An einen Freund

[141] Es eilen in schimmernden Reihen dahin

Die lächelnden Horen mit flüchtigem Sinn,

Und alles entschwindet, und alles entweicht,

Wie luftiger Nebel den Fluren entsteigt;

Die Rose, die früh mit Auroren erblüht,

Verwelket, wenn Zynthia schimmernd verglüht;

Die duftende Krone der lieblichen Linde

Verwehet im Kosen der schmeichelnden Winde.


Die Kränze der fröhlichen Kindheit verblühn

Um Hügel, die dunkle Zypressen umziehn,

In seligen Träumen beweget das Herz

Dem fühlenden Jüngling der wonnige Schmerz.

Er glühet für Tugend und Wahrheit so warm,

Bald fühlt er durch Täuschung sich elend und arm,

Die Funken verglühen, die Kräfte ermatten,

Den blühenden Jüngling umarmen die Schatten.


So wandelt der Wechsel in ewigem Lauf,

Das Blümchen der Freude schliesst selten sich auf;

O du, mit dem Freundschaft mich ewig umschliesst,

Sey heute mir tausendmal wärmer gegrüsst!

Nur Liebe und Treue ist ewig kein Wahn,

Sie schliesset dem Herzen der Gottheit uns an.

Lass, Freund! lass die Blüthen im Sturme verwehen,

Was Tugend uns adelt, kann nimmer vergehen.
[142]

Dir lebet das Schöne in fühlender Brust,

Dir strömt es an Quellen der seligsten Lust,

Du zauberst allmächtig der Freude Gefühl

Mir sanft in die Seele mit rührendem Spiel,

Beschwörest so tröstend den bitteren Schmerz,

Wenn Sehnsucht und Liebe zerreissen mein Herz,

Beruhigt von deinem entzückenden Liede,

Umarmt mich die Hoffnung und seliger Friede.


Und nimmer trifft Wechsel das himmlische Band

Des Schönen und Guten, du bist ihm verwandt,

O Heil ihm, dem Künstler! er schwingt sich empor

Und leihet harmonischen Tönen sein Ohr,

Er haucht in die Saiten der Seele Gefühl,

Wir jauchzen und klagen in wechselndem Spiel.

Er höret Elysiums Harfen erschallen,

Und wallet so selig in stralenden Hallen.

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 141-143.
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