Marsyas

[216] (Nach Henri de Régniers »Le Sang de Marsyas«)


Marsyas sang.

Erst war es nur ein flüchtig Lied

wie Windeshauch der weich das Laub durchzieht

wie Tropfenrieseln

wie ein Bach der unter Kräutern rinnt

wie Regen dann und Wolkenbruch und Wind

dann wie der Sturm dann wie das wilde Meer –

dann Schweigen ... heller wieder schwebt daher

zu unserm Ohr zitternd der Flöte Klang

wie Fichtensäuseln wie ein Immensang ...

Und wie er träumend in den Abend bläst sein Lied

erlischt die Sonne hinter Moor und Ried.

Starr stand Apollo und das Licht zerging

um seinen Leib und düstrer Schatten hing

sich um ihn tief. Und plötzlich schien er ganz

von Nacht umronnen.

Doch Marsyas vom letzten Glast umsponnen

der Sonne die sein Antlitz purpurn überfloß

und heiß sein Vließ mit Flammen übergoß

bläst immer noch berauscht vom Glanz der Stunde

das Flötenrohr erglüht wie gleißend Gold

an seinem Munde.

Und alles lauschte auf des Satyrs trunknes Lied

und alle offnen Mundes harrten auf den Spott

Apolls hingen an seinen Zügen. Doch der Gott

stand starr wie Erz schweigend regte kein Glied.[217]

Da bog die Augen tief in seine senkend

jäh das Flötenspiel

Marsyas übers Knie und klirrend brach's und fiel.


Ein Schreien

Hohngelächter Füßestampfen taumelnd toll –

dann jähes Schweigen: denn Apoll

glühend vor Zorn und Scham aus Lärm und Hohn

wandte sich schweigend ab und schritt davon ...

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 2, Hamburg o.J. [1954], S. 216-218.
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