Simplicius wird Einsiedler im Schwarzwald und schreibt seine Lebensgeschichte

[154] Das Wetter mancher Schlacht

hat um unsre Nasen gepfiffen,

Wir haben die Säbel zum Stoß

für manchen Feindesnacken geschliffen

Und unser Blut auf kochen hören,

wenn Hieb und Kugelmusik uns umsausten.

Dann waren Nächte,

die wir friedsamer durchbrausten,

Im Feldlager, wenn die Becher überliefen,

Kessel schmorten und die Würfel rollten –

Das waren Stunden, die wir für alle Seligkeit Mariae

nicht tauschen wollten.

Der Rauch von Höfen und Dörfern

hat in unsern Augen gehangen,

Um manchen Galgen sind wir

behutsam herumgegangen.

Oft hat uns der Tod

schon an der Gurgel gesessen,

Dann haben wir uns geschüttelt,

unsern Schimmel vorgezogen und sind aufgesessen.

Wir sind in allen Ländern herumgefahren,

blutige Kesseltreiber,

Frankreich lehrte uns die Wollust feiner Betten

und das weiße Fleisch der Weiber –

Aber immer mußte Leben überschäumen,

um sich zu fühlen,[155]

Und keine Schlacht und keine Umarmung

wollte den Brand in unserm Leibe kühlen.

Nun rinnt das Blut gemacher

in den Adern innen,

Mein Herz läuft durch die alten Bilder nur,

um sich zur Einkehr zu besinnen.

Vor meinem Fenster die grünen Schwarzwaldtannen

rauschen, als wollten sie von neuen Fahrten sprechen.

Die Holzplanken meiner Hütte krachen in den

Novemberstürmen und drohen in Stücke zu brechen –

Aber ich sitze in Frieden, unbewegt,

so wie in Engelsrüstung eingeschlossen.

Nicht Reue und nicht Sehnsucht sollen mir schmälern,

was einst war und nun vorbei ist und verflossen.

Um mich her, auf dem Tisch,

sind meine lieben Bücher aufgebaut,

Und mein Herz voll ruhiger Freude

in den klaren Himmel hinüberschaut.

Früher hab ich meinem Gott gedient

mit Hieb und Narben so wie heute mit Gebeten,

Ich brauche nicht zu zittern, wenn er einst mich ruft,

vor seinen Stuhl zu treten.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 154-156.
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