Fünfzehntes Kapitel

[138] Das rauschende Fest hatte bis zwei Uhr gewährt und war dann, programmmäßig pünktlich, wie es angefangen, beschlossen worden. Vor dem Portale hatte es, da Dutzende von Dienerstimmen zugleich nach den Equipagen ihrer Herrschaften riefen, ein starkes Gedränge gegeben, durch welches die zu Fuß Erschienenen nicht leicht zu den auf der anderen Seite der Straße haltenden Droschken kommen konnten; indessen war alles ohne Unfall abgegangen und auch das Sorbitzsche Ehepaar rechtzeitig zu seinem Mietwagen gelangt.

In dessen Ecke gedrückt sie nun den langen Weg zu ihrer Wohnung machten, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gewechselt wäre.

Sie hatten mit den eignen Gedanken genug zu thun.

Die Viktors waren schwarz wie die Novembernacht. Welch ein Dummkopf war er gewesen, als er – nach der Aufführung – dem Menschen in dem Gedränge begegnend, ihm ein lobendes Wort gegönnt hatte! So völlig gegen seine Überzeugung! Diese kläglichen Farcen! Die reinen Schülerarbeiten! Und sein Bedauern ausgesprochen hatte, ihn neulich bei seinem Besuche verfehlt[138] zu haben! Er sollte sich nur wieder sehen lassen! Fernau hatte ganz recht: die Reitpeitsche für den Gecken, den aufgeblasenen Narren! Aber Fernau mochte auch der Teufel holen! Wenn er es schon neulich bei Tisch bemerkt haben wollte, um es bei jeder der Proben abermals und in verstärktem Maße bestätigt zu finden – weshalb da vierzehn Tage warten, bis man zu einem Freund kommt und sagt: Hör' mal! so und so! Erst heute abend mit der Sprache herausrücken, und auch nur, nachdem man ihn zur Rede gestellt, ihm das Messer an die Kehle gesetzt hat! Aber der Sache sollte bald ein Ende gemacht werden! Klotilde würde sich wundern!

In Klotildens Seele klang die Melodie von dem Walzer, nach dessen Takt sie in seinen Armen, an seiner Brust durch den Saal geflogen war. Des geliebten Mannes, der so gut walzen wie Komödienstücke schreiben konnte! Und dessen schönes Haupt sie an dem Künstlertisch mit dem Lorbeerkranz hatte schmücken dürfen, den Stephanie bereit gehalten! Die liebe Stephanie, die an Luckows Seite so glücklich gewesen war, wie sie an der ihres Albrechts! Ein gräßlicher Name! Er sagt, sie nennen ihn in der Schule Siegfried! Der eitle Mensch! Der herzige Narr! Die prächtigen Augen! Wie sie leuchteten, als er seine kleine Dankrede hielt – mit halber Stimme, damit sie es an den andern Tischen nicht hörten – vive la joie! vive l'amour! – lalala – lalala -la – la – la!

Und wieder summte durch ihren Kopf die Melodie des Straußschen Walzers.

Da hielt der Wagen! Schade! Es hatte sich so nett in der Ecke geträumt. Nun war noch das obligate[139] Nach-Gesellschaftsgespräch durchzustehen mit den interessanten stereotypen, liebevollen Glossen über die gräßliche Toilette von der, der unglaublichen Frisur von der. Sie würde es heute kurz machen.

Es scheint, Du willst noch länger aufbleiben, sagte sie, als man oben angekommen war und das Mädchen auf dem Flur ihr Kapuze und Mantel abgenommen hatte. Ich werde zu Bett gehen. Ich bin schrecklich müde.

Wie nach Deiner Gesprächigkeit im Wagen zu vermuten stand.

Ich wüßte nicht, daß Du mitteilsamer gewesen wärest.

Vielleicht nicht, daß Du mitteilsamer gewesen wärest.

Vielleicht wünschte ich für die Mitteilungen, die ich Dir zu machen habe, eine geeignetere Zeit.

Dann ist diese gewiß die ungeeignetste. Also, gute Nacht!

Sie hatte aus dem Salon, in den sie eingetreten waren, die Wendung nach der Thür gemacht, durch die man in das Speisezimmer und weiter zu ihrem Schlafgemach gelangte. Er war ihr in den Weg getreten.

Dennoch muß ich bitten, daß Du mir noch einige Minuten schenkst.

Damit ich mich hier auf den Tod erkälte?

Ich werde Dich nicht lange in Anspruch nehmen. Ich wollte Dir nur sagen, daß ich Dein Benehmen heute abend – besonders bei Tisch – ich habe Dich von meinem Platze aus sehr gut beobachten können – unter der Kritik finde.

Dann würde ich es an Deiner Stelle nicht kritisieren.

Und ich den Herrn Professor, hätte er die Frechheit, sich hier wieder sehen zu lassen –[140]

Wenn er meinen Geschmack teilt, wird er sich hüten.

– die Treppe hinunterwerfen werde.

Du bist ganz sicher, daß Du heute abend nicht zu viel getrunken hast?

Ich verbitte mir eine so anzügliche Bemerkung.

Ich wüßte nicht, daß sie für einen Mann anzüglicher wäre, als die Du eben Deiner Frau zu machen beliebt hast.

Wenn ich sie allein gemacht hätte!

Freilich! Herr von Fernau!

Und andre.

Die Du die Güte haben wirst, mir zu nennen.

Da müßte ich die halbe Gesellschaft herzählen. Ich habe keine Lust, zu warten, bis die andre Hälfte auch kommt.

Also, worauf sollen alle diese Liebenswürdigkeiten hinaus?

Ich habe es Dir bereits gesagt: darauf, daß ich eine Änderung, eine totale Änderung Deines Benehmens in der Gesellschaft wünsche.

Auch Deinem Herrn Minister gegenüber?

Ich weiß nicht, was das hier zu thun hat.

So will ich es Dir sagen: mein Benehmen in der Gesellschaft gefällt Dir ausnehmend, wenn es Dir für Deine Absichten förderlich scheint. Die einflußreichen Leute – und Du findest sie bekanntlich mit absoluter Sicherheit heraus – dürfen mir den Kopf machen, Deinetwegen bis zur Unverschämtheit. Dazu die guten Freunde, gegen die man ein für allemal blind ist. Wagt ein andrer, mich nicht zu übersehen, spielt man sich als Othello auf.[141]

Ich dächte, ich hätte Dir jede Freiheit gelassen.

Ich danke für diese Sorte Freiheit, die weiter nichts ist als Sklavenarbeit im Dienst des klugen Herrn, der recht gut weiß, was in unsrer Gesellschaft eine junge Frau gilt, welche die Leute schön finden, und deren alter Adel für seinen von gestern so treffliches Relief abgiebt.

Von gestern?

Nun denn: von vor acht Jahren, als Dein Vater die Division bekam. Es hat nicht gehindert, daß er heute a.D. ist. Alte Generäle, besonders, wenn sie nicht reich sind, pflegen wenig Einfluß mehr zu haben.

Ich wüßte nicht, was ich Deiner Familie zu verdanken hätte. Es müßte denn sein, daß Du in ihr auf einem Fuß zu leben gelernt hast, der unsere Mittel weit übersteigt.

Ich bin Dir ja nie gut genug angezogen. Glaubst Du, daß Gerson mir meine Toiletten um meiner schönen Augen willen liefert?

Jedenfalls werde ich mir erlauben, auf seine Rechnungen und die Deiner andern Lieferanten ein schärferes Auge zu haben als bisher.

Das kann dann ja allerliebst werden. Ich möchte Dir einen andern Vorschlag machen. Wir haben jetzt über vier Jahre Zeit gehabt, einzusehen, daß wir schlechterdings nicht zu einander passen. Ich dächte, Du ließest mich meiner Wege gehen und versuchtest es mit einer, die für Deine Liebenswürdigkeiten empfänglicher ist.

Die entsprechende Wahl Deinerseits hättest Du wohl bald getroffen.

Da würde ja meine Sache sein.[142]

Auf deutsch: Du wünschst eine Scheidung?

Ich glaube, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben.

Und das ist kein schlechter Scherz?

Ich hielte ihn dann mindestens für einen sehr guten.

Schlecht, oder gut – ich würde mich unter keinen Umständen auf ihn einlassen. Ich habe keine Lust, meinen Namen, wenn er auch nicht so alt ist, wie der Deine, durch die Gerichte gezerrt zu sehen und mich zum Gespräche der Stadt zu machen.

Es könnte Dir in der Carriere schaden?

Deine Schnödeleien lassen mich völlig unberührt. Ich weiß, was ich mir schuldig bin. Und nebenbei unsern Kindern, an die Du gar nicht zu denken scheinst.

»Nebenbei« ist ausgezeichnet. Ich denke nebenbei, daß Kinder von Eltern, die ehrlich und mutig genug waren, sich zu trennen, als gegenseitige Abneigung ihnen ein anständiges Zusammenleben unmöglich gemacht hatte, besser daran sind, als von solchen, die sich nicht schämen, die miserable Lüge fortzusetzen. Wenn ich ein Mann wäre, ich brächte es nicht fertig, eine Frau zurückzuhalten, die ihm so deutlich gesagt hat, daß sie von ihm befreit sein will.

Als ob die Frauen immer wüßten, was sie in ihrer Heftigkeit so herausreden!

Ich bin durchaus nicht heftig, im Gegenteil vollkommen kühl. Ich habe es sogar empfindlich kalt und muß dringend bitten, dieser lieblichen Unterredung ein Ende zu machen.

Du wirst morgen ganz anders denken und reden.

Das werden wir ja sehen.[143]

Sie war von dem kleinen Sofa, auf welchem sie gesessen hatte, aufgestanden und, die lange Schleppe ihres Kleides zusammenraffend, mit ein paar großen Schritten bereits an der Thür, die nach dem Flur führte.

Wo willst Du hin? rief er.

Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Es war bleich bis in die Lippen, mit dunklen Rändern unter den starren, hohnvoll blickenden Augen.

Du glaubst doch nicht, daß dieser Streit dasselbe erbärmliche Ende nehmen soll, wie schon so mancher?

Sie war zur Thür hinaus. Er hörte ihren Schritt über den Flur nach dem kleinen Zimmer neben der Flurthür, in welchem sie ihre häufigen Logierbesuche unterzubringen pflegten und das immer zum Empfang der Gäste bereit stand. Sollte er ihr nachrennen? sie mit Gewalt zurückhalten? Aber sie würde vor keiner schlimmsten Scene zurückschrecken; und es war auch schon zu spät: da ging die Thür und der Schlüssel wurde umgedreht.

Er begann im Salon auf und ab zu schreiten, in seiner ratlosen Wut sich an den Möbeln vergreifend.

So weit hatte es nicht kommen sollen; keinen Augenblick hatte er gedacht, daß es so weit kommen könne. Sich scheiden lassen! Sie mußte verrückt sein! Wenn sich alle Leute scheiden lassen wollten, weil sie sich einmal gezankt haben oder sich öfter zanken – und gerade in diesem Augenblick, wo ihm alles darauf ankommen mußte, daß sein Name nicht im Gerede war. Überhaupt, ein solcher Unsinn! ein solcher haarsträubender Blödsinn! Fernau hatte recht; jetzt war es sonnenklar, daß er recht hatte. Wenn es noch Fernau selbst wäre, oder irgend[144] einer von den andern – es ließe sich doch zur Not begreifen. Aber dieser Schulfuchs! dieser lächerliche Pedant! Eine so grauenhafte Geschmacksverwirrung! Es ist ja rein zum Lachen!

Und Viktor lachte laut auf. Es klang ihm selbst häßlich; er biß die Zähne aufeinander.

Gut, Madame, gut! Man wird Ihnen ein paar Tage Bedenkzeit geben. Wenn Sie sich dann nicht besonnen haben, wird man aus einem andern Tone mit Ihnen sprechen. Mit Ihnen und Ihrem Schulmeister![145]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 138-146.
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