49. Der Schneider auf dem Brocken.

[56] Mündlich aus Halle.


Ein Schneider hatte gehört daß in der Nacht vom letzten April zum ersten Mai die Hexen sich auf dem Glockersberge versammeln und da wunderbare Tänze aufführen. Und weil er neugierig war, machte er sich den Tag zuvor auf den Weg und wanderte auf den Glockersberg, barg sich in den Zweigen einer Weide und sah nun wie viele hundert Hexen durch die Luft daher flogen, wie sie ein köstliches Mahl hielten und dann fröhlich tanzten. Eine der Hexen aber bemerkte ihn und rief lachend einer andern zu »Sieh was für einen großen Knorren dieser Weidenast hat: ich will mein Beilchen hinein hauen, daß ichs übers Jahr wiederfinde.« Und sie schlug ihr Beil ihm in den Rücken. Er fühlte nur einen einzigen Stich; von dem Augenblicke an aber war ihm der Rücken so schwer, und als die Sonne aufging, sah er mit[56] Schrecken an seinem Schatten daß er bucklich war. Als jedoch im folgenden Jahre der erste Mai heran kam, konnte er seine Lust nicht bezwingen und ging wieder auf den Glockersberg, weil ihm die Tänze gar zu wohl gefallen hatten. Und als er wieder in der Weide saß, bemerkte ihn die Hexe wie das vorige Mal und trat lachend zu ihm und sprach »Ich will mein Beilchen nur aus dem Weidenknorren ziehen, damit es nicht verloren geht.« Sie griff nach seinem Rücken; er fühlte wieder einen leisen Stich, und von Stund an war der Höker verschwunden. Die Hexe aber hielt, als sie die Hand zurück zog, ein Beil darin.

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Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 56-57.
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