Siebentes Bild


[285] Unterirdisches Felsengewölbe. Langer, erdentwachsener, steinerner Tisch quer von rechts nach links, hinter ihm läuft der Sitz, in den Fels gehauen. Fackeln schwälen in Spalten des Gesteins. Kein Taglicht. – Luther schwarz und lose gewandet in der Mitte am Tisch, neben ihm Katharina in Nonnentracht. Dann folgen die vier Freunde: Apel, Jonas , Kranach, Bugenhagen schwarz vermummt wie im fünften Bild; Kranachs Frau sitzt rechts neben Luther. Zechgelage. Wein und Becher auf dem Tisch. Schwarzgekleidete räumen soeben die Schüsseln weg, hin und her eilend.


LUTHER.

Ist's Nacht? Ist's Tag? Ist's Finsternis? Ist's Helle?

Erlosch die Sonne? Fackelt uns der Mond?

Zeitlos ward Luther längst,

Ein großer Mann, den das Gestirn nicht kümmert

Der Erdenzeit, hocherhaben – hocherhaben –


Er lacht.[285]


FREUND APEL.

Zeitloser Luther, Mensch kaum, viel mehr Geist,

Ins Riesige gereckt, – leer deinen Becher!


Luther trinkt.


KATHARINA.

Ein Geist bist du, doch Käthe liebst du noch

Als dein getreues Weib.


Sie und die Kranach lachen im Einverständnis.


LUTHER steht auf und richtet sich mit Stolz hoch.

Ich bin ein Geist, das sagst du wahrhaft, Bore!

Ich bin nicht menschlich mehr, ich bin gestorben

Der allzu kleinen Welt. Längst das Getümmel

Und keifend ärgerliche Hin und Her

Mit Papst und Priester hab ich satt! Dahin!

Laßt sein! 's ist Kot! Ich bin ein Geist und mächtig.


Er setzt sich wieder.


FREUND JONAS.

Wenn du ein Geist bist, lohend Feuer wider

Die Kirche und das Rudel Christenheit,

So raff dich auf und wag es! Alter Schwätzer!

Ein Geist schwatzt nicht, er tut.

LUTHER blickt ihm stier ins Angesicht.

Was soll ich tun?

FREUND JONAS.

Hm – hm –

DIE FRAU DES KRANACH.

Schläft Luther, ist der Alte tot?

Wo sind wir?

LUTHER.

Dünkt mir doch in meinem Keller

Zu Wittenberg. Haha!

FREUND KRANACH.

Bist du ein Geist?

Und haust zu Wittenberg?

LUTHER.

Potztausend, nein!

Ich hause nicht zu Wittenberg, ich hause

Im Weltall.[286]

DIE FRAU DES KRANACH.

Brav!

LUTHER.

Wo also bin ich, Freunde?

FREUND BUGENHAGEN.

Du bist zu Wittenberg in deiner Klause.

LUTHER.

So mein ich auch. Doch bin ich nicht ein Geist?

FREUND BUGENHAGEN.

Wenn anders Weltall Wittenberg benannt wird,

Und deine Klause Grund der Erde heißt.

LUTHER.

Fürtrefflich! Sonnenklar wird's mir im Hirn!


Er trinkt.


FREUND APEL erhebt sich und pocht auf den Tisch.

Du bist der Herr der Erde und des Alls!

KATHARINA kreischt.

Weil du den Papst wie einen Ochs gestochen!

FREUND KRANACH.

Der sich der Herr des Himmels und der Erden

Anmaßt zu sein.

FREUND BUGENHAGEN.

Doch du hast ihn gestürzt

Und nimmst nun seinen Thron. Und seinen Sessel

Besitzt du.

LUTHER trinkend.

Wahr!

FREUND BUGENHAGEN.

Drum wage auch die Tat!

LUTHER wendet sich dem Sprecher zu, mitten aus dem Trinken auf.

Was speit ihr mir von Tat und Tat ins Ohr?

Das hört nicht auf, das hetzt den ganzen Abend,

Das drängt, das wispert, das vereint sich wider

Den armen Luther –


Er springt auf und schleudert dem Bugenhagen den Becher ins Angesicht, der ihn aber geschickt mit dem Arm abwehrt. Luther schreit.


Hab ich nicht den Papst[287]

Ersoffen und erstochen und erwürgt?

Potz Teufel! Um und um ist er gewendet

Von meiner Feder, armer Madensack;

Die Maden hab ich einsam ihm geklaubt

Aus Wanst und Hintern, alle insgesamt!

Ist das nicht eine Tat? Wer tat je so?

Was soll es noch? Ich bin erschöpft, ich schwitze,

Ich liege lang und stinke vom Geschäft –

Was nun?

KATHARINA.

Just, Luther, zeugen einen starken Sohn!

LUTHER fällt auf den Sitz zurück, keucht.

Wie? Zeugen? Ja, wie heißt der Sprosse mein?

FREUND APEL.

Nenn ihn Rauchsäule, Feuerkopf und Schwefler!

LUTHER eingezogen, stier vor sich.

Und also sein Geschick?

FREUND JONAS mit Gebärde zu denen um Luther.

St – st – Kniet nieder! Betet an den Starken,

Der einen Starken zeugt, den starken Zeuger;

Huldigt dem Feldherrn!


Auf einen Wink des Jonas versinkt der steinerne Tisch, und die Erde schließt sich über ihm. Jonas, Apel, Bugenhagen, Kranach werfen sich vor Luther mit dem Angesicht zur Erde nieder, Rechts und links fassen Luther die gleichfalls knien huldigenden trauen ein. Die Gruppe bleibt eine Zeit still.


LUTHER leise zischend.

Kenne euch Gewürm!

Die Hölle über euch! Sprecht! Sperrt das Maul!

FREUND JONAS indem er Schwert und Degen von der Erde auflangt und die blanken Waffen gekreuzt und gezückt dem Mönch überreicht.

Nimm Schwert und Degen, huldreich Angebinde,

Wiegengeschenk für deinen starken Sprossen,

Patengeschenke deines armen Jonas!


Luther nimmt sie, lehnt das Schwert neben sich und legt den Degen vor sich auf seine Knie.[288]


FREUND APEL reicht ein Feuerzeug.

Nimm Stein, der Funken wirft auf steinern Anschlag,

Nimm Zunder, der die Flamme rasch säugt groß,

Nimm Stein und Zunder für den starken Säugling,

Der sich aus Brust des Feuers Feuer sauge!

DIE FRAU DES KRANACH die sich niederbeugt, die Füße des Priesters umklammert und sie küßt.

Ich, Luther, biete dir als Unterpfand

Treuer Nachfolge und Gevatterschaft

Den Kuß und meine Liebe!


Der Mönch stöhnt.


KATHARINA indem sie Luther heftig umschlingt und ihn lange auf die Brust küßt.

O mein Luther,

In diesem Kuß nimm heiß und heftig meine

Glühende Mutterschaft; ich sauge aus

Von deiner Brust, die wild in Schweißen schlägt,

Den feurigen Atem, daß dein Kind das meine

In Fleisch und Blut sei, meiner Lenden Frucht!


Stille. Dann stürzt der Unselige, erstickt aufatmend, auf die Knie und neigt sich vornüber, so daß er, mit den Armen auf die Erde gestützt, wie ein Tier keuchend sich dartut. Katharina, gleichfalls in die Knie brechend, preßt sich schräg über seinen Rücken, mit ihrer Faust seinen Nacken niederzwingend. Gruppe bleibt bis zum Ende.


FREUND BUGENHAGEN springt aus anbetender Stellung empor, während die übrigen Freunde bleiben. Bugenhagen entreißt dem Gestein eine Fackel, pflanzt sich vor Luther hin und beginnt.

Jetzt wird das Kind gezeugt, das mehr als Mensch ist,

O Luther; denn als Mensch zeugtest du schon

In deiner Hochzeitsnacht. Jetzt wird das Kind,

Frucht einer geistigen Vereinigung,

Gezeugt, empfangen und sogleich geboren

Ins obere Gefild. Denn über uns

Dehnt sich der Erde Rücken lachend hin,

Wiese an Wiese, Wald reiht sich an Wald.[289]

Doch hier und dort durch Busch und Stämme funkelt

– Frei in der Landschaft, wie mit aufgewachsen –

Ein Bild, ein Haus, ein Klotz und eine Säule.

Ein Kreuz, ein Muttergottestempelchen,

'ne Martersäule oder 'ne Kapelle.

Götzenanbetung freundlich blinkend tut sich

Groß in Natur, schielt zwischen Baum und Weiher. –

Du, Luther, der sich reiflich überdachte,

Frei aus dir selbst, dein Weib und uns die Freunde

Beherbergend im Busen wie im Hause

Mit Atzung labend, oder auch im Bett

Mit Lust genießend jungfräuliche Glieder,

Hast abgeschworen jener feilen Mache

Und zu dem Gott der Wälder dich bekehrt.

Willst du dem Gott der Welt zum Sieg verhelfen?

LUTHER stöhnt zwischen Weib und Erde.

Ich will dem Papst und seinem bösen Reiche

Wie allen Päpsten, die gewesen sind,

Und die noch kommen werden, wie den Priestern,

Die je das Rund der Erde überwandeln,

Ich will den Bildern allen, die sie bauen,

Ich will dem Brote, daß sie gleißnerisch

Beräuchern schon durch die Jahrhunderte –:

Pest, Tod und Untergang in ewige Zeiten!

FREUND BUGENHAGEN.

So willst du auch das Kind, den starken Sprossen.


Er winkt der Kranach, die sich erhebt und neben Luther tritt.


Wollust durchzücke dich, o Mensch, o mächtiger

Mönch-Vater, Priester-Feldherr, Bein und Gott

Zukünftiger Zeiten! Nacht sink tief herein!


Die Fackeln löschen alle aus, bis auf die Fackel des Redenden.


In Strahl des Samens taufe ich dich, Sproß,

In Lust der Mutter nenne ich dich, Sproß,

In Bein der Eltern zünde ich dich, Sproß!


Er tritt herzu und schüttelt die Fackel über den Gebückten. Feurige Flocken gleiten auf sein Haupt. Dann reicht er der Frau des Kranach die Fackel.[290]


Und du, Gevatterin, reck auf die Fackel;

Du bist ein Weib und Zünderin der Sünde

Demnach von Anbeginn, entzünde sie,

Heb aus der Taufe dieses Menschen Kind!


Die Kranach stößt dreimal mit dem Feuer an die Decke des Gewölbes. Ein donnerndes Getöse erhebt sich über der Gruft.


FREUND BUGENHAGEN der beide Arme mit geballten Fäusten gen oben reckt.

Es sinkt der Christ, es stürzt das Bild des Gesalbten,

Es facht zu Asche Wind die Unbefleckte,

Es herzen die Kapellen taub den Boden

In Schutt und Unrat ihres armen Nichts.

Es donnern die Kanonen in die Reihen

Pilgernder Priester, in den Prozessionen

Durchschießt die Kugel das geweihte Brot!

Es öffnen sich die Schlünde, Feuer speiend,

Wider des Petri felsenharten Thron.

Es springt vom Fels des Petri Fels um Felsen

In dynamitnem Sprunge, Untergang.

Das Kind des Christuspriester, rast und wütet

Mit feurigem Schilde um der Kirche Boll.

Es stürzen Breschen in ohnmächtigem Sturze;

Die Hölle zieht auf Sion siegend ein!

Die Engel fliehen all, die Harfen springen,

Musik zerreißt, Dämonen steigen auf.

Es ändert sich das Bild der ewigen Sphären:

Und ewiges Feuer herrscht auf ewigem Thron.


Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 285-291.
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