Ernte.

[160] Aus der Erntezeit ist mir nur ein eigenthümlicher Gebrauch bekannt, welcher im südlichen Theile von Sachsen häufig vorkommt. Man bindet einem Burschen ein Sieb vor die Brust und eins auf den Rücken, spannt weiße Tücher darüber, befestigt an dem vordern Siebe ein kurzes, nach vorn zugespitztes Holz von mäßiger Dicke und steckt an die Spitze desselben einen Pferdekopf, so daß die ganze Gestalt einem Reiter auf weißem Pferde ähnlich ist. Dieser Bursche heißt der Schimmelreiter. Neben ihm erscheint ein in Haferstroh ganz eingehüllter, »der Haferbräutigam,« und neben diesem ein dritter in Frauenkleidern, »die Haferbraut«; doch ist der letzte nicht in Haferstroh gehüllt. Als lustige Person kommt der »Landläufer« oder der »Hanswurst« hinzu. In einzelnen Gegenden tritt auch hier der in den Pfingstgebräuchen erwähnte Erbesbär mit seinem Führer auf, und es schließen sich noch viele beliebig Verkleidete an, die keine Namen führen. Wenn sie alle versammelt sind, geht der Schimmelreiter vorn weg; hierauf folgen zu Wagen der Haferbräutigam und die Haferbraut; neben dem Wagen geht der Landläufer, knallt mit einer Peitsche und macht seine Späße. Wo der Bär erscheint,[160] wird er hinter dem Wagen geführt, und nach ihm kommen die übrigen Verkleideten. Man holt zuerst den Vormäher ab, bei welchem der Erntekranz liegt; dann zieht man zum Gutsherrn, bringt ihm den Kranz und erhält ein Geschenk dafür. Hierauf beginnt der Tanz in der Schenke, wobei anfangs das »Hafer abzucken« das meiste Vergnügen macht, indem man dem Haferbräutigam ein Büschel Hafer nach dem andern während des Tanzens abzureißen sucht und er sich dagegen sträubt, bis er ganz kahl dasteht und von Allen ausgelacht wird.

Derselbe Gebrauch findet sich in Möllendorf, Kloster Mansfeld, Siebigerode, Vatterode, Annerode und andern Dörfern zu Pfingsten mit der Abweichung, daß man nicht zum Gutsherrn zieht, sondern wie bei andern Pfingstgebräuchen Gaben bei den Bauern einsammelt.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 160-161.
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Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen
Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845: Mit Sagen aus Halle