Einhundertundsechzigstes Kapitel.

[232] Mein Vater hatte in seinem Disputiren eine so scharmützelnde, scharf um sich hauende Art, so unfehlbar bekam Jeder nach der Reihe von ihm seinen Stoß, Puff oder Denkzettel, daß er immer sicher sein konnte, in weniger als einer halben Stunde die ganze Gesellschaft gegen sich zu haben, und hätte sie aus zwanzig Köpfen bestanden.

Was nicht am wenigsten dazu beitrug, ihm jeden Verbündeten zu rauben, war das, daß er sich sicherlich immer auf den unhaltbarsten Punkt stellte; – aber die Gerechtigkeit muß man ihm angedeihen lassen: stand er einmal darauf, so vertheidigte er ihn so tapfer, daß es wohl eines braven oder gutmüthigen Mannes Sache gewesen wäre, ihm aus der Klemme zu helfen.

Aus diesem Grunde konnte es Yorick, obgleich er ihn oft angriff, nie über sich vermögen, dies mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Kraft zu thun.

Dr. Slops Jungfräulichkeit am Schluß des vorigen Kapitels hatte ihn sogleich auf die andere Seite des Walles gestellt, und eben war er im Begriff, alle Konvente der Christenheit Dr. Slop an den Kopf zu werfen, als Trim in das Zimmer trat, um meinem Onkel Toby zu sagen, daß es mit den dünnen Scharlachenen, in denen der Angriff auf Mrs. Wadman unternommen werden sollte, doch nicht gehen würde; denn der Schneider, der sie aufgetrennt hatte, um sie zu wenden, hatte gefunden,[232] daß sie schon einmal gewandt waren. – So laß sie noch einmal wenden, Bruder, sagte mein Vater rasch, denn es werden noch viele Wendungen nöthig sein, eh' Alles in Ordnung ist. – Sie sind aber so mürbe wie Zunder, sagte der Korporal. – Dann freilich bestelle Dir ein Paar neue, sagte mein Vater und fuhr zu den Andern gekehrt fort: – Obgleich ich weiß, daß Mrs. Wadman seit Jahren sterblich verliebt in meinen Bruder Toby gewesen ist und jeden Kunstgriff und jede List angewandt hat, ihn auch so weit zu bringen, – so wird jetzt, wo sie ihn so weit hat, ihr Fieber wohl im Abnehmen sein.

Sie hat ihren Willen erreicht.

In solchem Falle, fuhr mein Vater fort, – einem Falle, den Plato sicherlich nicht vorgesehen hat, – ist die Liebe nicht sowohl ein Gefühl, als eine Stellung, in welche Jemand eingetreten ist, etwa wie mein Bruder Toby in die Armee; – es ist ganz gleich, ob er den Dienst liebt oder nicht, er ist einmal darin, also handelt er so, als ob er ihn liebte, und thut Alles, um sich als tapferer Mann zu zeigen.

Wie alle Hypothesen meines Vaters, so war auch diese an und für sich ganz plausibel, und mein Onkel Toby hatte nur ein einziges Wort dagegen einzuwenden, wobei ihn Trim zu unterstützen bereit war; aber mein Vater hatte die Folgerung noch nicht gezogen.

– Obgleich nun alle Welt weiß, fuhr mein Vater fort, daß Mrs. Wadman meinen Bruder ins Herz geschlossen und mein Bruder seinerseits Mrs. Wadman ins Herz geschlossen hat, und in der Natur der Sache kein Hinderniß liegt, daß beide nicht heute Abend noch miteinander einig sein könnten, so möchte ich aus diesem Grunde doch wetten (hier legte er den Fall noch einmal dar), daß das Stück in Jahresfrist noch nicht zu Ende gespielt ist.

– Wir haben unsere Maßregeln so getroffen, – sagte mein Onkel Toby und sah Trim dabei fragend an –

– Daß ich meine Monterokappe wetten möchte, sagte Trim. – Nun erzählte ich schon früher, daß diese Monterokappe Trims beständige Wette war, und da er sie eben hatte[233] aufputzen lassen, so schien der Einsatz um so beträchtlicher – daß ich meine Monterokappe gegen einen Schilling wetten möchte, wenn es sich schickte, fuhr Trim sich verbeugend fort, Ew. Gnaden eine Wette anzubieten.

– Darin ist nichts Unschickliches, sagte mein Vater; es ist eine Redeweise, – denn wenn Ihr sagt, daß Ihr Eure Monterokappe gegen einen Schilling wetten wollt, so heißt das, daß Ihr glaubt –

Nun, was glaubt Ihr?

– Daß sich Wittwe Wadman, mit Ew. Gnaden Verlaub, nicht zehn Tage halten kann –

– Und wo habt Ihr denn die Kenntniß von den Weibern her, Freund? rief Dr. Slop spöttisch.

– Habe ich nicht einmal eine Liebesgeschichte mit einer Nonne gehabt? sagte Trim.

– Es war eine Beguine, sagte mein Onkel Toby.

Aber Dr. Slop war zu sehr im Zorn, um auf diese Erläuterung zu hören, und als nun mein Vater gar noch die Gelegenheit benutzte, ohne weiteres über das ganze nichtsnutzige, faule Nonnen- und Beguinenpack herzufallen, konnte der Doktor es nicht länger aushalten; auch mein Onkel und Yorick hatten für den nächsten Tag noch allerhand Vorkehrungen zum Angriff zu treffen, der Eine seine Hosen, der Andere sich für seine Predigt vorzubereiten, so daß die Gesellschaft aufbrach und meinen Vater allein ließ. Da ihm noch eine halbe Stunde bis zum Schlafengehen übrig blieb, ließ er Dinte, Feder und Papier kommen und benutzte diese Zeit, um nachfolgende Verhaltungsregeln für meinen Onkel Toby in Form eines Briefes niederzuschreiben.


Mein lieber Bruder Toby!


Was ich Dir zu sagen habe, betrifft das Wesen der Weiber und die Art, wie man in der Liebe mit ihnen verfahren muß. Es wird gewiß kein Schade für Dich sein, – wenn es auch kein Vortheil für mich ist – daß Du einige Anweisung darüber erhältst, und daß ich im Stande bin, sie Dir hier aufzuzeichnen.

Hätte es Dem, welcher unser Schicksal leitet, gefallen, Dir[234] diese schmerzliche Erfahrung zu ersparen, so wollte ich lieber, Du tauchtest in diesem Augenblicke statt meiner die Feder in die Dinte. Da dies aber einmal nicht hat sein sollen, und Mrs. Shandy im Nebenzimmer eben ihre Nachttoilette macht, so habe ich, ohne weitere Ordnung und wie sie mir in den Kopf kamen, einige Winke und Nachweise, die ich nützlich für Dich halte, aufs Papier geworfen; – sie mögen Dir ein Zeichen meiner Liebe sein, und ich zweifle nicht, mein lieber Toby, daß Du sie freundlich aufnehmen wirst.

Zuerst also, in Beziehung auf Religion, so weit das nämlich hier in Betracht kommt. Da fühle ich nun zwar an einem Brennen in der Wange, daß ich diesen Gegenstand Dir gegenüber, der keine seiner Andachtsübungen versäumt, wenn er auch nicht davon redet, ohne Erröthen nicht erwähnen kann; – dennoch darf ich nicht unterlassen, Dich darauf aufmerksam zu machen, daß Du (während der ganzen Zeit Deiner Werbung) eines nicht vergissest: wenn immer Du an Dein Unternehmen gehst, sei es Morgens oder Nachmittags, so empfiehl Dich vor her dem Schutze des Allmächtigen, damit er Dich vor dem Bösen behüte.

Wenigstens aller vier oder fünf Tage laß Dir den Schädel ganz glatt rasiren – öfter schadet auch nicht; – denn wenn Du in der Zerstreuung vor ihr die Perücke abnimmst, wird sie alsdann nicht unterscheiden können, wie viel von den Haaren die Zeit, wie viel Trim weggenommen.

Besser aber wird es sein, ihr alles Kahle überhaupt so viel als möglich aus den Gedanken zu halten.

Laß es Dir immer gegenwärtig sein, lieber Toby, und handle danach, als nach einer sichern Maxime: daß alle Weiber furchtsam sind, und Gott sei dafür gedankt, denn sonst wäre gar kein Auskommen mit ihnen.

Sorge dafür, daß Deine Hosen nicht zu eng sind, aber laß sie auch nicht zu lose um Deine Schenkel baumeln, wie die Pluderhosen unserer Vorfahren.

Die richtige Mittelstraße beugt allen Schlüssen vor.

Was Du auch zu sagen hast, sei es viel oder wenig, vergiß nicht, es in einem ruhigen, milden Tone zu sagen;[235] Schweigen, und was dem nahe kommt, webt im Gehirne Träume mitternächtiger Geheimnisse: darum, wenn Du es vermeiden kannst, laß das Gespräch nicht stocken.

Vermeide in Deiner Unterhaltung mit ihr allen Spaß und Scherz und halte desgleichen, so viel Du kannst, alle Bücher und Schriftstücke, welche diese Tendenz haben, von ihr entfernt. Wenn Du sie dahin bringen kannst, dies oder jenes Andachtsbuch zu lesen, so mag das ganz gut sein; aber leide ja nicht, daß sie in Rabelais, Scarron oder Don Quixote hineinguckt.

Diese Bücher reizen alle zum Lachen, und Du weißt, lieber Toby, keine Leidenschaft ist so ernsthaft gefährlich, als die Lust.

Ehe Du zu ihr ins Zimmer gehst, stecke den Brustschlitz Deines Hemdes mit einer Nadel zu.

Wenn sie Dir erlaubt, Dich neben ihr aufs Sofa zu setzen, und Dir Gelegenheit giebt, ihre Hände zu ergreifen, so thue es nicht; Du kannst Deine Hand nicht auf die ihrige legen, ohne daß sie die Temperatur der Deinigen erführe. Laß das, und so viel Dir noch sonst möglich ist, im Ungewissen; so erregst Du ihre Neugierde; wird sie dadurch aber nicht besiegt und hört Dein Asinus immer noch nicht auf zu bocken, was leider höchst wahrscheinlich ist, so fange damit an, Dir ein paar Unzen Blut unter dem Ohr zu lassen, wie die alten Scythen es machten, die auf diese Weise die heftigsten Anfälle der Begierde heilten.

Danach schlägt Avicenna vor, die betreffende Stelle mit Nieswurzsyrup einzureiben und geeignete Ausleerungen und Purganzen anzuwenden, was ich auch für sehr zweckmäßig halte. Aber Du darfst wenig oder kein Ziegenfleisch essen – auch Rothwild nicht, und Füllenfleisch auf keinen Fall; ebenso sorgfältig mußt Du Dich – natürlich so viel Du kannst – der Pfauen, Kraniche, Wasserhühner, Taucher und wilden Enten enthalten.

Als Getränk brauche ich Dir wohl kaum eine Infusion von Eisenkraut und Hannea zu empfehlen, von deren Wirkung Aelian berichtet; aber wenn sie Dir den Magen schwächt, so setze sie einige Zeit aus und genieße statt ihrer Gurken, Melonen, Portulak, Wasserlilie, Geisblatt und Lattich.[236]

Weiter fällt mir in diesem Augenblicke kein geeignetes Mittel ein, das Dir helfen könnte.

Ausgenommen der Ausbruch eines neuen Krieges. – Indem ich Dir, mein lieber Toby, hiemit alles Heil wünsche, verbleibe ich

Dein Dich liebender Bruder

Walter Shandy.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 232-237.
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