

Das ros'ge Sonnenlicht! – O hör' ich nicht

Aeol'schen Klang dort ihrer grünen Flügel

Das Morgenroth durchfächeln?


Panthea tritt auf.


Ich sehe Augen, die durch Lächeln glühen,

Das doch in Thränen schwindet, – Sternen gleich,

Von Nebeln Silberthaues halb verlöscht.

Geliebte, o und Herrliche, die du

Der Seele Schatten trägst, durch die ich lebe,

Wie spät du kommst! – Die Sonnenscheibe schon

Erklomm die See. – Mein Herz war sehnsuchtskrank,

Bevor die Luft dein Flügelschlag bewegte.

PANTHEA.

Verzeihung, Schwester! meine Schwingen waren

Gelähmt von Wollust der Erinnerung

An einen Traum, – sowie zur Mittagszeit

Die Flügel sommerlicher Winde sind

Vom Dufte süßer Blumen übersättigt.

Ich war gewohnt so friedlich still zu schlafen

Und zu erwachen ruhig und erquickt,

Eh' des geheiligten Titanen Fall

Und deine unglückselige Liebe hatten

Durch Mitleid und Gewohnheit meinem Herzen

Die Liebe und das Leid vertraut gemacht,

Wie sie dem deinen es geworden sind.

Sonst schlief ich wohl in blaulich grauen Höhlen

Des alten Oceans, in dämmernden

Gewölben grün- und purpurfarb'ner Moose

Und unsere Jone schloß, wie jetzt,

Die weichen und milchweißen Arme um[37]

Mein dunkles, feuchtes Haar, indeß ich meine

Geschloss'nen Augen und die Wangen tief

Ins wohl'ge Kissen ihres Busens preßte,

Der Leben athmete. – Doch anders ist's,

Seit ich zum Winde da geworden bin,

Der hinstirbt unter Klängen der Musik,

Mit der, selbst wortlos, deine Sprach' ihn füllt;

Seit aufgelöst in das Gefühl, mit dem

Die Liebe spricht, die Ruh getrübt mir ward

Und dennoch süß; – doch meines Wachens Stunden

Zu voll von Sorg' und Qual.

ASIA.

Heb' deine Augen

Empor und laß mich lesen deinen Traum.

PANTHEA.

Wie ich gesagt: Mit uns'rer Meeresschwester

Zu seinen Füßen schlief ich ein. – Bergnebel,

Indeß wir sprachen, sich verdichtend, hatten

Die schnee'gen Flocken unter'n Mond gebreitet,

Vor scharfer Eisluft unsern Schlaf beschirmend.

Zwei Träume kamen da: des einen kann ich

Mich nicht entsinnen, doch im andern fielen

Die bleichen, wunden Glieder von Prometheus

Und die azur'ne Nacht erstrahlte rings

Vom Glorienschein der Form, die unverändert

Noch in ihm lebt – und seine Stimme war

Musik, die schwindeln macht das dunkle Hirn,

Von süßem Freudentaumel wie berauscht:

»O Schwester Jener, deren Schritt die Welt

Mit Lieblichkeit bedeckt; – die du ihr Schatten

Und schöner bist als Alles außer ihr,

Heb' deine Augen nun zu mir empor!«

Ich that's: das überwältigende Licht

Unsterblicher Gestalt war überschattet

Von Liebe, die von seinen weich und sanft

Geschmiegten Gliedern, lustgeschwellten Lippen,

Von seinen schmachtend glüh'nden Augen strömte

Wie Feuerdampf. – Ein Dunstkeis war's, der mich[38]

Mit allzerschmelzender Gewalt umfieng,

Sowie der Morgensonne warmer Aether

Wohl eine Wolke flücht'gen Thau's umhüllt,

Eh' er sie trinkt. – Ich sah nicht, hörte nicht,

Nein, reglos stand ich da und fühlte nur

Wie seine Gegenwart mein Blut durchfluthet'

Und sich mit ihm vermengte, bis es endlich

Zu seinem Leben ward und sein's zu meinem.

Und also ward ich völlig aufgesogen,

Bis es vorüber war und gleich den Dämpfen,

Die, wenn die Sonne sinkt, in Tropfen wieder

Sich sammeln auf den Fichten – und wie sie

Erzitternd – in der tiefen Nacht mein Wesen

Allmälig sich verdichtete. – Und als

Die Strahlen der Gedanken langsam sich

Gesammelt, konnt' ich seine Stimme hören:

Die Töne zögerten, eh' sie erstarben,

Gleich Takten einer leisen Melodie.

Dein Name war's, was aus der Fluth der Klänge

Allein ich deutlich nur vernehmen konnte,

Wiewohl ich noch die Nacht hindurch gelauscht,

Als jeder holde Klang schon längst verstummt. –

Dann wacht' Jone auf und sprach zu mir:

»Kannst du errathen, was heut' Nacht mich ängstigt?

Ich wußte immer, was ich wünschte sonst

Und fand Vergnügen nie an eitlem Wunsch.

Doch heute kann ich dir nicht sagen, was

Ich such' – ich weiß nicht – etwas Süßes wohl,

Da ja das Wünschen selbst schon süß sein soll;

's ist dein Vergnügen, falsche Schwester du!

Sieh! Du entdecktest einen alten Zauber,

Deß Kräfte meinen Geist entwendet, als

Ich schlief und ihn mit deinem dann vermengt,

Denn als wir eben jetzt uns küßten, fühlt' ich

Durch deine Lippen weh'n die süße Luft,

Die mich getragen, ach und jene Wärme

Des Lebensblut's, die mir abhanden kam,

Quoll zwischen unseren verschlung'nen Armen!« –

Ich gab nicht Antwort, denn des Ostens Stern

War bleich geworden, doch ich flog zu dir![39]

ASIA.

Du sprichst, doch deine Worte sind wie Luft,

Ich fühl' sie nicht! – O heb' die Augen auf,

Damit ich seine Seele darin lese.

PANTHEA.

Ich hebe sie, wiewohl die Last deß, was

Sie sagen sollen, sie mir niederdrückt.

Was könntest du d'rin abgebildet sehn

Als deinen eig'nen schönen Schatten nur?

ASIA.

O deine Augen sind wie jener Himmel,

Der tiefe, blaue, grenzenlose dort,

Der unter ihren langen, feinen Wimpern

Sich in ein Zirkelpaar zusammenzog:

So dunkel, unergründlich, Kreis in Kreis

Und Linie durch Linie gewoben!

PANTHEA.

Was blickst du so, als zög' ein Geist vorbei?

ASIA.

Es ändert sich das Bild: Im Innersten

Dort ihrer Tiefe seh' ich einen Schatten,

Eine Gestalt: 's ist Er, vom sanften Licht

Umkleidet seines eig'nen Lächelns, das

Wie Glanz vom wolk'gen Morgenhimmel leuchtet.

Prometheus, ja, du bist's – o bleibe noch!

Sagt nicht dies Lächeln, daß wir einst uns finden

Noch unter jenem herrlichen Gezelt,

Das seine Strahlen wölben werden über

Die weite Welt? – Das Traumbild ist erklärt! –

Doch welch' ein Schatten trat hier zwischen uns?

Sein struppig Haar macht rauh den Wind, der's sträubt,

Sein Blick ist wild und scharf, doch ist's ein Ding

Aus Luft, denn sieh', sein grau Gewand durchschimmern

Des Thaues golden Sterne, die der Mittag

Noch nicht verlöscht![40]

DER TRAUM.

O folge, folge mir!

PANTHEA.

Es ist mein and'rer Traum!

ASIA.

Er schwindet schon!

PANTHEA.

Er tritt vor meine Seele nun: Mich dünkte,

Wir saßen hier; – die blüthenschwangern Knospen

An jenem blitzgespalt'nen Mandelbaum,

Sie brachen auf. – Da kam ein Windstoß plötzlich

Herüber von der weißen scyth'schen Wildniß,

Daß sich die Erde runzelte vor Frost:

Ich sah die Blüthen all herabgeweht,

Doch stand geprägt auf jedem Blatt zu lesen, –

Wie in der Hyacinthen blauen Glocken

Geschrieben steht der Kummer des Apoll: –

O folge, folge mir!

ASIA.

O Schwester, sieh'!

So wie du sprichst nun, füllen deine Worte

Auch meinen eigenen, vergess'nen Schlaf

Mir nach und nach mit Traumgestalten aus.

Mich dünkte, daß auf jenen Wiesen dort

Wir wandelten beim Grau'n des jungen Tags

Und Schaaren weißer, flaum'ger Wolken zogen

In dichten Flocken rings um das Gebirg,

Vom trägen Winde heerdengleich getrieben.

Und weißer Thau hing schweigend an den Halmen

Des Grases, das die Erde kaum durchsproßte

Und mehr gab's, dessen ich mich nicht entsinne.

Doch auf den Schatten all der Morgenwolken

Am purpurübergoss'nen Bergeshang,

Da stand geschrieben: Folg', o folge mir!

Und als sie schwanden und auf jedem Gras,

Von welchem Himmelsthau gefallen war,[41]

Das Gleiche stand, wie feurig eingeprägt,

Da hob ein Wind sich zwischen jenen Fichten,

Und ließ Musik aus ihren Zweigen klingen,

Und dann in süßen, schmachtend leisen Tönen,

Dem Lebewohl verborg'ner Geister gleich,

Hört' man: O folge, folge, folge mir!

Dann sagt' ich: »Panthea! o sieh' mich an!«

Doch in der Tiefe ihrer Augen sah ich

Noch immer: Folg', o folge!

ECHO.

Folg', o folge!

PANTHEA.

Die Klippen, dieser klare Frühlingsmorgen,

Sie spotten unser, wie mit Geisterzungen!

ASIA.

Es schwebt ein Wesen heimlich um die Klippen!

Welch' feine, klare Töne! – horch, o horch!

ECHO'S ungesehen.

Horch! Echo's Stimmen!

Wir müssen verweh'n,

Wie Thausternchen flimmen,

Und wieder vergehn –

Kind des Oceans!

ASIA.

Horch! Geister sprechen und der Wiederhall

Der luft'gen Stimmen klingt noch nach!

PANTHEA.

Ich höre!

ECHO'S.

Folg' dem Klang, der rief,

Wie er weitergleitet

Durch die Höhlen tief,

Wo der Wald sich breitet!


Entfernter.[42]


Folg' dem Klang, der rief,

Durch die Höhlen tief,

Folg' dem Gang, der dorthin zog,

Wo noch nie die Biene flog, –

In des Mittags Dunkel tauch',

Wo im Schlaf mit duft'gem Hauch

Nächt'ge Blumen stehn; – durch Wellen

Schreit' in Höhlen voll der Quellen,

Uns're Musik, die wilde, süße,

Ahmt den Schritt nach deiner Füße,

Kind des Oceans!

ASIA.

So folgen wir dem Klang? – er wird schon schwächer

Und klingt entfernter.

PANTHEA.

Horch! er fluthet näher!

ECHO'S.

Fremde Welt birgt ein

Wort, noch ungesprochen,

Nur durch dich allein

Wird sein Bann gebrochen.

ASIA.

O wie die Töne sinken mit dem Wind,

Der ebbt!

ECHO'S.

Folgt dem Klang, der rief,

Durch die Höhlen tief,

Folget des Gesanges Spur

Durch den Morgenthau der Flur,

Durch den See, den Quell, den Wald,

Durch Gebirge mannigfalt,

Zu der Felsen Kluft und Schlucht,

D'rin die Erde Ruh' gesucht,

An dem Tag, da beide ihr

Schiedet, euch zu finden hier;

Kind des Oceans![43]

ASIA.

Komm' theure Panthea und Arm in Arm

Laß folgen uns – eh' jene Stimmen schwinden!


Quelle:
Shelley, Percy Bysshe: Der entfesselte Prometheus. Wien 1876, S. 36-44.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der entfesselte Prometheus
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