36. Der Nix holt die Wehmutter.

[41] Mündlich aus Gutenberg.


Bei Giebichenstein in der Saale wohnte ein Nix mit seiner Frau. Der kam einst bei Nacht zur Wehmutter und bat sie mit ihm zu gehen: da sie sich jedoch weigerte, drohte er sie auf der Stelle zu erschlagen, wenn sie ihm nicht folge. Da ging sie denn zitternd hinter ihm her; und wie sie an die Saale kamen, schlug der Nix mit einer Ruthe auf das Wasser. Alsbald thaten sich die Wellen auf, und beide schritten eine schöne, breite Treppe hinab in das[41] Nixhaus, welches ein hoher, königlicher Pallast war und von Gold und Silber und Edelsteinen stralte. Die Wehmutter fand hier das Nixweibchen in Kindesnöthen und stand ihr bei. Und als sie fertig war und der Nix aus der Stube ging ihre Bezahlung zu holen, raunte ihr das Weibchen heimlich zu »Wenn mein Mann jetzt wiederkommt und euch große Schätze anbietet, nehmt ja nicht mehr als ihr gewöhnlich von den Menschen bekommt; sonst könnte es euch übel ergehen.« Da kam der Nix zurück mit einer großen Mulde voll Goldgulden und anderer Gold- und Silbermünze, und er sprach zu der Frau »Hier nehmt für eure Mühe so viel euch gefällt«; und dabei wühlte er mit der Hand in der Mulde, daß die Stücke lustig klimperten, und hielt sie ihr hin. Sie aber nahm nur ein Viergroschenstück. »Das ist dein Glück, Alte« sprach der Nix; »hättest du mehr genommen, so hätt ich dir den Hals umgedreht.« Hierauf führte er die Wehmutter wieder zu der Treppe, und sie stieg voll Angst die Stufen hinauf und hörte das Wasser hinter sich zusammenrauschen, doch wagte sie sich nicht umzusehen, bis sie auf ihrer Thürschwelle stand.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 41-42.
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