Sechstes Capitel.

[59] Da der nächste Tag ein Sonntag war, hatte ich Muße, über das sonderbare Benehmen des Doctors am gestrigen Abend meine Betrachtungen anzustellen; aber sei es, daß die Sache selbst zu verwickelt war, sei es, daß meine Erinnerungen durch die Nachwirkung des starken Getränkes gelitten hatten, ich konnte zu keinem bestimmten Resultat kommen. Daß der sonderbare Mann mich in seiner Weise sehr liebte, dafür hatte ich unzählige Beweise; und auch gestern Abend war sein Zorn[59] mehr der eines älteren Bruders gewesen, welcher zu sehen glaubt, daß sein jüngerer geliebter Bruder nicht auf dem richtigen Wege ist. Aber was in aller Welt hatte ich denn verbrochen? Daß der Doctor aus meiner Absicht, mir den Weg durch das Leben selbst zu bahnen, einen ernstlichen Vorwurf machen sollte, war im Grunde unmöglich. Hatte er sich doch selbst sehr früh auf die eigenen Füße gestellt und an dem einmal entworfenen Lebensplan mit zäher Hartnäckigkeit festgehalten. Daß ich mich aber zum Arbeiter gemacht, konnte in den Augen eines Mannes, dessen Herz so warm für die Armen schlug, der sein ganzes Leben den Armen und Elenden geweiht hatte, gewiß kein Verbrechen sein. Der Grund seines Zornes mußte also irgendwo anders liegen, und nach langem Grübeln brachte ich heraus, daß jenes Bild Paula's, auf welchem ich als Richard Löwenherz figurirte, der erste Anlaß des Streites gewesen war. Hatte er es übel genommen, daß Paula an ihrem Modell festgehalten? gönnte er mir nicht die Ehre, von Paula gemalt zu sein? ärgerte er sich, daß jenes Bild nicht in seinen Besitz, sondern in die Hände eines ihm so verhaßten und verächtlichen Mannes, wie des Commerzienraths, gekommen war? Das Alles waren wohl aufzuwerfende Fragen; zuletzt entschied ich mich doch für die dritte Annahme, und zugleich dafür, daß ich, bevor ich heute Paula aufsuchte, das Streitobject sehen müsse.

So machte ich mich denn gegen Mittag auf, in das Academie-Gebäude zu gehen, in dessen Sälen schon seit Wochen die große Gemälde-Ausstellung aufgestellt war. Es war meine erste Bekanntschaft mit einem derartigen Schauspiel. Was ich bis jetzt an Bildern gesehen, beschränkte sich auf die wenigen alten, eingedunkelten Heiligenbilder in den Kirchen meiner Vaterstadt, die Kupferstiche und Familienportraits in dem Hause des Directors, und endlich die Bilder, welche ich unter Paula's Händen hatte entstehen sehen. Dennoch, da ich das Wenige wieder und wieder mit innigstem Ergötzen betrachtet und wieder betrachtet und gewissermaßen studirt, und vor allem, da ich jahrelang der Zeuge des Schaffens einer wahren Künstlernatur gewesen war, hatte ich vielleicht, wenn nicht mehr, so doch gewiß nicht weniger Empfindung für das Schöne, als die Hunderte, die durch die Säle der Kunstausstellung wogten. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, mit welchem ich, bald der Menge folgend, bald von ihr geschoben, bald[60] für mich allein durch die hohen Hallen schweifte. Ich hatte so etwas nicht nur nie gesehen, ich hatte es auch für unmöglich gehalten. Gab es denn so viel Menschen, die mit Pinsel und Farbe umzugehen wußten, daß die Wände in diesem Labyrinth von Sälen von oben bis unten mit den Schöpfungen ihres Fleißes bedeckt sein konnten? und war die Welt so reich? Blaute wirklich über sonnigen Meeresbuchten des Südens ein so glänzender Himmel? Wuchsen schneebedeckte Alpen so majestätisch in den lichtdurchströmten Aether? Dämmerte es so schaurig in den tannenüberragten Schluchten heimischer Berge? Flatterten so unendliche Vögelschaaren über den breiten Wassern afrikanischer Ströme? Hoben sich die Paläste italienischer Städte so glanzvoll aus engen Kanälen, über welche die schwarzen Gondeln huschen? Gab es Säle in fürstlichen Gemächern, deren Marmorböden die Prunk-Möbel und die Gestalten der darüber hin Wandelnden so klar wiederspiegelten? Ja, es gab das Alles, was ich hier erschaute, und noch viel mehr, was meine angeregte Phantasie hinzuträumte. Denn je länger ich wandelte und schaute und stand und bewunderte, desto stärker kam die Empfindung über mich, als hätte ich dies Alles irgend wann schon einmal gesehen, ja, so genau gesehen, daß ich den Künstlern sagen konnte, was sie recht gemacht, und wo sie hinter der schönen Wirklichkeit weit zurückgeblieben seien. Manchmal gerieth ich ordentlich in Zorn über den dummen Maler, der so schlecht gesehen, und das schlecht Gesehene noch dazu so dürftig wiedergegeben hatte. Ich war mit einem Worte in kürzester Frist ein vollkommener Kenner der edlen Malerkunst geworden, nur daß ich vielleicht nicht immer zu sagen wußte, wie der Mann es hätte anfangen müssen, damit sein Werk besser geworden wäre; aber vielleicht qualificirte ich mich dadurch ganz besonders zum Kritiker.

So mochte ich wohl eine Stunde durch die Säle gewandert sein, als ich, in einen der letzteren, welcher sich durch ein schönes, starkes Oberlicht auszeichnete, tretend, heftig erschrak. Ueber die Köpfe der den Saal erfüllenden Menschenmenge weg, glaubte ich mich selbst zu erblicken. Und ich war es auch selbst, zum wenigsten mein Conterfei auf Paula's Gemälde, dem Gemälde, um dessen willen ich gekommen war, und nach welchem ich bis jetzt vergeblich ausgeschaut hatte. Eine ungewöhnlich dichte Gruppe hatte sich vor demselben versammelt und schaute eifrig mit, wie es schien, bewundernden Mienen[61] zu dem Werke der Freundin empor, und: ach! wie reizend, wie entzückend! wie tief empfunden! tönte es aus manchem schönen Munde. Es war doch eine sonderbare Sache, mich da vor allen Leuten in einem leichten linnenen Gewande auf einem Bette, mit einer seidenen Decke kaum verhüllt, liegen zu sehen! Das Blut stieg mir in's Gesicht; ich meinte, die Leute müßten sich jeden Augenblick von dem Bilde zu mir wenden, das Original mit dem Conterfei zu vergleichen. Aber es mag schwer sein, zu einem sageverherrlichten, kranken König Richard mit dem Löwenherzen auf einem Ausstellungsbilde das Original zu entdecken in einem großen, gesunden, jungen Menschen in sehr schlicht bürgerlicher Tracht, der ein paar Schritte davon sich in eine Ecke drückt. Zum wenigsten machte keiner die Entdeckung, und ich konnte mich ruhig der Betrachtung des Gemäldes hingeben.

Jetzt erst bemerkte ich, daß dasselbe von einer größeren Dimension war, als die Untermalung, welche ich kannte. Es war in der That ein neues Bild, das während der Zeit, die wir uns nicht gesehen, entstanden sein mußte. Um so bewundernswürdiger – es schien mir wenigstens – war die frappante Aehnlichkeit des kranken Königs mit dem Manne in der Ecke. Das waren des Letzteren röthliche krause Locken; das war seine mehr breite als hohe Stirn; das waren seine etwas großen brauen Augen, denen es schwer wurde, zornig zu blicken. Ja selbst das fieberhafte Roth, das auf den eingefallenen Wangen des königlichen Richard lag, hätte man in diesem Momente auf denen des Mannes im Fenster wiederfinden können. Im Uebrigen war das Bild dasselbe geblieben, nur der junge Ritter, welcher Arthurs Züge trug, mochte mehr in den Hintergrund gerückt sein, so das der breitschultrige Yeoman mit des Wachtmeisters Süßmilch Zügen besser zur Geltung kam. Eine ganz köstliche Figur war der arabische Arzt, alias Doctor Willibrod Snellius, der wunderlichste Heilige in der Tracht eines Derwisches, den man sich denken konnte, und dem man trotz seiner Häßlichkeit gut sein mußte, so daß man das großmüthige Vertrauen des Königs sofort begreiflich fand.

Das war also das Bild, das Paula gemalt und das Hermine gekauft hatte! War hier nicht zwiefacher Grund zu ein klein wenig Stolz und Hoffart? Mußte das Original nicht sehr fest in der Seele der Künstlerin stehen, wenn sie[62] die Copie aus der Erinnerung so ähnlich machen konnte? Mußte das Original der Käuferin nicht einigermaßen interessant sein, wenn sie die Copie so theuer bezahlen konnte? Das waren thörichte Gedanken, und ich kann versichern, daß sie ebenso schnell verschwanden, als sie gekommen waren; ja, daß ich mich ihrer herzlich schämte. Ich richtete mich aus einer so albernen Träumerei ärgerlich auf und wandte meine Blicke wieder nach dem Bilde, vor welchem sich das eifrig schauende Publikum noch vermehrt hatte. Unter den neu Hinzugetretenen bemerkte ich eine Dame in einer reichen und doch anmuthigen Toilette, die an dem Arm eines eleganten, etwas stutzerhaft gekleideten Herrn hing. Die Dame war mir durch ihren schlanken Wuchs und durch die Lebhaftigkeit aufgefallen, mit welcher sie mit ihrer kleinen Hand, die mit dem zierlichsten Glacéhandschuh bekleidet war, nach dem Bilde gestikulierte und zu ihrem Begleiter sprach, dessen Interesse von den Menschen vor dem Bilde augenscheinlich mehr in Anspruch genommen wurde, als von dem Bilde selbst. Da sie mir den Rücken zugekehrt hatte, konnte ich nur von Zeit zu Zeit ganz wenig von ihrem Gesichte sehen, wenn sie es über die Schulter zu ihrem Begleiter wandte. Aber dies Wenige hatte mich auf das Lebhafteste frappirt, ohne daß ich hätte sagen können, weshalb: eine dunkle Augenbraue, ein flüchtiger Glanz aus dem Winkel eines Auges, die Conturen einer bräunlichen Wange und eines runden Kinnes. Dennoch konnte ich den Blick nicht von der Dame wenden. Auch versuchte ich ein paar mal, ihr in das Gesicht zu sehen, aber immer bog sie sich auf die andere Seite. Dann schien der Herr seine Begleiterin aufzufordern, weiter zu gehen; sie waren im Begriff, den Saal zu verlassen; aber in dem Augenblick, als sie über die Schwelle schritten, wandte die Dame noch einmal den Kopf hinüber nach dem Bilde und es fehlte nicht viel, daß ich vor Schreck und Verwunderung laut aufgeschrieen hätte. War das nicht Konstanze gewesen?

»Haben Sie die Bellini gesehen?« fragte ein junger Offizier in meiner Nähe einen Bekannten, der eben grüßend an ihn herantrat.

»Die in dem grauen Seidenkleide mit dem Sammetpelz und dem koketten Hut? das war die Bellini?«

»Ja wohl! Ist es nicht ein reizendes Weib?«

»Süperb! Und der Herr, der sie am Arm hatte? war[63] das nicht der Baron Sandström von der schwedischen Gesandtschaft?«

»Der würde sich hier mit der Bellini zeigen! Ich bitte Sie, Baron! Es war der Tenorist Lenz vom Albert-Theater!«

»Derselbe, der sie für die Bühne gewonnen hat?«

»Derselbe. Sie soll ja ein fabelhaftes Talent haben. Nun, wir werden ja sehen, was daran ist.«

»Sehen, Baron? Sie werden doch nicht in das Albert-Theater gehen wollen?«

»Wenn es sich um eine Bellini handelt, warum nicht?«

»Sie sind ein Schwerenöther, Baron!«

»Kann das Compliment zurückgeben, wenn es eins sein soll!«

Und die beiden jungen Herren entfernten sich lachend.

Ich athmete auf. Gott sei Dank, murmelte ich. Gott sei Dank, daß dies eine Schauspielerin und nicht Konstanze von Zehren ist! Ich möchte sie nicht am Arm jenes Gecken wiedergefunden haben, und daß ein paar solcher Bürschchen so über sie sprächen!

Ich hatte im ersten Augenblick nicht daran gedacht, daß ich der schönen Dame nur nachzugehen brauchte, um sie noch einmal zu sehen; und als ich jetzt eilends die vorderen Säle durchschritt, war sie verschwunden. Ich athmete, nachdem ich mich von der Vergeblichkeit meines Suchens überzeugt hatte, hoch auf und sagte: Gott sei Dank! es ist auch besser, wenn Du dies Fräulein Bellini nicht wiedersiehst. Und während ich dies sagte, fühlte ich mein Herz heftig schlagen und meine Augen schweiften noch immer suchend über die Menge. Es waren gar eigenthümliche Erinnerungen, welche das fremde bekannte Gesicht dieser Dame in mir erweckt hatte, Erinnerungen aus der Zeit, in welcher die Eindrücke, die man empfängt, für immer haften.

Diese Erinnerungen verließen mich erst, als ich nach Paula's Wohnung schritt, die ich mir gestern hatte vom Doctor bezeichnen lassen, die langen Gassen der Stadt entlang, von denen ich viele heute zum ersten Mal betrat. Die Geschäfte und Läden waren des Sonntags wegen geschlossen; nichts desto weniger war viel Leben auf der Straße. Es war ein klarer, kalter Mittag im Anfang des December. Am Morgen war ein wenig Schnee gefallen, gerade genug, um die Dächer mit[64] Silberglanz zu überstreuen, und die Vorsprünge und Ornamente der Häuserfaçaden zierlich aufzuputzten. Die zahlreichen Fußgänger eilten raschen Schrittes über die Trottoirs, die stattlichen Rosse vor den schönen Carossen hieben mit ihren Hufen mächtig auf das hier und da noch bereifte Pflaster und selbst die abgetriebenen Gäule vor den gichtbrüchigen Droschken trotteten heute schneller als sonst. Der Anblick dieses munteren Lebens verjagte die bösen Träume, die sich meiner Seele bemächtigen wollten; ich fühlte mich so jung und kräftig, und inmitten eines großen mächtigen Stromes, der mich trieb, ohne mich zu überwältigen. Es war mir Alles neu und schön und reich; wer konnte wissen, zu welchen herrlichen Ufern mich der Strom noch treiben würde? Und einen schönen Port sah ich ja schon herüberwinken und eine liebe Gestalt; und ich beschleunigte meine Schritte, bis ich fast athemlos vor einem hübschen großen Hause in einer der elegantesten Vorstädte anlangte, und von dem Portier, als ich nach Frau von Zehren fragte, zwei Treppen hoch gewiesen wurde. »Aber die Herrschaften werden nicht zu Haus sein,« sagte der Mann. – »Niemand?« – »Ich kann es wirklich nicht sagen; vielleicht einer der jungen Herren.« – »So will ich nachsehen.« – »Haben Sie eine Bestellung, die ich annehmen kann?« – »Nein, ich muß selbst hinauf.«

Der Mann klappte, nicht ohne einen gewissen mißtrauischen Blick nach dem großen Mann, der gar nicht wie ein feiner Herr aussah, das Fenster zu, und ich eilte die beiden, mit Läufern belegten Treppen hinauf, und zog, indem ich dabei tief Athem holte, die Schelle, über der auf einem Messingschilde die Namen: »Frau von Zehren« und darunter: »Paula von Zehren« standen: Wer von den Jungen wird da sein? fragte ich mich; und ich ließ die trauten Gesichter von Benno, Kurt und Oskar, eines nach dem andern und zuletzt alle drei zusammen in der geöffneten Thür erscheinen, aber da nahte ein Schritt, der keinem der Knaben gehören konnte. Die Thür wurde geöffnet, und das alte, furchendurchzogene braune Gesicht des Wachtmeisters starrte mich aus den hellen blauen Augen fragend an.

»Guten Tag, Herr Süßmilch.«

Der Wachtmeister ließ vor Ueberraschung fast das Dutzend Pinsel, das er in der Hand hatte, fallen. »Herr du meines Lebens! da ist man ja endlich! Nein, wie wir uns aber freuen[65] werden, die gnädige Frau und die jungen Herren, und nun gar das Fräulein! Man komme herein!« Und er zog mich in die Wohnung, deren Thür er hinter uns verschloß, und führte mich dann in ein Zimmer, in welchem mich die Möbel als alte Bekannte freundlich grüßten.

Der Alte drückte mir noch immer die Hände und rief einmal über das andere: »Und wie prächtig man aussieht! Und ich glaube gar, man ist noch größer geworden! Und was hat man denn in der letzten Zeit arbeiten müssen, daß die Hände so hart sind? Es ist uns schlecht gegangen, he? Aber wir haben uns wacker gehalten, das ist die Hauptsache! Wie lange ist man denn nun aus dem verdammten Loche heraus?«

So fragte der Wachtmeister und drückte mich in einen Lehnsessel, und war sehr indignirt, als ich ihm sagte, daß ich bereits über zwei Wochen in der Stadt sei. »Es ist nicht möglich!« rief er. »Zwei Wochen, ohne zu uns zu kommen, die wir seit eben so lange jeden Tag gewartet haben! es ist nicht möglich! da möchte man doch gleich ein Bär mit sieben Sinnen werden!«

»Jeder erst für sich, Alter,« sagte ich. »Würde das wohl in der Ordnung gewesen sein, wenn ich sogleich hierher gekommen wäre und bei Fräulein Paula angefragt hätte, was aus dem großen Georg nun eigentlich werden solle?«

Der Wachtmeister kraute sich in dem krausen grauen Haar: »Freilich, freilich,« sagte er; »selbst ist der Mann. Bei einer Frau, oder nun gar einem Mädchen ist das allerdings anders, und darum mußte man auch Knall und Fall mit ihnen fort, damit sie doch Jemand unterwegs hätten und hier bei der ersten Einrichtung, und überhaupt, damit Jemand nach dem Rechten sehen könnte, denn Damen bleiben doch immer Damen und Mann ist Mann. Und das muß Jeder sagen, der auch nur einen Zahnstocher von einem Scheunenthor unterscheiden kann. Ist man nicht meiner Meinung?«

»Ohne Zweifel, Süßmilch, ohne Zweifel, und Sie sind seitdem natürlich immer hier gewesen?«

»Nun natürlich,« sagte der Alte, der sich mir gegenüber gesetzt hatte, aber auf den Rand des Stuhles, wie um anzudeuten, daß er die Grenzen, die er sich selbst gezogen, inne zu halten wisse; – »und dann, ganz abgesehen von allem Andern, kann man ja ohne meinen Kopf nicht fertig werden.«[66]

»Und ohne Ihre Hände!«

»Sind nicht so wichtig, obgleich sie auch manchmal in Frage kommen,« erwiederte der Alte, indem er die Pinsel zwischen den Fingern ordnete, »aber den Kopf« – und er schüttelte diesen interessanten und wichtigen Theil des Körpers hin und her.

»Ich habe ihn nur noch eben in der Ausstellung gesehen,« sagte ich, da mir glücklicher Weise ein Licht darüber aufging, welche Rolle der Kopf des Alten eigentlich in dem Haushalt der Familie spiele.

»Nicht wahr?« sagte der Alte wohlgefällig; »man ist nicht übel weggekommen; aber der Klosterbruder wird noch besser.«

»Der, wer?«

»Der Klosterbruder!« sagte der Alte; »ja so, man weiß ja nicht, was wir jetzt malen, das muß man doch gleich einmal sehen.«

Der Alte sprang mit jugendlichem Eifer auf und ging mir voran in ein großes und hohes Nebenzimmer, welches das Atelier Paula's war. Skizzen und Bilder mancherlei Art hingen und standen an den Wänden; dazwischen Köpfe, Arme, Beine von Gips, ein paar alte Waffen, Helm und Brustharnisch, ein Gliedermann, der mit einem langen weißen Mantel drapirt war, in der Nähe des bis zum Plafond hinauf reichenden Fensters ein Bild auf der Staffelei, von welchem der Wachtmeister geschäftig die Decke abnahm. »Ist das nicht eine Pracht,« sagte er; »hier muß man sich herstellen!«

»In der That!« sagte ich.

»Habe ich nicht recht, daß mein Kopf hier noch ganz anders herausgekommen ist,« sagte der Wachtmeister, mit stolzer Hand auf den Klosterbruder deutend, der im Begriff stand, den Tempelherrn zu ergründen. Die beiden Gestalten standen klar und plastisch da, mit einem solchen Leben in den Mienen, daß man ihnen die Worte von den Lippen nehmen zu können glaubte: die köstlichste Einfalt in dem guten wetterdurchfurchten Gesicht des frommen Bruders, der einst Reitknecht gewesen und gar manchen braven Herrn gehabt und manchen sauren Dienst gethan, von welchem ihm doch keiner so sauer geworden, als der hier, im Auftrage des Patriarchen. Auf der andern Seite der Templer, jung und schlank, den Kopf trotzig in den Nacken geworfen, die Lippen unwillig geschürzt[67] und mit den blauen Augen auf den armen Klosterbruder herabblitzend. Im Mittelgrunde ein Stück von Nathan's Haus und die Palmen, die des Auferstandenen Grab beschatteten; weiter hinten die Kuppeln und schlanken Minarets von Jerusalem mit dem prangenden Halbmond, sich hell abhebend von dem südlichen Himmel, in dessen unendliche Ferne das Auge sich mit Entzücken verliert.

»Der junge Herr hat etwas von uns bekommen; hier so herum und hier,« sagte der Wachtmeister, mit dem Finger auf Augen und Mund des Tempelherrn deutend, und dann wieder mich ansehend; »aber ich habe uns gleich gesagt, es ist diesmal nicht so gut, wie bei dem Richard; lange nicht so gut,« und der Alte schüttelte bedenklich den Kopf.

»Aber Fräulein Paula kann mich ja doch nicht immer malen,« sagte ich entschuldigend, »das würde doch am Ende zu gleichförmig werden. Mit Ihnen ist das etwas anders, einen solchen Kopf findet man nicht zweimal.«

»Nicht wahr,« sagte der Wachtmeister; »es ist merkwürdig, man hat es ja selbst nie geglaubt, ja, man hat kaum gewußt, daß man einen Kopf hatte, aber sie sagen es ja Alle, die hierher kommen, und sie wollen mich ja alle in ihre Ateliers haben, und Fräulein Paula hat mich ja auch schon ein paar Mal hergeliehen; aber man sieht auf denen andern Bildern wie ein Bär mit sieben Sinnen aus, man kennt sich selbst nicht wieder.«

»Und wie geht es ihr sonst?« fragte ich.

»Je nun,« erwiederte der Alte, »es geht ja so, wenn wir nur nicht so viel arbeiten müßten; aber von des Morgens, so bald es hell genug ist, bis man am Abend keine Farbe von der andern unterscheiden kann, hier im Atelier, oder auf dem Museum zum Copiren – das hält ja kein Bär aus, geschweige denn so ein zartes Fräulein, das noch dazu den Tod von dem gnädigen Herrn gar nicht überwinden kann, und Tag für Tag heimlich ihre heißen Thränen darüber weint. Es ist ein wahrer Jammer.«

Der Alte wandte sich ab, und legte die Pinsel in den Kasten und wischte sich dann mit dem Rücken der Hand schnell über die Augen.

Ich stand mit verschränkten Armen vor dem Bilde, das mir gar nicht mehr gefallen wollte, wenn ich daran dachte, daß sie vom Morgen bis zum Abend rastlos daran arbeitete,[68] während ihr der Schmerz um den vielgeliebten Vater das Auge verdunkelte. Es wäre doch ein schönes Ding, fünfzigtausend Thaler zu haben und sagen zu können: Du sollst dich wenigstens nicht so quälen; du sollst wenigstens nicht deine schönen Augen vor der Zeit einbüßen, wie deine arme Mutter.

»Wie geht es Frau von Zehren?«

»So weit gut,« erwiederte der Wachtmeister, die Staffelei zurückschiebend; »aber kaum noch ein Schimmer; und der Doctor, den wir hier gefragt haben und der ja wohl am meisten davon verstehen soll, hat gesagt, es sei auch keine Hoffnung, daß sie jemals wieder sehen werde.«

»Und Benno, und die Andern?«

Ein freundlicher Strahl zuckte über des Alten braunes Gesicht.

»Nun ja,« sagte er, »an denen haben wir freilich unsere Freude. An dem Einen immer noch mehr als an dem Andern; Benno ist ja nun gar Student seit vier Wochen, und Kurt wird's bald werden. Ja, an denen haben wir unsere helle Freude. Und nun gar an unserm Kleinen! der soll auch Maler werden, und mit meinem Kopf hat man natürlich angefangen und man hat sich für seine fünfzehn Jahre nicht schlecht aus der Affaire gezogen. Man sehe nur selbst, ob es nicht –«

In diesem Augenblicke wurde an der Thür geschellt. Der Alte, der eben ein großes Reißbrett zur Hand genommen hatte, trat damit an's offene Fenster und schaute auf die Straße. »Ich dachte, sie wären es;« sagte er; »wir sind nämlich alle spazieren gegangen, weil der Tag so schön ist, aber es ist noch zu früh, als daß sie schon wieder zurück sein könnten, es muß schon Jemand andere sein, man muß einmal nachschauen;« und der Alte stellte das Reißbrett, auf welches Oskar seinen ersten Studienkopf nach der Natur gezeichnet hatte, hin und ließ mich wieder in dem Atelier allein.

Ich hörte auf dem Gange sprechen, ich meinte Paula's Stimme zu hören, dann wurde die Thür geöffnet, und wirklich war es Paula, die hereintrat.

Sie bemerkte mich nicht gleich, und ich sah auf den ersten Blick, daß der Wachtmeister nichts von meiner Anwesenheit gesagt hatte. Sie blickte, indem sie rasch vorwärts kam, eifrig nach der verhüllten Staffelei. Der frische Hauch des Wintertages lag auf ihrem Gesicht; ihr Mund war leise geöffnet.[69] Ich hatte sie nie so schön gesehen, nie geglaubt, daß sie so schön sein könne. Plötzlich erblickte sie mich; sie blieb stehen, ihre Augen wurden starr; sie hob ihre Hand und ihr Athem stockte sichtbar. »Paula,« sagte ich, rasch vortretend, »ich bin's wirklich; liebe Paula!«

»Lieber Georg!«

Sie stand vor mir und ich hielt ihre beiden Hände in den meinen, und sie schaute erröthend und lachend zu mir auf und sagte: »Gott sei Dank, Georg, daß Du endlich, endlich hier bist; ich habe keine ruhige Stunde gehabt, seitdem ich wußte, daß Du wieder frei und auf dem Wege hierher warst; ich konnte nicht begreifen, wo Du bliebst; ich fürchtete schon, es müsse Dir ein Unglück begegnet sein. Was hast Du denn begonnen? welche Abenteuer ausgeführt, Du böser Mensch? Von dem Einen weiß ich schon, und aus dem allerschönsten Munde.«

Paula hatte sich auf einen niedrigen Sessel in der Nähe des Bildes gesetzt und schaute mit lächelnden Augen zu mir auf.

»Du brauchst nicht so verlegen zu werden,« sagte sie schelmisch; »mit einer Schwester macht man so viel Umstände nicht. Ich bin im ausschließlichen Besitz sämmtlicher zarten Geheimnisse Benno's und neuerdings beehrt mich auch Kurt mit seinem Vertrauen; er schwärmt für die zwölfjährige Tochter des Geheimraths, der kürzlich in die Bel-Etage gezogen ist, und behauptet, so einen Kopf habe Raphael nie gemalt. Weshalb sollte ich nun nicht auch die Mitwisserin Deiner Abenteuer sein, der Du doch mein ältester Bruder bist; oder bist Du es nicht?«

Mir war es so fremd, Paula, die sonst jedes Wort abwog, in dieser Weise plaudern zu hören. Eine große Veränderung mußte mit ihr vorgegangen sein, seitdem wir uns getrennt. Es war die Paula nicht mehr, die im Schatten der hohen Gefängnißmauern vor meinen Augen sich aus dem Kinde zur Jungfrau entwickelt hatte, und die ich zu kennen glaubte, wie mich selbst. Was hatte ihr doch so die Zunge gelöst? Und wer hatte ihr die freie Haltung gegeben, die ich an ihr bewunderte, als ich sie jetzt in dem niedrigen Lehnsessel hingelehnt sah, während ein Strahl des Sonnenlichts ihr Haupt streifte, daß es wie von einer Aureole umgeben war?[70]

»Nun, Du antwortest ja nicht,« fuhr sie fort, »und brauchst Dich doch Deiner That wahrlich nicht zu schämen; Hermine sagt, daß ohne Dich das Schiff verloren gewesen wäre, und wahrscheinlich das andere auch. Du kannst Dir denken, wie stolz ich auf Dich war, als ich das hörte, und weißt Du, was mein erster Gedanke war? daß der Vater es noch hätte hören können.«

Paula's große Augen füllten sich mit Thränen; aber sie überwand die wehmüthige Regung schnell und sagte: »Ja, ich war stolz auf Dich und froh in dem Gedanken, daß Du mit einer schönen That, die Deiner würdig war, in das Leben zurücktratst und Dich so gleich wieder heimisch fühlen lerntest. Und nun mußt Du mir erzählen, was Du während dieser ganzen Zeit angefangen, und Du sollst es büßen, wenn ich mit Dir nicht zufrieden sein kann. Hier, setz' Dich in den Stuhl. Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit, bevor Mutter mit den Jungen zurückkommt. Mir war unterwegs ein Gedanke zu dem Bilde da gekommen; nun ist es besser so.«

Ich gab dem theuren Mädchen einen genauen Bericht dessen, was mir die letzten Wochen meines Lebens gebracht. Sie hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu, und nur einmal lächelte sie, als ich beweisen zu müssen glaubte, daß ich in die Maschinenfabrik auf jeden Fall eingetreten sein würde, und daß die Thatsache, jetzt den Commerzienrath gewissermaßen zum Brodherrn zu haben, mir keineswegs behaglich sei.

»Aber weder der Commerzienrath, noch Hermine wissen etwas davon!«

»Nein,« sagte ich, »und das ist ein Trost.«

»Der nicht vorhalten wird, denn sie werden es nun doch bald erfahren.«

»Von wem zum Beispiel?«

»Zum Beispiel von mir. Hermine hat mich bei Sonne, Mond und allen Sternen beschworen, ihr von dem Wildfang Nachricht zu geben, so bald er sich, wie es sich gebührt, eingefunden haben würde; und dabei haben ihr die Thränen in den schönen Augen gestanden; und Fräulein Duff hat ihr die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: Suche treu, so findest Du! Ich kann Dich versichern, Georg, es war eine rührende Scene.«[71]

Paula lächelte, aber so freundlich, daß ihr Spott, wenn sie meiner spottete, nicht weh that. Im Gegentheil, ich war ihr sehr, sehr dankbar. Hatte ich doch schon hin und her überlegt, wie ich ihr die sonderbare Begegnung mit Hermine würde erzählen können, ohne dabei verlegen zu werden; und jetzt wurde unter ihren lieben Händen Alles glatt und schön, was sich unter meinen plumpen Fingern hoffnungslos verwirrt hatte. Ich war ihr sehr, sehr dankbar.

Und nun erzählte Paula von Herminen, und wie liebenswürdig und wie gut das schöne Kind sich gegen sie benommen und wie sie die drei Tage, die sie in Berlin gewesen, fast ausschließlich bei ihr zugebracht, und sich sofort in das Bild auf der Ausstellung verliebt habe – hier lächelte Paula wieder ein ganz klein wenig – und sich gar nicht habe beruhigen wollen, daß das Bild, nachdem sie es gekauft und den allerhöchsten Preis bezahlt, noch einen ganzen Monat auf der Ausstellung bleiben müsse. Und weiter erzählte Paula, wie ihr das Aufsehen, welches der Richard Löwenherz gemacht, bereits neue Bestellungen eingebracht habe, und daß »Klosterbruder und Tempelherr« an einen jüdischen Bankier für eine namhafte Summe verkauft sei; und wie ihr Atelier seitdem von vornehmen Leuten besucht werde, mehr, als ihr lieb sei, und wie sie ihre Skizzenmappe habe wegschließen müssen, weil man ihr die Blätter unter den Händen weggerissen.

»Du kannst Dir denken,« sagte das liebe Mädchen, »wie unendlich glücklich mich das Alles macht. Nicht, als ob ich deswegen stolz sein zu dürfen meinte! – ich glaube recht gut zu wissen, wo es mir fehlt, und wie viel mir fehlt, ja, daß es mir eigentlich an Allem gebricht, und daß, was die Leute zu meinen Bildern zieht, nichts ist, als eine gewisse Unmittelbarkeit, eine kecke Naivetät, möchte ich sagen, die aus diesen schülerhaften Versuchen spricht, und die, glaube ich, Andere, welche durch so viele Academien gelaufen sind, nicht mehr haben können. – Aber, wie dem auch sei, es ist mir ein süßer Trost, nun um die Zukunft der Mutter und der Brüder ruhig sein zu dürfen, und daß die Jungen ihren Weg gehen dürfen, ohne ängstlich jeden Schritt zu überlegen; alle Jungen, vom jüngsten bis zum ältesten; nicht wahr, Georg? vom jüngsten bis zum ältesten?«

Sie blickte mir groß in die Augen, und ich wußte recht gut, was sie meinte.[72]

»Ich überlege nicht ängstlich jeden Schritt, Paula,« sagte ich. »Ich weiß, daß ich auf dem rechten Wege bin; weshalb sollte ich da ängstlich sein?«

»Ich habe unendliches Vertrauen zu Dir,« entgegnete Paula, »zu Deiner Einsicht und zu Deiner Kraft. Ich weiß, daß Du Deinen Weg finden wirst; aber man kann einen Weg mit größerer oder kleinerer Mühe, in längerer oder kürzerer Zeit zurücklegen, und Deine Schwester wünscht, daß ihr Bruder, den man so grausam um so viele Jahre seines Lebens betrogen, keine Minute verliere und sich an keinen Stein stoße, den ihm seine Schwester aus dem Wege räumen kann.«

»Ich danke Dir, Paula,« sagte ich; »von ganzem Herzen danke ich Dir, aber Du wirst mir nicht zürnen, wenn ich wünsche, daß nie die Stunde kommen möge, wo Du für mich arbeiten müßtest; denn daß ich je für Dich und die Deinen würde sorgen dürfen, auf diese meine theuerste Hoffnung und diesen meinen liebsten Wunsch muß ich ja jetzt verzichten.«

»Wie Du nur so sprechen magst,« sagte Paula, ihr schönes Haupt leise schüttelnd; freilich, ich habe es durch meinen Uebermuth verdient. »Du mußt mich für ein albernes Mädchen halten, das sich durch den ersten Schimmer von Erfolg verblenden läßt. Aber glaube mir, ich meine es nicht ernstlich so. Ich fürchte oft, daß man mich eben so schnell fallen lassen wird, wie man mich jetzt gehoben hat, weit über mein Verdienst. Und überdies, ich kann ja krank werden oder mit meiner Erfindung zu Ende kommen, ich werde ja doch nicht immer Dich und den alten Süßmilch malen können, und ein Mädchen hat so wenig Gelegenheit, gründliche Studien zu machen und den engen Kreis ihrer Erfahrung zu erweitern. Und was sollte dann aus den Knaben, aus mir, aus uns Allen werden, wenn wir nicht unsern Aeltesten hätten!«

»Jetzt spottest Du meiner, Paula!«

»Nein, wahrlich nicht,« sagte Paula eifrig: »ich habe nur schon zu oft gefühlt, wie meine Kraft den Brüdern gegenüber nicht mehr ausreicht und daß junge Männer von einem Manne geleitet sein wollen und nicht von einer Frau, die nicht weiß, wo die Grenze liegt, bis zu welcher ein Jüngling gehen mag, ja gehen muß, wenn aus ihm etwas Rechtes werden soll. Dem Doctor, so brav er sonst ist, kann[73] ich nach dieser Seite auch nicht trauen, denn er ist ein Sonderling und nach einem Sonderling kann man sich nicht bilden. Da habe ich mich denn die ganze Zeit sehr nach Dir gesehnt. Du kennst die Jungen so gut und sie lieben Dich so sehr. Ich wüßte Niemand, dem ich sie so gern anvertraute.«

»Aber Paula, ein Arbeiter in einer Maschinenwerkstatt, ein ganz gewöhnlicher Schmiede-Gesell, das ist kein Vorbild für Studenten und junge Künstler.«

»Du wirst – ja Du wirst immer ein Arbeiter, aber nicht immer ein Schmied bleiben und ein Gesell; Du wirst ein Meister werden, ein großer Meister in Deiner Kunst. Und der Tag ist nicht mehr fern, ist wenigstens gewiß viel näher, als Du denkst. Du weißt nicht, was Du werth bist.«

Paula hatte das mit erhöhter Stimme gesagt, und ihre Augen leuchteten. Ich war so gewohnt, Paula auf's Wort zu glauben, und es hatte so prophetisch geklungen – ich wagte gar nicht, die leisen Zweifel, die mir denn doch bezüglich der Erfüllung dieser Prophezeiung kamen, zu äußern.

In diesem Augenblicke wurde abermals an der Flurthür geschellt. »Es ist Mutter und unsere Jungen!« sagte Paula rasch und leise. »Sie wissen nicht, daß Du schon vierzehn Tage frei bist; die Jungen würden es nicht begreifen, daß Du so viel Zeit hast verstreichen lassen, ohne zu uns zu kommen, wenn Du schon einmal in der Stadt warst. Du mußt aus den vierzehn Tagen vierzehn Stunden machen; ich erlaube Dir diese Lüge.«

Da kamen sie zur Thür hereingestürmt: Oskar und Kurt, meine Lieblinge; und Benno, der immer mein dritter Liebling gewesen war, führte die Mutter am Arm herein; und das war eine Freude und ein Händedrücken und Küssen und ein Gejubel, und auch einige Thränen mögen, wenn ich mich recht erinnere, dabei geflossen sein. Ich mußte natürlich den ganzen Tag über da bleiben. Und am Abend ließen die Drei es sich nicht nehmen, mich nach Hause zu bringen, um der Schwester Bericht abzustatten, wo und wie ich denn eigentlich wohne; und ich brachte sie dann wieder eine Strecke, bis sie aus dem Arbeiterviertel her aus und in dem bekannteren Stadttheile waren, und als ich wieder nach Hause kam, war es schon sehr spät und ich schlief alsbald ein und träumte[74] ein Langes von dem Bilde, das Paula gemalt und Hermine gekauft, und die schöne Bellini, die Konstanze von Zehren ähnlich sah, so sehr bewundert hatte.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 59-75.
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Hammer Und Amboss; Roman. Aus Hans Wachenhusen's Hausfreund, XII (1869 ) (Paperback)(English / German) - Common
Friedrich Spielhagen's sämtliche Werke: Band X. Hammer und Amboss, Teil 2
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Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

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Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

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