57. Die Mühle bei Aschersleben.

[64] Mündlich aus Bendorf.

Friedrich Gottschalck Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen S. 17-22.


Vor der Stadt Aschersleben, in dem Thale das die Eine durchfließt, stand noch vor fünfzig Jahren eine Mühle, welche dem Einsturz nahe war; doch der Müller war arm und konnte sie nicht neu aufbauen. Des Müllers Sohn und seine Magd liebten sich seit manchem Jahre gar treu, und sie klagten oft daß sie so arm seien und sich wohl nie würden heiraten können. Da wachte die Magd einst bei Nacht auf und sah ein helles Licht, das in die Fenster schien, und sie meinte, die Sonne gehe schon auf, und sprang aus dem Bett um das Frühstück zu kochen. Doch ihr Feuerzeug wollte nicht fangen, obgleich sie erst am Abend vorher frischen Zunder gebrannt hatte. Sie ging ans Fenster und sah über dem Wege auf der Wiese drei Männer um ein mächtiges Kohlenfeuer liegen. Da dachte sie »Hier kann ich mir wohl meinen Schwefel anzünden« und ging zu dem Feuer: doch hielt sie den Schwefel vergeblich an die Kohlen; er brannte nicht. Sie raffte darum einige Kohlen auf den Ring des Leuchters; aber als sie wieder ins Haus trat, waren sie ausgelöscht. Verdrießlich nahm sie eine Schippe und holte neue Kohlen; doch auch diese erloschen, als sie ins Haus kam. Da eilte sie mit einem großen, eisernen Becken zum dritten Mal[65] an das Feuer und füllte das Becken bis zum Rand; und als sie wegging, rief einer der Männer ihr nach »Nun aber nicht mehr!« Kaum war sie über die Schwelle des Hauses, so waren die Kohlen wiederum schwarz. Und als sie noch nachdachte was sie nun thun sollte, schlug die Uhr; sie zählte, und es war erst zwölf. Mit dem letzten Schlage verschwanden die Männer und das Kohlenfeuer. Die Magd aber legte sich, da es noch nicht später war, wieder zu Bett; und als sie am Morgen aufstand, sah sie die hellen Goldstücke auf dem Boden ihrer Kammer und auf der Hausflur umherliegen: das waren die Kohlen, die sie von dem Feuer geholt hatte. Sie gab den Schatz ihrem Bräutigam, und sie bauten die große, stattliche Mühle, die noch jetzt bei Aschersleben zu sehen ist, und hielten fröhlich Hochzeit.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 64-66.
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