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[38] Im leichten Flügelkleide
Hüpft' ich auf frischer Flur,
Da liebt' ich Scherz und Freude,
Wie Kinder der Natur.
Die kleinen Wünsche waren
So leicht, so bald gestillt,
Sie stiegen mit den Jahren,
Und blieben unerfüllt.
Mir war der Bach im Thale,
Der über Kiesel fliesst,
Die Quelle, die vom Strale
Des Mondes wird gegrüsst;
Der Hain im Blüthentanze,
Vom Abendroth verklärt,
Die Flur im Blumenkranze
Mehr, als die Welt gewährt;
Wo ich die jüngste Rose
Zur Zier des Busens brach,
Und auf dem zarten Moose
In kühlen Schatten lag;
[39]
Wo ich im Halmenhütchen
Mit leichten Schritten sprang,
Und mir dabei ein Liedchen
Nach meiner Weise sang;
Mir unter Apfelbäumen
Oft goldne Früchte las,
Und unter meinen Träumen
Die ganze Welt vergass;
Wo mich im weissen Kleide,
Geschmückt mit Rosaflor,
Die Unschuld und die Freude
Zur Lieblingin erkohr;
Der Aeltern zarte Sorgen
Erhöhten jede Lust,
Bald stieg des Lebens Morgen,
Und höher schlug die Brust!
Das frohe Mädchen hoben
Der Träume Phantasie'n,
Aus Rosenlicht gewoben,
Ins Reich der Sympathie'n;
Mich lockten ihre Töne,
Ihr zaubervoller Blick,
Das Gute und das Schöne
Umfasste dieses Glück!
[40]
O jenes süsse Leben,
Das so beflügelt eilt,
Schlingt Kränze, die verschweben,
Wo Gram und Kummer weilt. –
Bald schwanden jene Tage,
Voll hoher Seligkeit,
Am kalten Sarkophage
Ward ich dem Schmerz geweiht! –
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