Sechster Auftritt.

[58] Zimmer des Bassa.

Selim mit Gefolge, hernach Osmin, Belmonte, Konstanze und Wache.


SELIM zu einem Offiziere. Geht, unterrichtet euch, was der Lärm im Palast bedeutet; er hat uns im Schlaf aufgeschreckt, und laßt mir Osmin kommen. Der Offizier will abgehen, indem kommt Osmin zwar hastig, doch noch ein wenig schläfrig

OSMIN. Herr! – Verzeih, daß ich es so früh wage – deine Ruhe zu stören.

SELIM. Was giebts, Osmin, was giebts? Was bedeutet der Aufruhr?

OSMIN. Herr, es ist die schändlichste Verrätherey in deinem Palast –

SELIM. Verrätherey?

OSMIN. Die niederträchtigen Christensklaven entführen uns – die Weiber. Der große Baumeister, den du gestern auf Zureden des Verräthers Pedrillo aufnahmst, hat deine – schöne Konstanze entführt.

SELIM. Konstanze? entführt? Ah, setzt ihnen nach![58]

OSMIN. O 's ist schon dafür gesorgt! Meiner Wachsamkeit – hast du es zu danken, daß ich sie wieder beym Schopfe gekriegt habe. Auch mir selbst hatte der – spitzbübische Pedrillo eine gleiche Ehre zugedacht, und er hatte mein Blondchen schon beym Kopfe, um mit ihr – in alle Welt zu reisen. – Aber Gift und Dolch! er soll mirs entgelten! – Sieh, da bringen sie sie!


Belmonte und Konstanze werden von der Wache hereingeführt.


SELIM. Ah, Verräther! Ists möglich? – Ha, du heuchlerische Sirene! War das der Aufschub, den du begehrtest? Mißbrauchtest du so die Nachsicht, die ich dir gab, um mich zu hintergehen?

KONSTANZE. Ich bin strafbar in deinen Augen, Herr, es ist wahr: aber es ist mein Geliebter, mein einziger Geliebter, dem lang schon dieses Herz gehört. O nur für ihn, nur um seinetwillen fleht' ich Aufschub. – O laß mich sterben! gern, gern will ich den Tod erdulden: aber schone nur sein Leben –

SELIM. Und du wagst's Unverschämte, für ihn zu bitten?

KONSTANZE. Noch mehr: für ihn zu sterben!

BELMONTE. Ha, Bassa! Noch nie erniedrigte ich mich zu bitten, noch nie hat dieses Knie sich vor einem Menschen gebeugt: aber sich, hier lieg[59] ich zu deinen Füssen; und flehe dein Mitleid an. Ich bin von einer grossen spanischen Familie, man wird alles für mich zahlen. Lasse dich bewegen, bestimme ein Lösegeld für mich und Konstanze so hoch du willst. Mein Name ist Lostados.

SELIM staunend. Was hör' ich! der Kommandant von Oran, ist dir der bekannt?

BELMONTE. Das ist mein Vater.

SELIM. Dein Vater? weicher glückliche Tag! Den Sohn meines ärgsten Feindes in meiner Macht zu haben! kann was angenehmers seyn! Wisse, Elender! Dein Vater, dieser Barbar ist Schuld, daß ich mein Vaterland verlassen mußte. Sein unbiegsamer Geiz entriß mir eine Geliebte, die ich höher als mein Leben schätzte. Er brachte mich um Ehrenstellen, Vermögen, um alles. Kurz, er zernichtete mein ganzes Glück. Und dieses Mannes einzigen Sohn habe ich nun in meiner Gewalt! Sage er an meiner Stelle, was würde er thun?

BELMONTE ganz niedergedrückt. Mein Schicksal würde zu beklagen seyn.

SELIM. Das soll es auch seyn. Wie er mit mir verfahren ist, will ich mit dir verfahren. Folge mir, Osmin, ich will dir Befehle zu ihren Martern geben. Zu der Wache. Bewacht sie hier.[60]


Quelle:
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Entführung aus dem Serail. Wien 1782, S. 58-61.
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