52. In der Provence im zwölften Jahrhundert

[174] Ich will eine kleine Geschichte aus einer provenzalischen Handschrift58 in der Übersetzung wiedergeben. Die Tatsachen darin haben sich gegen das Jahr 1180 ereignet, die Niederschrift stammt aus der Zeit um 1250. Die Geschichte ist jedenfalls sehr bekannt. Die Sitten spiegeln sich im Stil völlig wider, und ich bitte mir deshalb zu gestatten, Wort für Wort ohne die geringste Rücksicht auf die Eleganz der heutigen Sprache zu übersetzen.

»Herr Raimund von Roussillon war ein wackerer Ritter, wie bekannt, und hatte zur Frau Madonna Margarete, die schönste Frau ihrer Zeit, hochbegabt in allen guten Eigenschaften, aller Tugend und aller Höfischkeit. Es begab sich, daß Wilhelm von Cabestaing, eines armen Ritters Sohn von der Burg Cabestaing, an den Hof des Herrn Raimund von Roussillon kam, sich ihm anbot und[174] ihn bat, am Hofe als Junker bleiben zu dürfen. Herr Raimund fand ihn hübsch und gefällig, hieß ihn willkommen und lud ihn ein, an seinem Hofe zu verweilen. So blieb Wilhelm bei ihm und wußte sich so artig zu benehmen, daß groß und klein ihn liebte; er verstand sich derartig hervorzutun, daß ihn Herr Raimund zum Pagen der Madonna Margarete, seiner Frau, bestellte. Und so geschah es. Nun mühte sich Wilhelm, noch würdiger zu werden in Worten und Werken. Aber, wie so oft, fand es sich, daß die Liebe Madonna Margarete erfaßte und ihr Sinnen entflammte. So sehr gefiel ihr das Tun Wilhelms, seine Rede und sein Wesen, daß sie sich eines Tages nicht enthalten konnte, zu ihm zu sagen: »Wohlan, Wilhelm, sage mir, wenn eine Frau sich den Anschein gäbe, dich zu lieben, wagtest du sie wieder zu lieben?« – Wilhelm verstand sie und antwortete freimütig: »Gewiß, Herrin, ich würde es tun, aber nur, wenn der Anschein Wahrheit wäre.« – »Beim heiligen Johannes,« sagte die Dame, »du hast gesprochen wie ein Mann. Aber jetzt will ich dich prüfen, ob du vermagst zu sehen und zu erkennen, was am Schein wahr oder unwahr ist.«

Als Wilhelm diese Worte vernommen hatte, erwiderte er: »Herrin, es geschehe, wie es euch gefällt.«

Er begann nachdenklich zu werden, und Amor suchte alsbald Fehde mit ihm. Die Gedanken, die Amor den Seinen sendet, trafen ihn bis in das tiefste Herz, und von da an ward er ein Diener der Minne und fing an, kleine artige, frohe Lieder, Tanzweisen und Gesänge zu dichten, wodurch er sehr gefiel und am meisten der, für die er fang. Amor aber, der seine Vasallen belohnt, so es ihm gefällt, wollte Wilhelm den gebührlichen Lohn[175] erteilen. Und alsbald erfüllte er die Dame mit so viel Sinnen und Sehnen der Liebe, daß sie nicht Tag noch Nacht Ruhe fand in Gedanken an das Mannestum und den hohen Mut, der Wilhelm so reich inne und eigen war.

Eines Tages geschah es, daß die Dame Wilhelm nahm und ihm sagte: »Wilhelm, sage mir nun, weißt du zu dieser Stunde, was von dem Schein an mir Wahrheit oder Trug ist?« – Wilhelm antwortete: »Madonna, so wahr mir Gott helfe, von dem Augenblick an, da ich euer Diener ward, konnte mir kein andrer Gedanke in das Herz dringen, als daß ihr die Beste seid, die je geboren ward, und die Wahrste in Wort und Wesen. Das glaube ich und werde ich mein Leben lang glauben!«

Und die Dame antwortete: »Wilhelm, ich sage dir, so Gott mir hilft, wirst du von mir nicht getäuscht werden und deine Gedanken sollen nicht vergeblich und verloren sein.« Und sie breitete ihre Arme aus und umarmte ihn zärtlich in dem Gemache, darinnen sie beide saßen und sich der Minne hingaben. Es währte aber nicht lange, daß die bösen Zungen, die Gottes Zorn treffen möge, danach trachteten, von ihrer Liebe zu plaudern und zu lästern ob der Lieder, die Wilhelm verfaßte, und sagten, er sei in Frau Margarete verliebt. Und so lange, redeten sie hin und her, bis das Gerücht Herrn Raimund zu Ohren drang. Der ward sehr betrübt und schwerer Trauer voll, erstlich, weil er seinen Gefährten und Gesellen, den er sehr liebte, verlieren sollte, und mehr noch wegen der Schande seiner Frau.

Eines Tages begab es sich, daß Wilhelm mit einem Knappen mit dem Sperber auf die Beize gegangen war, da fragte Herr Raimund, wo er wäre. Ein Knecht antwortete, er sei zur Jagd geritten, und ein andrer, der es wußte,[176] fügte hinzu, nach welchem Orte. Auf der Stelle nahm Raimund Wehr und Waffen, die er verbarg, ließ sich sein Roß bringen und schlug ganz allein den Weg nach dem Orte ein, wohin Wilhelm gegangen war. Er ritt, bis er ihn fand. Als Wilhelm ihn kommen sah, war er darob arg erstaunt und sofort kamen ihm trübe Ahnungen. Doch er lief ihm entgegen und sagte zu ihm: »Herr, seid willkommen! Warum seid ihr so allein?« – Herr Raimund entgegnete: »Wilhelm, du bist's, den ich suche, um mich mit dir zu ergötzen. Hast du nichts erjagt?« – »Nichts, Herr, denn ich habe nichts gefunden, und wer nichts findet, hat nichts, sagt das Sprichwort.« – »Lassen wir solche Rede,« sprach Herr Raimund, »und bei der Treue, die du mir schuldig bist, sage mir die Wahrheit in allen Dingen, um die ich fragen werde.« – »Bei Gott, Herr,« entgegnete Wilhelm, »wenn ich es sagen kann, werde ich es euch gern sagen.« – »Ich will keine Hinterlist,« sagte Herr Raimund, »sondern du sollst mir alles und jedes sagen, um was ich dich frage!« – »Herr, so viel ihr mich auch zu fragen beliebt, immer will ich euch die Wahrheit sagen.« – Und Herr Raimund fragte: »Wilhelm, sage mir bei Gott und dem heiligen Glauben, hast du eine Geliebte, die du besungen hast und an die dich Amor fesselt?« – Wilhelm antwortete: »Herr, wie könnte ich singen, wenn Amor mich nicht drängte? Hört die Wahrheit, Herr, Amor hat mich ganz in seiner Gewalt!« Raimund fuhr fort: »Das will ich gern glauben, da du sonst nicht so schön dichten könntest. Aber ich will gern wissen, wer deine Dame ist?« – »Ach Herr, um Gottes willen, bedenkt was ihr da verlangt! Ihr wißt doch sehr wohl, daß man den Namen seiner Dame nicht nennen darf und daß Bernhard von Ventadour sagt:
[177]

›In einem Fall lieb ich den Lug:

Fragt mich wer, wie mein Liebchen heißt,

So sag ich eine Lüge dreist,

Denn wahrlich nimmer wär' es klug,

Nein, töricht ist's und knabenhaft,

Wenn Minne einem Freuden schafft,

Zu öffnen einem andern Mann,

Sein Herz wenn er nicht nützen kann.‹«


Herr Raimund antwortete: »Ich gebe dir mein Wort, daß ich dir helfen will, soweit ich kann.« Er drang immer weiter in ihn, bis Wilhelm sagte: »Herr, so wißt denn, daß ich die Schwester von Frau Margarete, eurer Gemahlin, liebe und ihre Gegenliebe erhoffe. Jetzt, da ihr's wißt, bitte ich euch, mir zu helfen oder mir wenigstens nicht zu schaden.« – »Nimm Hand und Wort,« sprach Raimund, »ich schwöre und gelobe dir, daß ich meine ganze Macht für euch aufwenden werde.« Darauf gab er ihm sein Wort, und als er es gegeben hatte, sagte er: »Ich will, daß wir in ihr Schloß reiten, denn es liegt nicht weit von hier.« – »Ich bitte euch darum, bei Gott!« stimmte Wilhelm zu.

So nahmen sie den Weg nach der Burg Liet. Dort wurden sie von Herrn Robert von Tarascon, dem Gemahl der Frau Agnes, der Schwester der Frau Margarete, und von Frau Agnes selbst wohl aufgenommen. Herr Raimund nahm Frau Agnes bei der Hand und führte sie in ihr Gemach, und sie setzten sich auf das Bett. Und Herr Raimund hub an: »Sag mir 'mal, Schwägerin, bei der Treue, die du mir schuldest, liebst du einen aus Liebe?« – »Ja, Herr!« – »Und wer ist es?« – »Oh, das sage ich nicht,« erwiderte sie, »was führt ihr da für Reden?«[178]

Schließlich bat er sie so inständig, daß sie ihm anvertraute, sie liebe Wilhelm von Cabestaing. Sie sagte das, weil sie gesehen hatte, daß Wilhelm traurig und nachdenklich war und weil sie von seiner Liebe zu ihrer Schwester wußte. Auch fürchtete sie, Raimund könne Schlimmes gegen Wilhelm planen. Ob ihrer Antwort hatte Raimund große Freude. Agnes erzählte alles ihrem Gemahl, und er antwortete ihr, daß sie wohl getan hätte, und gab ihr die Freiheit, alles zu sagen und zu tun, um Wilhelm zu retten. Agnes ließ es nicht daran fehlen. Sie rief Wilhelm ganz allein in ihre Kammer und verweilte so lange mit ihm, daß Raimund dachte, er müsse mit ihr die Freuden der Liebe genossen haben. Alles das war ihm recht, und er begann zu glauben, daß das, was man ihm erzählt hatte, nicht wahr und leeres Gerede sei. Agnes und Wilhelm kamen aus dem Gemach, das Abendessen wurde bereitet und man tafelte bei großer Heiterkeit. Und nach dem Abendessen ließ Agnes beider Lager nahe an der Türe zu ihrem Gemache errichten. Die Dame und Wilhelm spielten ihr Spiel so gut, daß Raimund glaubte, er schliefe bei ihr.

Am anderen Tage speisten sie im Schlosse froh und guter Dinge, und nach dem Mahle ritten sie mit allen Ehren eines ritterlichen Abschieds von bannen und kamen nach Roussillon zurück. Und sobald Raimund konnte, trennte er sich von Wilhelm, ging zu seiner Frau und erzählte ihr, was er von Wilhelm und ihrer Schwester gesehen hatte. Darüber war sie die ganze Nacht in großer Traurigkeit, und am anderen Morgen ließ sie Wilhelm rufen, empfing ihn ungnädig und nannte ihn einen falschen Freund und Verräter. Wilhelm bat um Gnade als ein Mann, der nichts Schlechtes von all dem getan, was[179] sie ihm vorwarf, und erzählte ihr alles Wort für Wort, was sich begeben hatte. Die Dame rief ihre Schwester zu sich und erfuhr durch sie, daß Wilhelm recht hatte. Dann sagte sie und befahl ihm, er solle ein Lied machen, in dem er zeigte, daß er außer ihr keine Frau liebe. Da dichtete er das Lied, das beginnt:


»Das süße Sinnen,

Das Minne mir beschied,

Läßt mich beginnen

Von Euch manch schönes Lied ...«


Und als Raimund von Roussillon das Lied hörte, das Wilhelm für seine Frau gedichtet hatte, ließ er ihn kommen, um ihn weit ab vom Schlosse zur Rede zu stellen, schlug ihm den Kopf ab und steckte ihn in seine Jagdtasche, riß ihm das Herz aus dem Leibe und tat es zu dem Kopfe. Darauf ging er zur Burg. Er ließ das Herz braten und seiner Frau zu Tisch vorsetzen und ließ sie es essen, ohne daß sie wußte, was sie aß. Als sie es gegessen hatte, stand Raimund auf und sagte seiner Frau, daß sie soeben das Herz des Herrn Wilhelm von Cabestaing gegessen habe, zeigte ihr das Haupt Wilhelms und fragte sie, ob ihr das Herz gut gemundet habe. Und sie hörte, was er sagte, und sah und erkannte das Haupt des Herrn Wilhelm. Sie antwortete ihm und sprach, daß niemals andere Speise und Trank ihrem Munde den Geschmack verderben solle, den das Herz Wilhelms darin zurückgelassen habe. Und Raimund ging mit dem Schwerte auf sie los. Sie entfloh, warf sich von einem Balkon herab und zerschmetterte sich das Haupt.

Das wurde in ganz Catalonien und in allen Ländern des Königs von Aragon ruchbar. Der König Alfons und alle Ritter jener Gegenden empfanden großen Schmerz[180] und große Traurigkeit über den Tod des Herrn Wilhelm und der Dame, die Raimund auf so häßliche Weise in den Tod getrieben hatte. Sie sagten ihm Fehde auf Leben und Tod an. Nachdem der König Alfons von Aragon die Burg Raimunds genommen hatte, ließ er Wilhelm und seine Dame in einem Grabmal vor der Kirche einer kleinen Stadt namens Perpignan beisetzen. Alle wahr Liebenden beteten für ihre Seelen zu Gott. Der König von Aragon nahm Raimund gefangen, ließ ihn im Kerker umkommen und verteilte alle seine Güter an die Verwandten Wilhelms und der Dame, die für ihn gestorben war.«

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 174-181.
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