Neunundsechzigstes Kapitel.

[200] Da die Zugbrücke nicht wieder herzustellen war, so erhielt Trim Befehl, eine neue zu bauen, aber nach einem andern Muster. Kardinal Alberoni's Intriguen waren nämlich zu der Zeit offenbar geworden, und da mein Onkel Toby richtig voraussah, daß ein Krieg zwischen Spanien und dem Reiche unvermeidlich geworden sei, und daß die nächste Campagne wahrscheinlich in Neapel oder Sicilien stattfinden würde, so entschied er sich für eine italienische Brücke (und beiläufig gesagt, mein Onkel Toby schoß in seinen Vermuthungen gar nicht so sehr fehl); aber mein Vater, der ein unendlich gewiegterer Politikus war, und meinen Onkel ebenso im Kabinette übersah, wie dieser ihn im Felde, wußte ihn zu überzeugen, daß, im Fall sich der König von Spanien und der Kaiser bei den Ohren kriegten, Frankreich und Holland durch Verträge gebunden wären, ebenfalls in die Schranken zu rücken. Und dann, Bruder Toby, werden sich die Kämpfenden, so gewiß ich lebe, wieder auf dem alten Turnierplatz, in Flandern, treffen, und was machst Du dann mit Deiner italienischen Brücke?

Wir wollen es doch bei dem alten Modell lassen, rief mein Onkel Toby.

Als der Korporal die Brücke in diesem Style halb fertig gebaut hatte, wurde mein Onkel Toby auf einen Hauptfehler derselben aufmerksam, der ihm bis dahin gänzlich entgangen war. Sie hing nämlich auf beiden Seiten in Angeln, öffnete sich in der Mitte und konnte zur Hälfte nach der einen, zur Hälfte nach der andern Seite des Grabens aufgezogen werden. Das hatte den Vortheil, daß die Last der Brücke sich nach zwei Seiten hin vertheilte und mein Onkel deshalb im Stande war, sie mit dem Ende seiner Krücke und einer Hand aufzuheben und niederzulassen, – bei der Schwäche der Garnison ein wesentlicher Vorzug. Aber die Nachtheile dieser Bauart waren unüberwindlich; denn auf diese Weise – pflegte er zu sagen – muß ich die eine Hälfte meiner Brücke immer dem Feinde überlassen, und was hilft mir dann die andere?[201]

Das einfachste Mittel wäre natürlich gewesen, die Brücke nur an einer Seite festzuhängen, dann hätte man sie mit einem Male aufziehen können; – aber das wurde aus dem ebenerwähnten Grunde verworfen.

Eine Woche später entschloß sich mein Onkel Toby zu einer andern Konstruktion; die Brücke sollte so eingerichtet werden, daß man sie in horizontaler Richtung hin und her schieben konnte, je nachdem man die Passage hemmen oder herstellen wollte. Von dieser Art könnten Ew. Wohlgeboren drei sehr bemerkenswerthe Brücken in Speyer sehen, wenn dieselben nicht zerstört wären, sowie eine in Breisach, wenn ich nicht irre, die noch bis heute steht. Aber mein Vater rieth meinem Onkel höchst ernsthaft, auf dieses Hin-und Herschieben bei Brücken sich nicht weiter einzulassen, so daß dieser, der wohl einsah, daß des Korporals Unfall dadurch nur verewigt werden würde, seinen Entschluß änderte und die Erfindung des Marquis d'Hopital wählte, welche der jüngere Bernoulli so genau und so gelehrt beschrieben hat, wie Ew. Wohlgeboren dies in Act. Erud. Lips. An. 1695 nachlesen können: hier dient ein Bleiklumpen zur Herstellung des Gleichgewichts und hält so gut Wache wie zwei Mann, besonders wenn die Brücke in einer gebogenen Linie konstruirt wird, die sich der Cykloïde so viel als möglich nähert.

Auf die Parabel verstand sich mein Onkel Toby nun wohl so gut wie irgend Jemand in ganz England; aber die Cykloïde war ihm weniger geläufig; doch sprach er alle Tage davon, – die Brücke kam damit nicht weiter. – Wir müssen Jemand fragen, sagte mein Onkel Toby zu Trim. –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 200-202.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)