Dreiunddreißigstes Kapitel.

[357] Vinicius schritt geradeswegs auf das Haus zu, in dem Mirjam wohnte. An der Tür erblickte er Nazarius, der sich über sein Erscheinen wunderte, aber er begrüßte ihn freundlich und bat den jungen Mann, ihn zu seiner Mutter zu führen.

In der Wohnung befanden sich außer Mirjam noch Petrus,[357] Glaukos, Crispus und ebenso Paulus von Tarsos, der erst kürzlich von Fregellae zurückgekehrt war. Beim Anblick des jungen Tribunen drückte sich auf allen Gesichtern lebhaftes Erstaunen aus. Er sagte: »Ich grüße euch im Namen Christi, den ihr verehrt.«

»Sein Name sei hochgelobt in alle Ewigkeit!«

»Ich habe eure Tugend erkannt und eure Güte erfahren, daher komme ich als euer Freund.«

»Auch wir begrüßen dich als Freund,« erwiderte Petrus. »Setzte dich, Herr, und nimm als Gast an unserem Mahle teil.«

»Ich will mich setzen und euer Mahl teilen; zuvor aber hört mich an, du Petrus und du Paulus von Tarsos, damit ihr meine Aufrichtigkeit erkennt. Ich weiß, wo Lygia ist; ich komme soeben vom Hause des Linus, das hier in der Nähe liegt. Ich besitze ein Recht auf sie, denn der Caesar hat sie mir geschenkt, und ich habe in meinem Hause an fünfhundert Sklaven; ich könnte daher ihr Versteck umzingeln und sie entführen lassen. Dennoch habe ich es nicht getan und werde es auch nicht tun.«

»Dafür wird der Segen des Herrn auf dir ruhen und dein Herz läutern,« antwortete Petrus.

»Ich danke dir, aber hört mich weiter an. Ich habe es nicht getan trotz meines Verlangens und meiner Sehnsucht. Ehe ich bei euch war, hätte ich sie unzweifelhaft entführt und mit Gewalt zurückgehalten, aber eure Tugend und eure Religion haben, obgleich ich kein Bekenner der letzteren bin, eine Umwandlung in meinem Herzen bewirkt, so daß ich nicht mehr an Gewalt zu denken vermag. Ich weiß selbst nicht, wie dies gekommen ist, aber es ist so! Darum komme ich zu euch, die ihr Elternstelle an Lygia vertretet, und bitte euch: Gebt mir sie zum Weibe, und ich schwöre euch, sie nicht nur an der Verehrung Christi nicht zu hindern, sondern ich will mich auch selbst in seiner Lehre unterweisen lassen.«

Er hatte erhobenen Hauptes und mit fester Stimme gesprochen; aber doch war er erregt, und die Füße zitterten ihm unter seinem verbrämten Mantel. Als alle auf diese Worte hin schwiegen, fuhr er fort, wie um einer ungünstigen[358] Antwort vorzubeugen: »Ich weiß, wie groß die Hindernisse sind, aber ich liebe sie wie mein Augenlicht und bin, obgleich ich noch kein Christ bin, doch weder euer noch Christi Feind. Ich will offen vor euch sprechen, damit ihr mir trauen könnt. Es handelt sich in diesem Augenblicke um mein Leben, und dennoch will ich euch die Wahrheit sagen. Ein anderer würde euch vielleicht sagen: Tauft mich! – Doch ich sage: Erleuchtet mich! Ich glaube, daß Christus von den Toten auferstanden ist, denn Männer berichten es, denen man Glauben schenken muß und die ihn nach seinem Tode gesehen haben. Ich glaube es, denn ich selbst habe erfahren, daß eure Religion die Tugend, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit predigt, nicht aber die Verbrechen, deren man euch beschuldigt. Ich kenne euren Glauben bisher nur wenig, teils durch euch, aus euren Handlungen, teils durch Lygia, teils aus den Unterredungen mit euch. Und doch wiederhole ich euch, daß er bereits in mir eine Umwandlung bewirkt hat. Früher hielt ich meine Sklaven mit eiserner Hand in Zucht – jetzt vermag ich es nicht mehr. Früher kannte ich kein Erbarmen, jetzt kenne ich es. Früher liebte ich die Ausschweifung, jetzt bin ich vom Teiche des Agrippa geflohen, denn der Ekel benahm mir den Atem. Früher beging ich Gewalttätigkeiten, jetzt verabscheue ich sie. Seid überzeugt, ich kenne mich selbst nicht mehr; zuwider sind mir die Gelage, zuwider Wein, Gesang, Lauten und Kränze, zuwider der Hof des Caesars, entblößte Leiber und alle Laster. Und wenn ich daran denke, daß Lygia rein wie der Schnee auf den Bergen ist, so liebe ich sie um so heißer, und wenn ich daran denke, daß sie durch eure Religion so geworden ist, so liebe ich diese Religion und wünsche mich zu ihr zu bekennen! Aber weil ich sie nicht verstehe, weil ich nicht weiß, ob ich mit ihr leben kann und ob sie sich mit meiner Natur verträgt, daher lebe ich in Unruhe und Qual, und mir ist, als ob ich im Kerker läge.«

Die Brauen auf seiner Stirn zogen sich in schmerzliche Falten zusammen, und seine Wangen röteten sich, dann begann er von neuem, noch rascher und in noch größerer Erregung:[359] »Ihr seht, ich quäle mich unablässig mit meiner Liebe ab. Man hat mir gesagt, euer Glaube vertrage sich weder mit dem Leben, noch mit Menschenfreude, Glück, Recht, Ordnung, Regierung oder dem römischen Reiche. Ist dem so? Man hat mir gesagt, ihr seiet Toren; sagt mir, was ihr bringt. Ist es Sünde, zu lieben? Ist es Sünde, sich zu freuen? Ist es Sünde, nach Glück zu streben? Seid ihr Feinde des Lebens? Muß ein Christ arm sein? Muß ich auf Lygia verzichten? Worin besteht eure wahre Lehre? Eure Lehren und eure Worte sind wie durchsichtiges Wasser, aber was liegt auf dem Grunde dieses Wassers? Ihr seht, daß ich offen bin. Zerstreut die Dunkelheit! Man hat mir auch folgendes gesagt: Griechenland hat die Weisheit und Schönheit hervorgebracht, Rom die Macht, doch was bringen sie? Antwortet mir, was bringt ihr? Wenn es hinter eurer Tür hell ist, so öffnet mir!«

»Wir bringen die Liebe,« sagte Petrus.

Und Paulus von Tarsos fügte hinzu: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz ...«

Das Herz des alten Apostels war gerührt über diese sich abmarternde Seele, die sich wie ein Vogel im Bauer nach Luft und Sonnenschein sehnte; daher breitete er die Arme nach ihm aus und sagte: »Wer da klopft, dem wird aufgetan, die Gnade des Herrn ist über dich gekommen, und so segne ich denn dich, deine Seele und deine Liebe im Namen des Erlösers der Welt.«

Vinicius, der ebenfalls in Erregung gesprochen hatte, eilte bei diesen Segensworten auf Petrus zu, und nun ereignete sich etwas Außergewöhnliches. Denn jener Quiritensproß, der vor kurzem noch keinen Ausländer als Menschen betrachtet hatte, ergriff die Hand des alten Galiläers und führte sie dankbar an seine Lippen.

Petrus war erfreut, denn er erkannte, daß sein Samenkorn wieder auf ein neues Feld gefallen sei und daß sein Fischernetz abermals eine Seele gefangen habe.

Auch die anderen Anwesenden freuten sich nicht minder[360] über dieses offenkundige Zeichen von Ehrfurcht gegenüber dem Apostel des Herrn und riefen wie aus einem Munde: »Ehre sei Gott in der Höhe!«

Strahlenden Antlitzes erhob sich Vinicius und sprach: »Ich sehe, daß das Glück auch unter euch wohnen kann, denn ich fühle mich glücklich und glaube, daß ihr mich ebenso in den übrigen Punkten eines Besseren belehren könnt. Aber ich muß noch hinzufügen: nicht in Rom; der Caesar geht nach Antium, und ich muß mit hin, da ich den Befehl dazu erhalten habe. Ihr wißt, daß Ungehorsam den Tod bedeutet. Habe ich jedoch in euren Augen Gnade gefunden, so geht mit mir, damit ihr mich in eurem Glauben unterweiset. Ihr seid dort sicherer als ich, und bei einem solchen Zusammenströmen von Menschen könntet ihr eure Lehre sogar am Hofe des Caesars selbst verkünden. Man sagt, Akte sei Christin, und auch unter den Prätorianern gibt es Anhänger eures Glaubens; denn ich selbst habe beim Nomentanischen Tore Soldaten vor dir knieen gesehen, Petrus. In Antium besitze ich eine Villa, in der wir uns versammeln können, damit ich unter den Augen Neros eure Lehre näher kennen lerne. Glaukos sagte mir, ihr seiet bereit, um einer einzigen Seele willen bis ans Ende der Welt zu gehen; daher tut das für mich, was ihr für jene getan habt, deretwegen ihr bis aus Judäa hierher gekommen seid, tut es und überlaßt meine Seele nicht sich selbst.«

Nach diesen Worten begannen die Christen miteinander zu Rate zu gehen, indem sie voller Freude an den Sieg ihres Glaubens und an das Aufsehen dachten, das die Bekehrung eines Augustianers und Abkömmlings eines der ältesten römischen Geschlechter in der heidnischen Welt verursachen würde. Sie waren in der Tat bereit, um einer Seele wegen bis ans Ende der Welt zu gehen, und hatten seit des Meisters Tode eigentlich nichts anderes getan; eine abschlägige Antwort konnte ihnen daher nicht in den Sinn kommen. Aber Petrus war in diesem Augenblicke der Hirt der ganzen Gemeinde und konnte daher Rom nicht verlassen, dagegen erklärte sich Paulus von[361] Tarsos, der vor kurzem in Aricia und Fregellae gewesen war und eine neue weite Reise nach dem Orient plante, um die dort bestehenden Gemeinden zu besuchen und sie mit neuem Glaubenseifer zu erfüllen, bereit, den jungen Tribun nach Antium zu begleiten, zumal es ihm später leicht fallen mußte, dort ein Schiff zu finden, das nach den griechischen Gewässern segelte.

Vinicius bedauerte es zwar, daß Petrus, dem er zu so viel Dank verpflichtet war, ihn nicht begleiten konnte, dankte jedoch Paulus herzlich und wandte sich dann mit einer letzten Bitte an Petrus: »Ich kenne Lygias Wohnung,« sagte er; »ich könnte daher selbst zu ihr gehen und sie fragen, ob sie bereit ist, mich zum Gatten zu nehmen, wenn ich in meinem Innern Christ geworden bin. Aber ich will lieber dich, den Apostel, bitten: erlaube mir, sie zu sehen, oder führe mich selbst zu ihr. Ich weiß nicht, wie lange ich in Antium werde bleiben müssen, und bedenkt, daß in des Caesars Nähe niemand auch nur des kommenden Tages sicher ist. Auch Petronius hat mir schon gesagt, daß mir dort Gefahr drohe. Laß mich Lygia vorher sehen, laß mich meine Augen an ihrem Anblicke weiden und sie fragen, ob sie mir das Böse vergessen und das Gute mit mir teilen will.«

Der Apostel Petrus lächelte gütig und sagte: »Wer dürfte dir eine billige Freude verweigern.«

Vinicius beugte sich abermals auf seine Hände herab, da er den Jubel seines Herzens nicht mehr unterdrücken konnte. Der Apostel nahm des jungen Mannes Haupt zwischen seine Hände und sprach: »Du brauchst dich vor dem Caesar nicht zu fürchten, denn ich sage dir, es wird kein Haar von deinem Haupte fallen.«

Dann sandte er Mirjam zu Lygia und verbot ihr, zu sagen, wen sie bei ihnen antreffen würde, damit das Mädchen eine um so größere Freude habe.

Es war nicht weit, so daß die im Zimmer Zurückgebliebenen nach kurzer Zeit Mirjam mit Lygia an der Hand zwischen den Myrtenbäumen im Garten erblickten.

Vinicius wollte ihnen entgegeneilen, aber beim Anblick der[362] Geliebten übermannte ihn das Glück, er stand da, klopfenden Herzens, atemlos, kaum imstande, sich auf den Füßen zu halten, tausendmal erregter als damals, wo er zum erstenmal in seinem Leben die Pfeile der Parther um sein Haupt schwirren gehört hatte.

Nichtsahnend trat sie ein und blieb bei seinem Anblicke wie angewurzelt stehen. Glühende Röte bedeckte ihr Antlitz, das aber sofort wieder erblaßte, dann blickte sie mit erstaunten und erschreckten Augen auf die Anwesenden.

Doch ringsherum sah sie nur heiter lächelnde, gütige Gesichter. Der Apostel Petrus trat zu ihr und sprach: »Lygia, liebst du ihn noch immer?«

Sie schwieg. Ihre Lippen zuckten wie bei einem Kinde, das dem Weinen nahe ist und das im Bewußtsein einer Schuld diese eingestehen soll.

»Antworte,« sagte der Apostel.

Nun flüsterte sie mit demütiger und leiser Stimme, indem sie sich vor Petrus auf die Kniee warf: »Ja.«

Im nächsten Augenblick kniete Vinicius neben ihr.

Petrus legte ihnen seine Hände auf das Haupt und sprach: »Liebet einander im Herrn und zu seiner Ehre, denn in eurer Liebe ist nichts Sündhaftes.«

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 1, S. 357-363.
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