60. Der Gutsherr von Schochwitz.

[68] Mündlich.


In dem Dorfe Schochwitz hatte ein Schäfer seinem Gutsherrn den jährlichen Pachtzins gegeben, doch noch keine Quittung darüber erhalten, als der Gutsherr einige Tage darauf plötzlich starb. Die Frau forderte nun den Zins noch einmal, und da ihn der Schäfer nicht zahlen konnte, wollte sie ihn ins[68] Gefängniß werfen. Da ging er einst traurig umher und dachte über sein Unglück nach: und als er in das Lupphölzchen bei Schochwitz kam, begegnete ihm ein graues Männchen mit langem weißen Bart; das gab ihm einen Stab und führte ihn zu einer Thür, welche der Schäfer nie zuvor bemerkt hatte. Hier hieß ihn das Männchen anklopfen und sagte ihm, er werde den Gutsherrn finden, doch solle er ihn nur mit dem Stabe, nicht mit der Hand anrühren und eine Quittung von ihm fordern. Als der Schäfer an die Thür klopfte, sprang sie auf, und er fand den Gutsherrn, wie er mit drei Andern an einem Tische saß und Karten spielte. Sobald er ihn mit dem Stabe berührte, sprühten Flammen um die Spitze des Stabes; denn der Gutsherr war im Fegefeuer. »Ich weiß weshalb du kommst« sprach er zu dem Schäfer: »geh zu meiner Frau und sag ihr, die Quittung steckt hinter dem Spiegel; und damit man dir besser glaube, nimm meine Mütze zum Wahrzeichen mit.« Er gab ihm die Mütze, und der Schäfer machte sich fröhlich auf den Heimweg. Er traf das graue Männchen wieder, dankte ihm für den guten Rath und gab ihm den Stab zurück. Die Wittwe des Gutsherrn aber fand die Quittung richtig hinter dem Spiegel. Doch während sie dieselbe las, legte der Schäfer die Mütze auf einen Tisch, und kaum berührte sie das Holz, so brannte sie ein Loch und fiel durch. Da ließ man die Stube zumauern, und sie soll bis heut noch nicht wieder aufgemacht sein.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 68-69.
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