Fünftes Capitel.

[36] Es war, soweit ich bei dem schwachen Lichte des Mondes erkennen konnte, der sich eben hinter Wolken versteckte, ein hochgewachsener Mann von schlankem Wuchs und so raschen Bewegungen, daß ich ihn für einen jungen oder doch jüngeren Mann hielt, bis plötzlich bei einer Wendung, die er machte, der Flackerschein des Herdfeuers durch die offene Thür auf ihn fiel und ich einen alten Herrn von tief verwitterten Zügen vor mir zu sehen glaubte. Und als er mich jetzt, mich bei der Hand haltend, durch die Thür in die Schmiede zog, die eben von einem hellen rothen Lichte erfüllt war, erschien er mir weder jung noch alt oder vielmehr beides zu gleicher Zeit.

Freilich war der Moment für physiognomische Untersuchungen nicht gerade günstig. Der Fremde besah mich mit großen Augen, die zwischen den krausen Falten und Fältchen, die sie umgaben, schier unheimlich hervorblitzten, von Kopf bis zu Füßen und faßte nach meinen Schultern und Armen, wie ein Sportsman ein Pferd besieht, oder befühlt, das eine[36] Strecke, zu der andere Pferde fünf Minuten brauchen, in der Hälfte der Zeit durchmessen hat. Dann drehte er sich auf den Hacken um und brach in ein tolles Gelächter aus, als jetzt der Schmied dem taubstummen Lehrjungen Jakob, welcher während der ganzen Zeit, unbekümmert um Alles, was um ihn vorgegangen war, den Blasebalg bearbeitet hatte, einen Stoß versetzte, welcher den Jungen sich ein paar Mal, wie ein Kreisel, um sich selbst drehen machte.

»Bravo, bravo,« rief der Fremde, »der saß! Das geht besser als mit dem Andern; wie, Pinnow?«

»Der Andere kann froh sein, daß er so davongekommen ist,« brummte der Schmied, indem er ein rothglühendes Stück Eisen aus den Kohlen zog.

»Ich bin jeden Augenblick bereit, von vorne anzufangen, Pinnow,« rief ich und freute mich, daß die lachenden Augen des Fremden mir Beifall winkten, während er mit verstelltem Ernst rief: »Schämen Sie sich, junger Mensch! schämen Sie sich! – ein schwacher, alter Mann! das ist eine rechte Kunst!«

Der Schmied hatte den schweren Hammer ergriffen und führte auf das glühende Eisenstück Streiche, daß die Funken sprühten und die Fenster klirrten.

Der Fremde hielt sich die Ohren zu: »Um Himmels willen,« rief er, »hört auf, Mann, mit dem wüsten Lärm! das mag der Teufel aushalten! Denkt Ihr denn, daß ich Eure plebejischen Ohren habe! hört auf! sage ich, oder –«

Er hatte dem Schmied einen Stoß gegeben, wie dieser vorhin seinem Lehrjungen; aber der Schmied stand fester als jener; und jetzt hob er den Hammer mit einem wilden Blick; es sah aus, als wolle er mit dem nächsten Streich dem Fremden den Kopf zerschmettern.

»Seid Ihr toll geworden,« sagte dieser, den Wüthenden mit seinen großen Augen ansehend. – Dann, als der Andere langsam den Hammer sinken ließ, fuhr er leise zu sprechen fort, und der Schmied antwortete mit einem dumpfen Knurren, aus welchem ich meinen Namen heraus zu hören glaubte.

»Mag sein,« antwortete der Fremde, »aber er ist einmal hier und soll hier bleiben.«

»Verzeihen Sie,« sagte ich, »ich habe durchaus nicht die Absicht, mich aufzudrängen; ich würde keinen Schritt hier hereingethan haben, wenn –«

»Nun fängt Der wieder an,« rief der Fremde ärgerlich[37] lachend; – »werdet Ihr endlich vernünftig werden! Ich will Ruhe und Frieden, und vor Allem will ich zu Abend essen, und Sie sollen mir Gesellschaft leisten. Halloh, Christel! Wo steckt das Mädchen! – und Ihr, Pinnow, bindet Euer Schurzfell ab und kommt auch herein!«

Mit diesen Worten öffnete er die niedrige Thür, welche rechts von dem Herde aus der Schmiede in das Wohnzimmer führte. Ich war oft genug dort gewesen, wie ich denn überhaupt die Einrichtung des Hauses wohl kannte. Das Wohnzimmer war ein ziemlich großes Gemach, das aber nur halb so hoch war, wie die Schmiede, da über demselben die Schlafräume lagen, zu denen eine steile leiterartige Treppe aus einer Ecke des Gemachs durch eine Oeffnung in der Decke hinaufführte. Dann war noch eine Thür mit ein paar Stufen. Man gelangte durch dieselbe in eine kleine Abseite, wo des Schmieds Mutter schlief, eine steinalte Frau, die jetzt noch in ihrem gewöhnlichen Winkel, dicht neben dem von außen geheizten Ofen, in ihrem Lehnstuhle hockte. In der Mitte stand ein schwerer eichener Tisch; auf dem Tisch der große Korb, den Christel aus der Stadt gebracht hatte. Christel kramte an einem Schrank in der Tiefe des Zimmers.

»Nun, Christel,« rief der Fremde, indem er mit einem Licht in den Korb leuchtete, – »was hast Du eingeheimst? Das sieht ja gut aus. Spute Dich! ich habe einen Wolfshunger. Und Sie auch, nicht wahr? Sie stehen in dem glücklichen Alter, in welchem man immer Hunger hat. Kommen Sie hierher, in's Fenster. Setzen Sie sich!«

Er drückte mich in einen der zwei Sessel, die in dem Fenster standen, nahm selbst auf dem andern Platz und fuhr in etwas leiserem Ton fort, indem er nach Christel blickte, die jetzt mit geräuschloser Eile den Tisch zu decken begann: »Ein hübsches Mädchen, etwas zu blond vielleicht, sie ist eine Holländerin; aber das paßt hierher; ist doch die Alte, die da in ihrem Lehnstuhl nickt, wie ein Bild von Terburg! Dazu der Pinnow mit seinem Bulldoggengesicht und der Robbengestalt, und der Jakob mit seinen Karpfenaugen! – Aber das gefällt mir; ich verabsäume selten, wenn ich, wie diesmal, ohne meinen Wagen in der Stadt gewesen bin, hier vorzusprechen, und lasse mich dann von Pinnow hinüberfahren, um so lieber, als ich von hier aus bei günstigem Winde in einer halben Stunde drüben sein kann, während[38] ich auf der Stadtfähre selten unter einer Stunde wegkomme und dann noch eben so lange bis auf mein Gut habe.«

Der Fremde hatte dies Alles in einer angenehmen, verbindlichen Weise gesagt, die mir höchlichst gefiel; dabei strich er sich wiederholt mit der linken Hand über den Vollbart, der ihm bis auf die Brust herabreichte, und dann blitzte manchmal ein Diamantring an seinem Finger. Ich begann einen großen Respect vor dem fremden Herrn zu bekommen und hätte gar zu gern gewußt, wer er sei, wagte aber nicht darnach zu fragen.

»Welch abscheuliche Luft hier im Zimmer ist,« fuhr er plötzlich auf; »zum Ohnmächtigwerden!« – und er wollte das Fenster, an welchem wir saßen, öffnen; wandte sich aber wieder um und sagte: »Ja so! Die Alte könnte sich erkälten. Christel! kannst Du die Alte nicht zu Bett bringen?«

»Gleich, Herr!« sagte Christel, die eben mit dem Decken des Tisches fertig geworden war.

Sie trat an die Alte heran und schrie ihr in's Ohr: »Großmutter, Ihr müßt zu Bett!«

Die Alte schien dazu keine rechte Lust zu haben, denn sie schüttelte heftig den Kopf, ließ sich aber endlich von dem Mädchen aus ihrer hockenden Lage aufrichten und schlich, auf den Arm desselben gestützt, durch das Zimmer. An den Stufen angelangt, die zur Abseite führten, blickte Christel sich um; ich sprang hinzu und hob die Alte die Stufen hinauf, während Christel die Thür öffnete, hinter der sie dann mit ihrer Bürde verschwand.

»Brav, junger Mann,« sagte der Fremde, als ich zu ihm zurückkehrte; – »man muß stets höflich gegen Damen sein. Und nun wollen wir das Fenster öffnen.«

Er that es. Die Nachtluft strömte herein. Es war dunkler geworden; der Mond hatte sich hinter schwerem Gewölk, das von Westen heraufzog, versteckt; von dem nur wenige Schritte entfernten Meer kam ein lautes Brausen und Rauschen der auf dem Strand zerschellenden Wellen; ein paar Regentropfen fielen mir in's Gesicht.

Der Fremde blickte aufmerksam hinaus. – »Wir werden bald abfahren müssen,« hörte ich ihn murmeln. Dann sich zu mir wendend: »Aber jetzt wollen wir essen; ich sterbe fast vor Hunger. Wenn Pinnow lieber brummen als essen will, mag er es. Kommen Sie!«[39]

Er schritt zum Tisch, an welchem er sich niederließ, indem er mich mit einer Handbewegung einlud, an seiner Seite Platz zu nehmen. Ich hatte den Tag über sehr viel weniger gegessen als getrunken, und meine kräftige Natur, welche den Rausch längst überwunden hatte, verlangte gebieterisch nach Erquickung. So folgte ich der Aufforderung meines Wirthes gar gern, und der Inhalt des Korbes, den Christel vorhin ausgepackt hatte, war wohl im Stande, auch einen verwöhnteren Gaumen zu reizen. Da war Caviar, geräucherter Lachs, Schinken, frische Wurst, Pickles; auch an Wein fehlte es nicht. Zwei Flaschen Rothwein mit einer feinen Etikette standen bereits auf dem Tisch, aus dem Korbe schaute noch der weiße Kopf einer Flasche Champagner.

»Das sieht nicht übel aus,« sagte der Fremde, indem er mir und sich einschänkte, sich bald von diesem, bald von jenem nehmend, mich auffordernd, ein Gleiches zu thun, und zwischendurch allerlei in seiner angenehmen Weise plaudernd. Ohne daß er direct gefragt hätte, waren wir doch, ich weiß nicht wie, auf meine Angelegenheiten zu sprechen gekommen, und wir hatten die erste Flasche noch nicht geleert, als ich ihm, zutraulich und mittheilsam wie ich war, bereits so ziemlich die kurze Geschichte meines allerdings nicht langen und nicht eben inhaltreichen Lebens erzählt hatte. Etwas mehr Zeit erforderte die Relation der Ereignisse des heutigen, für mich so verhängnißvollen Tages. In dem Eifer des Erzählens hatte ich, ohne darauf zu achten, wieder mehrere Gläser Wein getrunken; der Druck, der auf meiner Seele gelegen hatte, war alsbald gewichen: meine alte, gute Laune brach wieder durch, um so mehr, als die Begegnung mit dem geheimnißvollen Fremden unter so eigenthümlichen Umständen meiner Abenteuerlust die köstlichste Nahrung bot. Ich schilderte die Flucht aus der Schule, ich copirte den Professor Lederer in Stimme und Redeweise; ich war unendlich satirisch, als ich ein Bild von dem Commerzienrath entwarf, und ich fürchte, daß ich mit der Faust auf den Tisch schlug, als ich auf meines Freundes Arthur schändliche Undankbarkeit und die hochmüthige Parteilichkeit des Steuerraths zu reden kam. Dann gerieth meine geschwätzige Zunge in's Stocken; das melancholische Halblicht in meines Vaters Arbeitsstube breitete sich über mein verdüstertes Gemüth, ich schlug tragische Töne an, ich schwur, daß ich nun und nimmer, und sollte ich barfuß,[40] wie ich schon barhaupt sei, zum Nordcap pilgern und mein Brod vor den Thüren erbetteln, oder, da Betteln nicht meine Stärke sei, darüber zum Räuber werden – daß ich nun und nimmer zu meinem Vater zurückkehren werde, nachdem er mich einmal zu seinem Hause hinausgetrieben. Hier sei die Grenze dessen, was ich von meinem Vater zu leiden mich für verpflichtet halte; der Schuldbrief der Natur sei zerrissen, das stehe bei mir fest, wie die Sterne am Himmel, und wenn Jemand darüber lache, so thue er das auf seine eigene Gefahr.

Damit sprang ich vom Tisch auf und stieß das Glas, aus dem ich getrunken, so heftig auf, daß es zerbrach. Der Fremde war nämlich, nachdem er mich während meiner Erzählung schon wiederholt durch seine Heiterkeit bald ermuthigt, bald eingeschüchtert hatte, bei meinen letzten Worten, die wohl sehr pathetisch herausgekommen sein mochten, in ein schallendes Gelächter, das kein Ende nehmen wollte, gefallen.

»Sie sind gut zu mir gewesen,« rief ich; »ich würde ohne Ihre Dazwischenkunft schwerlich unterlegen sein; aber gleichviel! Sie haben mir im rechten Augenblicke Hülfe geleistet, und jetzt haben Sie mich bewirthet mit Speise und Trank – so mögen Sie lachen, so viel Sie wollen; aber ich für meinen Theil will es nicht länger mit anhören. Leben Sie wohl!«

Ich suchte mit den Augen nach meiner Mütze, fuhr mir, da ich mich besann, daß ich keine hatte, durch mein dichtes lockiges Haar und stürzte nach der Thür, als mir der Fremde, der mittlerweile sich auch erhoben hatte, nacheilte, mich am Arm ergriff und in jenem freundlich-ernsten Tone, der mir vorhin so sehr gefallen hatte, sagte: »Junger Mann, ich bitte Sie um Verzeihung; und nun kommen Sie und setzen Sie sich wieder; mein Wort als Edelmann, ich werde Ihre Gefühle respectiren, wenn Sie dieselben auch in einer etwas sonderbaren Weise äußern sollten.«

In seinen dunkeln Augen zuckte es, und um die Augen in dem Labyrinth von Fältchen zuckte es ebenfalls. – »Sie treiben Ihren Scherz mit mir,« sagte ich.

»Mein Wort als Edelmann, nein! Im Gegentheil, Sie gefallen mir ganz ausnehmend, und ich wollte Sie schon ein paar Mal während Ihrer Erzählung unterbrechen, mir eine Gunst von Ihnen zu erbitten. Kommen Sie auf einige Zeit[41] zu mir! Ob Sie sich nun mit Ihrem Vater wieder aussöhnen, wie ich hoffe, oder ob Sie es nicht thun, wie Sie glauben – immer müssen Sie vor Allem erst einmal ein Dach über dem Kopfe haben, und hier können Sie doch unmöglich bleiben, wo man Sie offenbar nicht will. Mir für meinen Theil erweisen Sie, wie gesagt, eine Gunst, wenn Sie meine Einladung annehmen. Ich kann Ihnen nicht viel bieten, aber – schlagen Sie ein! So! nun wollen wir in Champagner auf gute Kameradschaft anstoßen.«

Ich hatte dem liebenswürdigen Geheimnißvollen schon längst verziehen und konnte ihm in dem schäumenden Wein von Herzen Bescheid thun. Wir hatten unter Lachen und Scherzen im Nu die Flasche geleert, als der Schmied hereintrat. Er hatte sein Schurzfell abgebunden, eine Schifferjacke angezogen und ein dickes Tuch um den muskulösen Hals gewunden. Es fiel mir heute Abend zum ersten Male auf, daß er die große blaue Brille nicht trug, ohne die ich ihn in den letzten Jahren, wo er kurzsichtig geworden zu sein behauptete, nie gesehen; ja es war mir, als hätte er dieselbe schon vorhin während des Kampfes und auch später nicht getragen. Doch konnte ich mich irren; auch hatte ich keine Zeit über den sonderbaren Gegenstand nachzudenken, denn meine Aufmerksamkeit wurde alsbald von einem halblaut geführten Gespräch zwischen dem Schmied und meinem Unbekannten in Anspruch genommen.

»Ist es Zeit?« fragte der Fremde.

»Ja,« antwortete der Schmied.

»Der Wind ist gut?«

»Ja.«

»Alles in Ordnung?«

»Bis auf den Anker, den Sie mich nicht haben fertig machen lassen.«

»Es wird auch so gehen.«

»Aber schlecht.«

Der Fremde stand nachdenklich da; sein schönes Gesicht sah mit einem Male wieder zwanzig Jahre älter aus; er strich sich den Bart, und ich bemerkte, daß er mich aus den Augenwinkeln fixirte. Plötzlich ergriff er den Schmied am Arm und führte ihn zur Thür hinaus, die er hinter sich schloß. Draußen hörte ich sie sprechen, doch konnte ich nichts verstehen; der Fremde sprach in gedämpftem Ton, und des[42] Schmieds mürrische Stimme war immer schwer verständlich. Dann aber wurde das Gespräch laut und, wie es schien, heftig und immer heftiger, besonders von Seiten des Schmieds. –

»Ich will es!« rief der Fremde. – »Und ich sage nein!« grollte der Schmied. – »Es ist meine Sache.« – »Und meine Sache ebenso gut.«

Die Stimmen sanken wieder; bald darauf hörte ich die Außenthür knarren. Sie hatten die Schmiede verlassen; ich sah sie von dem offenen Fenster aus, an welches ich getreten war, nach dem kleinen Schuppen gehen, der hart am Strande lag und bei dem das Boot Pinnow's auf den Sand gezogen zu werden pflegte. In dem Schatten des Schuppens verschwanden sie; dann hörte ich eine Kette klirren und ein Knirschen im Sande; man machte das Boot flott; dann war Alles wieder still; nur das Brausen des Meeres erschallte stärker und mischte sich mit dem Rauschen des Windes in den Blättern der alten Eiche, die ihre halbverdorrten Aeste über die Schmiede breitete.

Ein Geräusch im Zimmer machte, daß ich mich schnell umwandte. Es war Christel; sie stand dicht hinter mir, mit gespannten Blicken, wie ich es eben gethan, durch das Fenster in die Dunkelheit starrend.

»Nun, Christel!« sagte ich.

Sie legte den Finger auf den Mund.

»St!« flüsterte sie.

Sie winkte mir vom Fenster zurück, bis mitten in's Zimmer; verwundert mehr als erschrocken folgte ich ihr.

»Was hast Du, Christel?«

»Fahren Sie nicht mit! Thuen Sie es ja nicht! Und gehen Sie auch von hier fort, sogleich. Sie dürfen hier nicht bleiben.«

»Ja, aber Mädchen, warum denn nicht? Und – ja – wer ist der Herr?«

»Ich darf es nicht sagen; ich darf seinen Namen nicht nennen. Wenn Sie mitfahren, werden Sie's ja so wie so zu wissen bekommen; aber fahren Sie nicht mit!«

»Was sollten sie mir thun, Christel?«

»Thun? Sie werden Ihnen nichts thun. Aber gehen Sie nicht mit!«

Von draußen ertönte ein Geräusch; Christel wandte sich von mir weg und fing an, den Tisch abzuräumen, während[43] die Stimmen der Beiden, die von dem Strande herankamen, deutlicher wurden.

Ich weiß nicht, was Andere, wären sie in meiner Lage gewesen, gethan haben würden; ich kann nur sagen, daß die Warnung des Mädchens auf mich gerade das Gegentheil der beabsichtigten Wirkung hervorbrachte. Zwar erinnere ich mich wohl, daß mein Herz lebhafter schlug, und daß mein Blick mit einer gewissen Hast über die vier doppelläufigen Jagdgewehre und die lange Vogelflinte streifte, die auf ihrer gewöhnlichen Stelle in einer Reihe an der Wand hingen; aber mein Verlangen, das Abenteuer zu bestehen, war jetzt erst recht erwacht. Ich fühlte mich so vollauf jeder Gefahr, die an mich herantreten konnte, gewachsen, und daß man gegen mich persönlich nichts Böses im Schilde führte, hatte ja Christel selbst zugegeben. Ueberdies – und ich glaube, dieser Umstand birgt vorzugsweise die Erklärung für mein Verhalten an diesem Abend, – der Fremde, wer es auch sein mochte, hatte es mir förmlich mit seinem halb ernsten, halb übermütigen, halb teilnehmenden, halb spöttischen, für mich ganz unergründlichen Wesen angethan. In späteren Jahren, wenn ich von dem sagenhaften Rattenfänger von Hameln hörte, dem die liebe Jugend folgen mußte, sie mochte wollen oder nicht, habe ich wohl an jene Nacht und an jenen Mann gedacht.

Er war jetzt ebenfalls mit einer groben, weiten Schifferjacke bekleidet, die Tuchmütze, die er vorhin getragen, hatte er mit einem niedrigen Wachstuchhut vertauscht. Pinnow öffnete einen Wandschrank und langte eine eben solche Jacke nebst Hut hervor, die der Fremde mich anzulegen bat. – »Es wird kalt werden,« sagte er, »und Ihr Anzug dürfte Ihnen wenig Schutz gewähren, wenn wir auch hoffentlich nicht lange unterwegs sind. So, das steht Ihnen prächtig; nun wollen mir machen, daß wir fortkommen.«

Der Schmied war an Christel herangetreten und hatte ihr ein paar Worte zugeraunt; Christel erwiederte nichts; sie hatte mir, nachdem die Männer eingetreten waren, den Rücken gewandt und blickte sich auch jetzt nicht um, als ich ihr gute Nacht wünschte.

»Kommen Sie!« sagte der Fremde.

Wir gingen durch die Schmiede, in welcher das Feuer auf dem Herd gelöscht war, und traten hinaus in die wehende[44] Nacht. Als ich mich nach ein paar Schritten umwandte, war auch das Licht in der Wohnstube erloschen; dunkel lag das Haus da in der Dunkelheit, und in den dürren Zweigen der alten Eiche ächzte und stöhnte es.

Vom Strande her rauschte es laut; der Wind hatte sich noch stärker aufgemacht; der Mond war untergegangen; kein Stern schien durch die treibenden Wolken, die eben jetzt von einer fahlen Helligkeit durchzuckt wurden, welcher ein dumpfhallender Donner folgte.

Wir gelangten zum Boot, das schon halb in's Wasser gezogen war. Ich mußte einsteigen, während Pinnow, der Fremde und der taubstumme Jakob, der plötzlich aus dem Dunkel aufgetaucht war und, so viel ich sehen konnte, jetzt ebenfalls in Schifferkleidung und in Wasserstiefeln war, das Fahrzeug vollends flott machten. Ein paar Minuten später glitten wir schon durch die Wasser, die um den Kiel aufsiedeten, der Fremde stand am Steuer, das er hernach, als Pinnow und Jakob die Segel aufgehißt hatten, an den Ersteren abtrat. Er setzte sich zu mir.

»Nun, wie gefällt Ihnen das?« sagte er.

»Ausgezeichnet,« erwiederte ich; »aber ich glaube, Pinnow, Sie könnten noch ein Reff einbinden; wir tragen zu viel Segel und da drüben – ich deutete nach Westen – sieht es bös aus.«

»Sie scheinen kein Neuling,« sagte der Fremde. Pinnow sagte nichts, commandirte aber alsbald: »Focksegel dal« (herab), indem er zugleich das Steuer herumdrückte und das Fahrzeug vor den Wind brachte. Es war die höchste Zeit gewesen; denn auch jetzt noch wurde das große Boot von der plötzlich heranstürmenden Boi so auf die Seite gedrückt, daß ich einen Augenblick glaubte, es werde kentern. Doch richtete es sich wieder auf. Fock und Klüver wurden ganz hereingenommen, das Hauptsegel nur zur halben Höhe wieder aufgehißt, und so schossen wir durch die Wellen, über deren schäumende Kämme das fahle Licht der Blitze zitterte, die sich jetzt in immer kürzeren Pausen folgten, während die Donner lauter und lauter zu brüllen begannen.

Indessen legte sich das Unwetter so schnell, als es heraufgezogen war; schon begannen einzelne Sterne wieder durch die Wolken zu blicken, ich kam von dem Vordertheil des Bootes, wo ich Jakob beim Ausschöpfen des Spülwassers geholfen[45] hatte, wieder nach dem Hintertheil und setzte mich zu dem Unbekannten, der mir mit der Hand über die Jacke strich.

»Sie sind durch und durch naß,« sagte er.

»Wie wir alle wohl,« erwiederte ich.

»Aber Sie sind es nicht gewohnt.«

»Dafür bin ich neunzehn Jahre.«

»Nicht älter?«

»Keine zwei Monate.«

»Sie sind ein ganzer Mann.«

Das kurze Wort machte mich so stolz, wie mich noch keine längste Strafpredigt des Professor Lederer oder eines andern meiner Lehrer gedemüthigt hatte. Es gäbe wohl wenig, was ich zu thun und auszuführen nicht im Stande gewesen wäre, hätte es der Unbekannte von mir gefordert; aber er verlangte keinen Pact mit der Hölle oder dergleichen, sondern nur, daß ich mich in dem Boot niederlegen und mich mit einem Stück Segeltuch zudecken lassen solle, denn die Fahrt werde, da der Wind umgesprungen, doch länger dauern; ich könne jetzt nichts mehr helfen, und »der Schlaf ist ein warmer Mantel, wie Sancho Pansa sagt,« meinte der Unbekannte.

Ich protestirte und behauptete, ich könne drei Tage und drei Nächte hintereinander wachen; aber ich that ihm doch den Willen und hatte mich kaum auf dem Boden des Bootes ausgestreckt, als der Schlaf, den ich so fern geglaubt, bleischwer auf mich sank.

Wie lange ich geschlafen habe, kann ich nicht sagen. Ich erwachte, als das Boot knirschend auf den Sand des Ufers stieß. Der Unbekannte half mir empor, doch weiß ich mich kaum zu erinnern, wie ich aus dem Boote gekommen bin, so verschlafen war ich. Ueberdies war es noch dunkle Nacht, ich sah nur eben das Aufschäumen der Wellen an einem lang hin sich streckenden flachen Strande, von dem man aber alsbald zu einem höheren Ufer aufstieg. Als ich ganz zu mir kam, war das Boot bereits wieder in See gestochen; mein Unbekannter und ich schritten unter Bäumen aufwärts. Er hielt mich an der Hand und machte mich auf die Unebenheiten des Weges, wo er jeden Stein und jede Baumwurzel zu kennen schien, mit freundlichen Scherzen aufmerksam. Dann gelangten wir auf die Uferhöhe; vor uns lag eine freiere Strecke, die aber etwas weiterhin von einer dunkeln Masse[46] begrenzt wurde, in der ich in dem ersten Dämmergran des Morgens die Häuser eines Gehöftes erkannte, dahinten ein Park oder Wald mit gewaltigen Bäumen.

»Da wären wir,« sagte der Unbekannte, als wir, über das stille Gehöft schreitend, vor einem großen, dunkeln Gebäude standen.

»Wo wären wir?« fragte ich.

»Bei mir zu Hause,« erwiederte er lachend, indem er auf dem Flur Licht zu machen sich bemühte.

»Und wo wäre das?« fragte ich weiter – ich wußte selbst nicht, wo ich plötzlich die Kühnheit hernahm.

Das Schwefelhölzchen blitzte auf; er entzündete ein bereit stehendes Licht; der Schein fiel hell in sein von dem langen, zerzausten Bart umstarrtes Gesicht, auf dem Regen und Sprühwasser jedes Fältchen zu einer Falte und jede Falte zu einer Furche vertieft hatte. Er sah mich groß mit den großen, tief in die Höhlen gesunkenen Augen an.

»Auf Zehrendorf,« sagte er, »bei Malte von Zehren, den sie den Wilden nennen. Es ist Ihnen doch nicht leid, daß Sie mir gefolgt sind?«

»Nein, bei Gott,« sagte ich.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig 1874, S. 36-47.
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