Das ländliche Leben.

[194] Ein Mann, welcher mehrere Kinder hatte, kaufte sich ein Gut auf dem Lande, um es selbst zu bewohnen. Einige der Kinder waren sehr betrübt darüber, daß sie nun die schöne Stadt mit ihren abwechselnden Vergnügungen verlassen, und in einer Einöde einsam leben sollten. Dazu kam noch die Einfalt vieler Leute, welche sie laut bedauerten; so daß es wohl kein Wunder war, daß sie sich die traurigsten Vorstellungen machten. Endlich erschien denn wirklich der betrübte Tag der Abreise und der Trennung von so lieben Freunden und Bekannten, und mit vielen Thränen nahmen sie Platz im Wagen. Es war ein schöner Herbsttag, und die Sonne schien so warm und schön, und die Luft war so rein. Allmählich erheiterten sich die trüben Gesichter; als es aber finster ward, und sie nun endlich an Ort und Stelle angekommen, ging der Jammer von neuem an, denn so einsam und verödet stand das Haus, daß ihre Wohnung werden sollte, da. Traurig gingen sie zu Bette, und als sie nun am andern Tage aufstanden, vermehrte sich noch die Betrübniß durch das Regenwetter.[195] Der Vater sagte nur: »Es wird euch schon fernerhin besser gefallen, so daß ihr kein Verlangen tragen werdet, das Land zu verlassen;« doch die kleinen Thörichten achteten nicht auf des Vaters Worte. Die Eltern hatten es schon vorher ausgemacht, daß sie ihre Kinder selbst unterrichten wollten; da sie den Feldbau verpachtet, und so, wenige Geschäfte zu besorgen hatten. Sie machten auch, nachdem die ersten, nothwendigen Einrichtungen getroffen waren, den Anfang. Die Mutter lehrte die kleinen Geschwister Lesen, Schreiben und die Anfangsgründe im Rechnen, und den Mädchen weibliche Arbeiten, während der Vater die größern Kinder in Sprachen und Wissenschaften unterrichtete. Aber mit den Stunden, die ihnen zur Erholung und zum Spielen gegeben waren, wußten sie doch noch nichts anzufangen. Es fing an zu schneien und zu frieren, und die Eltern ließen die Kinder des Pfarrers bitten, sie zu besuchen. Diese erschienen auch sogleich und sprachen mit vieler Freude von dem schönen kalten Wetter. Das konnten die weichlichen Städter nicht begreifen, als aber die andern in den Hof und Garten gehen zu dürfen, sich die Erlaubniß erbaten, liefen sie mit ihner dahin, sahen erst zu, wie jene einen gewaltigen großen Schneemann erbauten, und ihn dann mit Bällen von Schnee, bald[196] einen Arm oder Bein und zuletzt gar den Kopf weg schossen, und dann einen neuen baueten, oder von der kleinen Anhöhe in Schlitten herabrutschten und einander abwechselnd herumzogen; und bald nahmen sie Antheil daran und freuten sich wie jene des Schnees und der heitern Wintertage. Am Abend, und der war lang, setzten sie sich nach vollbrachter Arbeit zusammen, erzählten sich Geschichtchen, oder Einer las abwechselnd den Andern etwas vor. Mitunter wurden auch kleine Spiele vorgenommen, und die Kinder fanden, daß sie es nicht gedacht hätten, daß man so artig auf dem Lande leben könne. Endlich kam der Frühling heran. »Hört, Kinder! sprach der Vater, ihr seht, in unserm Garten giebt es keine Blumen. Ich habe da allerlei Saamen und Zwiebeln und Pflanzen aus der Stadt holen lassen, und gebe jedem von euch ein Beet, welches ihr anbauen und mit Blumen schmücken sollt. Wißt ihr etwas nicht, so fragt nur die Mutter oder mich, oder des Pfarrers Kinder um Rath. Es lernt sich bald; und das Gießen und Jäten sind auch keine Künste.« Kleine Schaufeln, Hacken, Gießkannen und dergleichen waren schon da, und fröhlich begonnen die Kinder das neue Werk. Die Knaben übernahmen das Umgraben auch für die Schwestern, welche ihnen dagegen auch kleine Dienste leisteten.[197] Dann ging es ans Säen und Pflanzen; und nun gaben auch wieder das hervorsprießende Unkraut und die Dürre im Gießen und Jäten neue Beschäftigungen. Wie herrlich ward aber diese Mühe durch den Anblick der schönsten Blumen belohnt, und wie ganz anders erschien ihnen nun jetzt der öde Garten. Kleine Spaziergänge, oft auch ziemlich große, wurden mitunter in den Freistunden unternommen und gewährten so viel Vergnügen und Lust. Dann kam der Herbst mit seinem Seegen. Da gab es Obst zu schütteln und zu schälen und zu dörren, und geschäftigt gingen die Kinder der Mutter zur Hand. Da gab es Nüsse und Aepfel und des Pfarrers Kinder halfen diese und diese jenen. So kam wieder der Winter heran; und als nun der Jahrestag gekommen, der sie hieher gebracht, erinnerten die Eltern sie daran, und an die Thränen, welche sie damals vergossen, und fragten, ob es ihnen noch immer nicht hier gefiele? O ja! o herrlich gefällt es uns hier, riefen die Kinder, und wir waren wohl recht thöricht und unweise, daß wir so unnütze Thränen vergossen. Ihr habt Recht, liebe Kinder, sprach der Vater, daß ihr selbst einsehet, wie unnütz eure Thränen waren. Es ist überall schön auf dieser Erde, wenn man nur gut, und fleißig und arbeitsam ist. Schon die Arbeit macht Freude, und[198] doppelt süß sind die Stunden, die wir nach den Geschäften unserm Vergnügen weihen. Das Landleben giebt reine, schöne Belustigungen, die man oft in der Stadt nicht kennt. – So sahen nun die Kinder es immer mehr ein, wie viele Ursachen sie hatten fröhlich und heiter zu seyn, und so verflossen ihre Kinderjahre, und die der Jugend, wie ein schöner Traum. Als sie erwachsen, und die Söhne, nach den verschiedenen Fächern die sie ergriffen, die Stadt bewohnten, und die Töchter fast alle an Städter verheirathet waren, gedachten sie noch bis in ihr spätestes Alter, in traulichen Gesprächen über ihre Jugendjahre, an das glückliche Leben, welches sie einst im Schooße der Natur führten.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 194-199.
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