Erinnerungen

[109] Dem Andenken meines Freundes, Herrn Inspektors und Konsistorialraths Otterbein, zu Berlenburg geweiht


Hier will ich ruh'n; hier fliessen meine Thränen,

Wo Lieb' und Ehrfurcht holde Kränze flicht,

Wo, was wir liebend glauben und ersehnen,

Vernehmlicher zu unserm Herzen spricht;

An dieser kalten Urne, wo er schlummert,

Der einst mein Freund im höchsten Sinne war,

Da will ich nach des Tages Schwüle feiern;

Hier sey mein Bet-, und hier mein Dankaltar!


Nie übte mehr der Menschenliebe Güte

Ein Sterblicher mit immer reger That,

Nie sprosste schöner ihre Himmelsblüthe,

Als einst auf meines Freundes stillem Pfad!

Ihn segnen ewig guter Menschen Zähren,

Den Menschenfreund! er sorgte für ihr Glück,

Die Demuth, mit der Hoheit im Vereine,

Sprach wahr und sanft aus meines Freundes Blick.
[110]

Ihm war die Wahrheit über alles theuer,

Er wärmte sich an ihrem Sonnenlicht;

Beseelt von ihres Geistes heil'gem Feuer

Hielt er dem Frevler sie vor's Angesicht.

Wer war geneigter, Feinden zu vergeben?

Wer edler, ihnen wohlzuthun, bemüht?

Der Heuchler musst' es tief beschämt empfinden,

Dass vor dem reinen Licht die Täuschung flieht.


Stets neigte sich mit himmlischem Erbarmen

Sein grosses Herz dem Unglück beizustehn,

Und überall die stille Noth des Armen

Mit himmlisch sanfter Milde zu erspähn;

Er war der Busenfreund des besten Fürsten,

Durch zarte Sympathie mit ihm vereint;

Nur einmal sah' ich Thränen ihn vergiessen,

Dem Tode dieses Trefflichen geweint!


Ein unermüdlich Wirken stiller Güte,

Religion im reinen Christus-Sinn

Beseelte ihn bei kindlichem Gemüthe,

Und wiess zurück den äusseren Gewinn;

Sein Herz, es war die Zuflucht aller Müden,

Das sanft den Schmerz mit hohem Trost besprach;

So war Er, den ich ach! zu früh verloren,

O meine Thräne folgt ihm immer nach!
[111]

Hier soll sie jetzt den Falben Hügel tränken,

Den bleichen Kranz um seinen Aschenkrug;

Hier will ich jenes Trauermorgens denken,

Wo sanft ein Seraph ihn nach Eden trug;

Da tönte überall nur eine Klage,

Die Wehmath presste jedes wunde Herz,

Es drängte sich zu seinem Sarkophage1

Die Dankbarkeit, bewegt von tiefem Schmerz!


Auch ich, o fliesset, fliesset Thränen nieder!

Sank weinend hin auf seine kalte Hand –

Mein edler Freund! dort find' ich bald Dich wieder,

Dann grüss' ich Dich im schönern Vaterland!

Dort jauchzen sie, die Du zum Himmel führtest

Entgegen dir mit deiner Freunde Schaar,

Dort sag' auch ich es vor dem ganzen Himmel,

Was hier dein Trost, und deine Huld mir war!

Fußnoten

1 Es ist dies wörtlich war. Nicht allein Berleburgs Einwohner, sondern die besten Menschen aus der ganzen Gegend eilten, noch einmal die Hülle des Mannes zu sehen, der sein ganzes Leben der thätigsten Ausübung reiner Menschenliebe geweiht, der nur gegen sich selbst gekargt hatte, um die Leiden seiner Brüder desto eher lindern zu können, der keine Jahreszeit, keine Witterung scheute, wenn er auf seinen entfernten Filialen einem Unglücklichen Hülfe, einem Kranken Linderung, oder einem Sterbenden Trost bringen konnte. Sein Name ist nicht allein Berleburgs Bewohnern heilig, das ganze Land feiert sein Andenken.


Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 109-112.
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