38. Die beleidigte Nixe.

[43] Mündlich aus Wettin und Bendorf.


Ein Schäfer hatte sich in eine Nixe verliebt und wohnte lange Zeit mit ihr auf dem Grunde eines Sees. Da begann er sich nach seinen Verwandten und Freunden zu sehnen und bat seine Frau um die[43] Erlaubniß noch einmal auf die Erde zurück zu kehren. Nachdem er ihr gelobt hatte wieder in den See zu kommen, gestattete sie es ihm; doch schwur sie sich schwer zu rächen, wenn er sein Wort breche. Dem Schäfer aber gefiel es hier oben auf den grünen Wiesen und unter der lichten Sonne so wohl, daß er wieder seine Schafe zu hüten beschloß und nicht zur Nixe zurück kam. Doch nahm er sich in Acht keinem Fluß, See oder Brunnen zu nah zu kommen, und so konnte sich die Nixe lange nicht rächen. Eines Tages aber, als es sehr heiß war und er wieder seine Schafe hütete, wußte er sich vor Durst nicht zu retten; da sah er eine kleine Lache am Wege und eilte darauf zu. »Hier« dachte er »kann sie dir nichts anhaben« und bückte sich um zu trinken. Doch kaum hatten seine Lippen das Wasser berührt, so fühlte er einen Druck im Genick und hörte ein heiseres Kichern, an dem er die Nixe erkannte. Sein Gesicht wurde fest in die Lache gedrückt, und so klein sie war, mußte er darin ertrinken.

Ein anderer Schäfer hütete bei Biesenrode an der Wipper. Da sprang eine Nixe aus dem Wasser; die hatte einen alten, ganz geflickten Rock an, doch tanzte sie fröhlich auf der Wiese herum und rief immer, indem sie auf die Flicken wies, »Hier ein Patzen! da ein Patzen!« »Und dort ein Patzen!« rief der Schäfer drein und gab ihr einen Hieb mit der Peitsche, weil sie den Schafen zu nah gekommen war. Das schwur die Nixe nicht ungestraft zu lassen und[44] sprang wieder in den Fluß. Da hielt sich der Schäfer denn auch von allen Flüssen und Teichen fern; doch als er sich einst in einer Wanne, die mit Wasser aus der Wipper gefüllt war, baden wollte, schlug das Wasser plötzlich, als er hinein gestiegen war, ihm über dem Kopfe zusammen, und er wurde hinab gezogen und konnte sich nicht wieder aufrichten, sondern mußte in der Wanne ertrinken.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 43-45.
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