Die treue Magd.

[125] Verändert nach einem alten Mährchen.


Es lebten einst zwei Brüder, von denen der eine Abu, sehr reich, der andere aber, Casem war sein[125] Name, sehr arm war. Der letzte konnte es nicht begreifen, wie sein Bruder, ohne zu arbeiten, so vieles Vermögen besaß; da er hingegen bei dem größten Fleiße und der möglichsten Anstrengung, nur ein armseliges Leben führen konnte. Eines Tages ging er mit seinem Esel in den Wald, um dort Reisig zu holen, und gerieth in eine abgelegene Gegend desselben, die ihm fremd war. Im Begriff wieder umzuwenden, erschreckte ihn ein starkes Geräusch, das sich ihm näherte. Eiligst verbarg er seinen Esel im Dickicht und bestieg einen Baum, in dessen Aesten verborgen, er lauschte. Da naheten eine Menge Reiter, die alle ein wildes, zerstörtes Aussehen hatten. Jeder hatte Gepäcke bei sich, und sie stiegen bei einem Felsen ab, der sich nahe von Casems Zufluchtsorte, ihnen entgegen thürmte. Der Anführer sprach: »Solo, thue dich auf!« und sogleich öffnete sich eine verborgene Thüre, durch welche alle in die Höhle gingen. Nach einer Weile kamen sie wieder zum Vorschein, bestiegen ihre Pferde und ritten davon. Als sie so weit entfernt waren, daß man die Tritte ihrer Pferde nicht mehr hören konnte, stieg Casem vom Baume, näherte sich dem Felsen und sprach die gehörten Worte aus. Augenblicklich öffnete sich die Thüre, er ging hinein und fand große Haufen von Gold und Edelsteinen[126] die ihm entgegen blitzten. Er füllte seine Taschen und einen Sack, den er zufällig bei sich führte, mit Goldkörner, öffnete durch die Kraft der Worte die wieder geschlossene Thüre, belud seinen Esel mit der herrlichen Beute und brachte sie wohlbehalten nach Hause. Seine Frau freuete sich, wie er, über dieses unverhoffte Glück, und beide beschlossen, nicht wie es die Art reicher Leute oft ist, sich dem Müssiggange zu ergeben, sondern ein fleißiges, arbeitsames Leben zu führen und den Armen wohlzuthun. Sie führten diese guten Vorsätze aus. Abu, der den Wohlstand seines Bruders bald bemerkte, drang in ihn, ihm zu entdecken, durch welches Mittel er in diese glückliche Lage versetzt sei, und Casem vertraute es ihm, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Der Habsüchtige beschloß sogleich einen vortheilhaften Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und schon beim Anbruche des folgenden Tages machte er sich mit einer großen Anzahl von Maulthieren, die er mit den Reichthümern der Höhle beladen wollte, dahin auf den Weg. Es ward ihm leicht sie zu finden; das bedeutende Wort ward ausgesprochen, die Thüre ging auf und ihm entgegen blitzte das verführerische Metall und die schönsten Edelgesteine. Er war so entzückt über diesen Anblick, daß er nicht fertig werden konnte, sich daran zu weiden,[127] und da er aus großer Habsucht gar nicht fertig ward die Säcke zu füllen und alles zu betrachten, so verweilte er sich eine beträchtliche Zeit, und vertieft in sein Glück bemerkte er nicht die Annäherung der Räuber, die, als sie schon in der Ferne die beladenen Maulthiere erblickten, zur Höhle eilten, und den unberufenen Gast sogleich überfielen und tödteten. Die Maulthiere wurden wieder abgeladen und von ihnen mitgenommen. Die Frau des Abu erwartete indessen mit Verlangen die Rückkehr ihres Mannes; da er aber immer nicht erschien und die Nacht schon anbrach, ging sie zu Casem und vertraute ihm das Vorhaben ihres Mannes und sein Ausbleiben. Dieser erschrack, und nichts gutes ahnend, machte er sich beim Anbruche des Tages auf den Weg zum Walde. Behutsam schlich er sich zur Höhle, nachdem er den Esel verborgen hatte, und fand den Bruder getödtet da liegen. Voll Schmerz und Kummer lud er ihn auf die Schultern und trug ihn zu dem Orte wo der Esel war, auf den er ihn in einen Sack verborgen, und mit Reisig bedeckt, in aller Stille nach Hause schafte. Die Wittwe des Getödeten und Casem selbst, waren in nicht geringer Verlegenheit, wie sie den zerstückelten Leichnam wieder einiger massen in Ordnung bringen sollten, um ihn nach der Landessitte den[128] Verwandten zu zeigen. Die Magd, Morgane war ihr Name, versprach Rath zu schaffen, und in der Dämmerung ging sie zu einem Schneider, den sie für eine Handvoll Gold dahin brachte, sich die Augen verbinden zu lassen und ihr zu folgen. Sie führte ihn durch große Umwege in ihr Haus, wo er aufgefordert ward, den Todten zusammen zu nähen, zu flicken und so anzukleiden, daß sein Zustand verborgen blieb. Der Schneider vollbrachte den Auftrag mit Geschicklichkeit, und ward dann auf dieselbe Art nach Hause gebracht. Niemand ahndete etwas, und Abu ward ohne Aufsehen begraben; die Wittwe aber und Morgane zogen in Casems Haus. Die Räuber, welche bei ihrer Wiederkunft den Leichnam nicht mehr fanden, beschlossen unterdessen eine genauere Untersuchung anzustellen, und der Hauptmann der Bande gab einen derselben den Auftrag, nachzuforschen. Der Räuber konnte lange nichts entdecken. Endlich führte ihn der Zufall zu einem alten Schneider, der noch in der Dämmerung vor seiner Hausthüre fleißig arbeitete. Er grüßte ihn und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein. So erfuhr er denn, daß dieser Mann vor kurzem einen zerstückelten Leichnam hatte zusammennähen müssen, und wohl errathend, daß es der, des von seiner Bande Getödteten seyn müsse, versprach[129] er dem Alten eine große Belohnung, wenn er ihn an das Haus führen wolle; und wirklich gelang es dem Schneider, dieses wieder zu finden. Der Räuber bezeichnete es, der Sicherheit wegen, mit mehreren Strichen von Kreide und eilte zu seinem Hauptmann mit der Nachricht. Unterdessen hatte die aufmerksame Morgane die Striche bemerkt und sogleich weggewischt, so daß die Räuber das Kennzeichen nicht mehr findend, irre wurden und die Untersuchung von neuem anfangen mußten. Nach einiger Zeit erschien ein Handelsmann mit vielen Maulthieren, die mit ungeheuer großen zinnernen Flaschen voll Oehl beladen waren, bei Casem und bat um ein Nachtlager, welches dieser, der nach der Landessitte sehr gastfrei war, ihm gern einräumte. Die Gefäße wurden abgeladen und in den geräumigen Hofplatz gestellt, der Fremde aber aufs Beste bewirthet. Morganen fiel sein tückisches, boshaftes Aussehen auf, und sie gab, Verdacht schöpfend, genau auf ihn Achtung. Sie ging in der Dämmerung auf den Hof, um die Gefäße recht anzusehen, da fragte eine menschliche Stimme aus einem derselben sie, ob es Zeit sei? – Schnell sich fassend, flüsterte sie: »o noch lange nicht;« und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß jedes dieser Gefäße einen Menschen verbarg, eilte sie zur Obrigkeit, um es[130] anzuzeigen. Der Hauptmann der Bande nur, welcher der angebliche Handelsmann war, entsprang, die andern aber wurden hingerichtet. Nach einiger Zeit er schien abermals ein Fremder, welcher eine Aufnahme begehrte und erhielt. Morgane erkannte in ihm, trotz der verstellten Tracht und des Pflasters über dem einen Auge, den Hauptmann. Am Abend kleidete sie sich wie ein herumziehender Harlekin an, tanzte, trieb allerlei Possen und zog, da einem solchen alle Späße erlaubt sind, dem Gaste das Pflaster vom Auge. Er ward sogleich erkannt, festgesetzt und hingerichtet. Morgane ward von ihrer Herrschaft an Kindesstatt angenommen, denn ihrer Treue und Klugheit dankte diese Leben und Sicherheit.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 125-131.
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