Drittes Bild


[210] Papst Innocenz III. Kardinäle. Der armselige Heilige niedergeworfen zu Füßen des päpstlichen Stuhles.


PAPST.

Wer ist der sonderliche Mann?

KARDINAL.

Er nenne seine Regel!

PAPST.

Nenne sie!

DER HEILIGE.

Die nackte Armut. Abgerissenheit.

PAPST.

Der Kirche Kleinod ist die Armut längst

Samt Keuschheit und Gehorsam. Führst du ein,

Was längst Bestand hat? Nenne deine Regel!

DER HEILIGE.

Das Evangelium.[210]

PAPST.

Wie wäre dies?

DER HEILIGE.

Als Christus, heiliger Vater, unser Meister,

Die Jünger sandte, zu verkündigen

Die frohe Botschaft, sprach Er: »Ohne Geld

Zieht aus, habt nicht zwei Röcke, keinen Stab,

Noch Schuhe an den Füßen, noch auch Vorrat

An Wegzehrung!« Also der Benedeite.

Nun traf dies Wort mich armen Staub und Asche

So wie ein Blitz ins Innre: Süßer Christus,

Zu was befahlst Du dies, wenn nicht zur Folge

Und mutigem Gehorsam? Was der Sohn

Gottes uns vortat oder redete,

Ziemt alsobald uns nachzutun, es sei denn,

Wir wünschen Anteil an dem Göttlichen.

Drum also dies die Regel: Mindre Brüder

Wollen wir sein und unser Meister Christus,

Der minnigliche Herr,

Wir wollen arm wie Seine Jüngerschar

Ins Weite ziehen, bloßer als die Sterne,

Ganz glanzlos, nur mit Gottes Lieb bekleidet,

Gedrehte Hände leer, demütiger Nacken,

Barfüßig, schlechtes Tuch, wandelnde Blöße, –

Daß Gottes Liebe zu bekleiden hat,

Damit dem weißen Fittich Seiner Güte

Wird ganzer Platz zuteil, drum sind wir nackt.

Nur zur Verherrlichung! Nur zur Verherrlichung

Des höchsten Herrn, ganz evangelisch, wahrlich.

PAPST.

Die Regel scheint uns unausführbar. Nein,

Wir geben nicht das Siegel.

DER HEILIGE.

Wie der Papst will.

Mög mir mein armer Herr zum Sieg verhelfen!

Ich bitte meinen Christus.


Er flüstert alsbald, immer auf dem Angesicht liegend, sein Gebet.


PAPST zu den Kardinälen.

Nun, was dünkt euch?[211]

EIN KARDINAL.

Gebt ihm zur Antwort: So besteht kein Orden!

Das war zu Christi Zeit. Er würdigte Sich also,

Der eingeborne Sohn,

Die Jünger zu erhalten auf der Reise.

Heut ist Er nicht mehr unter uns auf Erden

Ein Mensch, heut thront Er längst im Tabernakel;

Vermessenheit, zu fordern, was nicht stimmend

Mit wahrer Demut ist; denn wahre Demut

Begibt sich solcher Forderung, demütig

Schafft sie das Ihre, läßt sich nicht ernähren

Von Gott, ohn einen Finger aufzuheben.

PAPST.

Vortrefflich diese Antwort. Mann, vernimm sie!


Stille! Franziskus flüstert weiter.


PAPST ungeduldig.

Es geht das Hirn des Menschen manchmal schwanger

Mit Spuk phantastischen Gedinges, also

Scheint uns das deine, Mann. Wie? Hörst du nicht?

Nackt, gänzlich arm, in Blöße, sind wir Tiere?

Du geh hinaus und wälz dich mit den Schweinen

Im Kot und fühle, ob sich dies geziemt.


Franziskus küßt ehrfürchtig den Boden und entfernt sich eilig. Stille.


KARDINAL JOHANNES VON PAUL.

Vorsichtig urteilt Eure Heiligkeit,

Und nur mit Recht. Denn allzu leicht schießt auf

Das Unkraut, gibt es sich auch gutes Ansehn.

Doch hier ist Weizen. Eure Heiligkeit

Verzeih den Ausspruch Ihr zuwider! Freilich,

Bedachtsam handeln, ganz mit Vorsicht, klug!

Es gilt die heilige Kirche! Aber dieser

Ist echtes, rechtes Korn und gottgesendet.

Wenn wir die Bitte dieses Armen

Verwerfen werden, hüten wir uns wohl,

Das Evangelium zu kränken! Wer

In Worten Christi liest Unmöglichkeit,

Der, mein ich, läuft Gefahr.


Stille.[212]


PAPST bedachtsam.

Wir wollen beten

Um eine Offenbarung, um ein Zeichen.

Es gilt die heilige Kirche. Wir sind Mensch,

Und nur der Heilige Geist aus großen Gnaden

Nach demüt'gem Erflehn

Kann uns vor Irrtum wahren, rein gemäß

Dem Ausspruch Christi. Bitten wir ein Zeichen!


Der heilige Franziskus kommt wieder, über und über mit Kot besudelt und bleibt, aus Furcht, durch die Nähe dem Papst lästig zu fallen oder durch seinen Kniefall die Würde des Ortes zu verunreinigen, an der Schwelle demütig geneigten Hauptes stehn.


DER HEILIGE.

Hier bin ich Ärmster! Eurer Heiligkeit

Gebot befolgend, zitternd, Euch zu kränken,

War ich bei Schweinen in dem Miste. Oh,

Gebt Huld! Gebt Huld! Um Christi Wort das Siegel!


Der Papst hat sich überrascht erhoben. Staunen unter den Kardinälen.


KARDINAL JOHANNES VON PAUL.

Dies ist das Zeichen! Wir bedürfen keines

Zweiten! O, Mann der Demut!

PAPST langsam, unablässig den Blick auf Franziskus.

Säule der Kirche!

Du hast gesiegt. Die Regel hat das Siegel.

DER HEILIGE mit demütig erhobenen Händen.

O süßer Heiland, Dir allein die Ehre!

Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 210-213.
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