Lottchens Geburtstagsfeier.

[191] Lottchens Geburtstag kam heran. Die Mutter, welche, wie gute Mütter es gerne thun, ihren Kindern jedes Vergnügen, das unschuldig ist, erlauben, ließ sie ihre Bekanntinen und kleinen Anverwandten zu sich einladen, um recht fröhlich diesen Tag, der, wie der Sterbetag des Menschen, der wichtigste ist in seinem Leben, zu feiern. So fand sich denn eine ziemliche Anzahl von Kindern zusammen; nachdem Lottchen, welche recht artig die Wirthin machte, ihre Gäste mit Chokolade und Gebackenen bewirthet hatte, wurden, da man doch nicht immer nur essen kann, mancherlei Belustigungen[191] vorgenommen. Zuerst kam das bekannte Spiel, Blindekuh; da aber die kleine Gesellschaft ziemlich laut ward, so trat die Mutter herzu, und rieth ihnen, weniger lärmende Unterhaltungen zu wählen. Hierauf setzten sich alle in einen Kreis und breiteten ein großes Tuch aus in ihrer Mitte, welches ein jedes anfassen mußte. Einer von ihnen sprach nun: »Alles was Federn hat, fliegt hoch!« und erhob die Hand vom Tuche. Die Andern mußten wie er, die Hände aufheben, behielten sie das Tuch aber in der Hand, so gaben sie ein Pfand. Dann sprach er weiter und recht schnell hintereinander, um sie zu verwirren, indem er die Hand erhob: »Enten fliegen, Tauben fliegen, Hühner fliegen, Pferde fliegen.« Wer nun nicht Achtung gab und auch das Pferd mitfliegen ließ, oder die Tauben nicht, mußte jedesmal mit einem Pfande die Unachtsamkeit büßen. So konnte man eine Menge Thiere untereinander nennen, um die Aufmerksamkeit zu zerstreuen, oder vielmehr zu erschweren. War nun eine ziemliche Anzahl von Pfändern beisammen, so kam die Reihe ans Einlösen derselben. Da mußte Mancher eine Räthsel lösen, oder geschwind ein Verschen dichten, oder zwei verschiedene Dinge, wie zum Beispiel einen Esel und eine Blume vergleichen, und Aehnlichkeit zwischen beiden hervorsuchen. Es mußte[192] auch ein Andrer jedem von der kleinen Gesellschaft einen Beinamen geben, der passend auf jede Person seyn mußte, ohne sie zu beleidigen. Mancher mußte eine kleine Geschichte erzählen und dergleichen mehr. Nun kamen noch verschiedne andre Spiele vor; eines gefiel den Kindern sehr; es ist so: Einer von ihnen erzählte etwas, es sei was es wolle, und so will ich es Lottchen nachsagen, welche den Anfang machte. »Ich ging (so erzählte sie) spazieren, und belustigte mich an dem fröhlichen Gesange der Vögel um mich her. Plötzlich stieß ich an etwas und fiel über – du, Marie, worüber fiel ich?« – Die gefragte Person mußte geschwind etwas nennen, einen Stein, einen Baum, oder was es auch sei. Stockte sie, so war sie verbunden fortzuerzählen, und mußte eben so, jemand Anders aus der Gesellschaft, in Verlegenheit durch eine unvermuthete Frage zu bringen suchen, um das Erzählen an diese zu bringen. Dann mußte jemand nach dem Tone der Musik, entweder etwas Verstecktes suchen, oder sich auf einen Stuhl setzen und schlafen, oder jemanden umarmen, oder etwas holen, und dergleichen. Je weiter er von der Aufgabe entfernt war, um desto leiser war die Musik, oder schwieg ganz, und je näher man der Wahrheit kam, um desto lauter wurden die Töne. Im Garten, auf einem[193] freien Platze, spielten sie das bekannte Haschen und Fangen, wo paarweise eine Reihe hintereinander steht, und ein Einzelner an der Spitze. Das letzte Paar läuft getrennt, das eine rechts, das andre links um die Reihe herum und sucht sich wieder zu vereinigen; daran sucht der Einzelne der an der Spitze stand, sie zu verhindern und einen von beiden zu erhaschen, mit welchem er in die Reihe tritt, und der Uebriggebliebene muß nun an die Spitze treten, und sich von den Nachfolgenden, welche das getrennte Laufen trifft, jemanden zu erhaschen suchen. So mit mancherlei fröhlichen Spielen belustigte sich die kleine Gesellschaft bis sieben; dann setzten sie sich nieder um auszuruhen, und nach einer halben Stunde, welche sie fröhlich verplauderten, bekamen sie Obst und Gebackenes; dann plauderten sie noch und belustigten sich bis zehn Uhr im Garten, worauf Alle nach Hause gingen und am andern Morgen sich fröhlich des vergnügten Tages erinnerten.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 191-194.
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