Einundachtzigstes Kapitel.

[214]»Nihil me poenitet hujus nasi« sagt Pamphagus, – das heißt – »Meiner Nase habe ich's zu verdanken« – Worauf Cocles erwiedert: »Nec est cur poeniteat«, das heißt: »Wie, der Teufel, könnt' es auch bei einer solchen Nase fehlen?«

Man sieht, Erasmus hat hier die Sache, ganz wie mein Vater es wünschte, mit größter Klarheit dargelegt; aber worin sich mein Vater getäuscht sah, war das, daß eine so fähige Feder nicht mehr gab als ein bloßes Faktum, ohne jegliche Anwendung spekulativer Feinheit und Sattelgerechtheit in der Argumentation desselben, wie der Himmel sie doch dem Menschen verliehen, um die Wahrheit zu ergründen und nach allen Seiten hin zu vertheidigen. – Mein Vater prustete und schimpfte zuerst gewaltig.–[214] Ein berühmter Name ist aber immer wozu gut; da der Dialog von Erasmus war, so besann sich mein Vater bald, las ihn mit dem größten Fleiße wieder und wieder, und studirte jedes Wort, jede Silbe auf das Genaueste nach ihrer strengsten und buchstäblichsten Bedeutung. – Das half nichts. – Vielleicht meint er mehr, als er geradezu gesagt hat, sagte mein Vater. – Gelehrte Männer, Bruder Toby, schreiben Dialoge über lange Nasen nicht so um nichts. Ich will mir Mühe geben, den verborgenen, den allegorischen Sinn heraus zu bekommen. Da kann sich Einer daran zeigen, Bruder.

Mein Vater studirte weiter.

Nun muß ich Ew. Wohlgeboren und Hochehrwürden mittheilen, daß der Dialogist, außer mannigfaltiger Vorzüge, welche die langen Nasen für das Seewesen haben, auch darauf hinweist, daß eine lange Nase ebenfalls sehr gut im Hause zu gebrauchen sei, wie z.B. in Ermangelung eines Blasebalges ad excitandum focum (um das Feuer anzufachen).

Die Natur, welche meinen Vater so überaus reich mit ihren Gaben bedacht hatte, hatte auch den Samen der Wortkritik, wie den aller andern Wissenschaften, tief in ihn gestreut; er nahm also sein Federmesser aus der Tasche und experimentirte an den Sätzen herum, um zu versuchen, ob er nicht einen besseren Sinn hineinradiren könne. – Bruder Toby, rief er aus, bis auf einen einzigen Buchstaben bin ich der wahren Meinung des Erasmus nahe gekommen. – Du bist gewiß ganz nahe, Bruder, erwiederte Onkel Toby. – Pah! rief mein Vater und radirte weiter – ebenso möglich, daß ich sieben Meilen davon bin. – So, sagte er, indem er mit den Fingern ein Schnippchen schlug, – jetzt habe ich den Sinn verbessert.

– Aber Du hast ein Wort verdorben, erwiederte mein Onkel Toby. – Mein Vater setzte die Brille auf – biß sich in die Lippe und riß heftig das Blatt heraus.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 214-215.
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