Dreiundfünfzigstes Kapitel.

[83] Le Fevers Geschichte. Schluß.


Hell erglänzte die Sonne des nächsten Morgens dem Auge aller Dorfbewohner, nur nicht denen Le Fevers und seines bekümmerten Sohnes; die Hand des Todes lag schwer auf seinen Augenlidern, und das Herz hatte kaum noch Kraft zum Schlagen, als mein Onkel Toby, der heute eine Stunde früher aufgestanden war, in des Lieutenants Zimmer trat und sich ohne alle Vorrede und Entschuldigung sogleich auf den Stuhl neben dem Bette hinsetzte. Aller Sitte und allem Herkommen zuwider schlug er, wie ein alter Freund und Kamerad es gethan haben würde, den Vorhang zurück, fragte den Kranken, wie es ihm gehe, wie er die Nacht geschlafen, was ihm fehle, wo es weh thue, wie ihm zu helfen sei, und erzählte ihm dann, ohne eine[83] Antwort auf alle diese Fragen abzuwarten, den kleinen Plan, den er in Betreff seiner am Abend vorher mit dem Korporal entworfen hatte.

– Sie müssen gleich mit mir kommen, Le Fever, sagte mein Onkel, zu mir ins Haus, und dann wollen wir nach dem Doktor schicken, daß er Sie untersuche, und nach der Apotheke, und der Korporal soll Ihr Krankenwärter sein und ich Ihr Diener, Le Fever.

Es lag in meines Onkel Toby's ganzem Benehmen etwas so Offenes, so Ungezwungenes, was nicht sowohl aus Vertraulichkeit entsprang, als dazu aufforderte, so daß man seine Seele mit Einem Blicke durchschauen und die Trefflichkeit seiner Natur sogleich erkennen mußte. Dazu kam, daß in seinen Augen, in seiner Stimme, in seiner Art zu sein, Etwas war, das dem Unglücklichen immer und immer zu winken schien, zu ihm zu kommen und Schutz bei ihm zu suchen, so daß, noch ehe mein Onkel Toby mit seinen liebevollen Anerbietungen an den Vater zu Ende war, der Sohn sich bereits unwillkürlich zu seinen Knieen hingedrängt hatte und ihn fest an der Brust fassend gegen sich zog. Das Blut und die Lebensgeister Le Fevers, die träg und erkaltend in ihm dahinschlichen und sich in ihre letzte Festung, in das Herz zurückzogen, kehrten noch einmal zurück, – das matte Auge bekam für einen Augenblick wieder Glanz, – bittend sah er in meines Onkels Antlitz, – dann warf er einen Blick auf seinen Sohn, und dieses Band, so leise geschlungen es war, es ward nie – nie zerrissen.

Damit hatte sich die Natur erschöpft, – das Auge verlor seinen Glanz wieder, – der Puls wurde unregelmäßig – setzte aus – fing wieder an – schlug – blieb wieder stehen – hob sich noch einmal – stand. – Soll ich fortfahren? – Nein!

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 83-84.
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