Vierundachtzigstes Kapitel.

[222] Die Gabe der Ratiocination, d.h. die Fähigkeit, Vernunftschlüsse zu machen, welche dem Menschen eigen ist, – denn höhere Wesen, also Engel und Geister, haben's, wie man sagt und Ew. Wohlgeboren wissen werden, durch Intuition, und niedere Wesen, wie Ew. Wohlgeboren ebenfalls wissen, folgen ihrer Nase; und hierbei ist zu bemerken, daß es eine Insel giebt, die im Meere schwimmt (es ist ihr aber nicht ganz wohl dabei), wo die Einwohner, wenn meine Nachricht nicht trügt, so wundervoll begabt sind, daß sie es ebenso machen, und dabei manchmal ganz gut fahren, – aber das gehört nicht zur Sache: –

Die Gabe also, es so zu machen, wie es sich für mich schickt, oder der große und wichtige Akt der Ratiocination beim Menschen besteht, wie die Logiker uns lehren, darin, das Uebereinstimmende oder Abweichende zweier Ideen vermittels eines Dritten (des medius terminus) zu finden, gerade so, wie Jemand (um Locke's Beispiel anzuführen) zweier Leute Kegelbahnen, die, um ihre Gleichförmigkeit zu konstatiren, doch nicht zusammengebracht werden können, vermittelst der Elle, durch Juxtaposition, als gleich lang erkennt.

Hätte der große Philosoph, während mein Vater seine Nasensysteme demonstrirte, zugeschaut und meines Onkels Betragen dabei beobachtet: – wie aufmerksam er jedem Worte lauschte, und mit welchem tiefen Ernste er die Länge seiner Pfeife betrachtete, so oft er sie aus dem Munde nahm; wie er sie, zwischen Daumen und Finger haltend, erst von vorne, dann[222] von der Seite, jetzt so, jetzt so, nach allen Richtungen und in allen Verkürzungen musterte, – er würde zu dem Schlusse gekommen sein, mein Onkel Toby halte seinen medius terminus in der Hand und messe damit die Wahrheit jeder einzelnen Hypothese über lange Nasen, welche mein Vater vor ihm aufstellte. – Dies wäre jedoch mehr gewesen, als mein Vater verlangte; sein Zweck bei diesen philosophischen Vorträgen, die er sich so sauer werden ließ, war keineswegs der, meinen Onkel zur Kritik zu befähigen, – er wollte ihn nur zum Verständniß führen, damit er die Gran und Skrupel der Gelehrsamkeit mit Händen greifen könne, nicht damit er sie wäge. – Mein Onkel that keins von Beiden, wie man im nächsten Kapitel lesen kann.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 222-223.
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