Erster Absatz

[1] Beschreibet die Ankunft Polyphili / in die Gegend der Insul Soletten: Lehret / wie der Mensch offt / ein Glück zu erlangen / dem Unglück unterworffen werde.


Eben hatte die liebliche Frühlings-Luft / durch das Gold-strahlende Welt-Auge / die Mutter der Sterblichen wiederum erfreuet / und mit ihrer zerschmeltzenden Hitze / die Eiß-feste Mauren / derer in den Gründen fliessenden Wasser / erweichet; daß der lang-verhaltene Schiff-Raub aller Seiten wieder ersetzet: als der edle Schäffer Polyphilus / nach viel-erlidtener Unglücks-Bestürmung / durch die unbeständige Menschen-Freund- und Feindin / das Glück / mit wenigem Anlachen / in eine ergötzende Gegend versetzet / und dem wild-gefährlichen Meer entnommen / dem sicher-und ruhigem Erden-Schoß anvertrauet wurde. Die Freude der Sicherheit / welche gemeiniglich des überstandenen Unglücks Vergesserin zu[1] seyn pfleget / ließ nicht zu / daß er andere Gedancken fassen konte / als die Schöne und Lieblichkeit gedachten Orts; und wie glücklich er ans Ufer angelendet / zu behertzigen. Es war die Gegend an ihr selbst ergötzlich / als welche auf einmal einen Schutz und Erlustigung gewähren kunte / wegen des / an einer Seiten / durch die Wunder-würckende Natur künstlich erhobenen anmuthigen Berges / welchen der silber-gläntzende Strom / der /durch sein rauschendes Brausen / eine nicht unangenehme Lust erregte / von dem / auf der andern Seiten entlegenen / weit-ebenen Felde entscheidete / in welches / nicht ohne sonderbare Befriedigung / gedachter Polyphilus seine Straalen gehen ließ / und die milde Begnädigung des reichen Himmels stillschweigend bey sich verwunderte. Selbst Flora / gedachte er / muß ihre besondere Meisterstück an diese Matten / deren Reichthum und Lieblichkeit täglich zu vermehren /gewandt haben. Es müssen / sagte er / selbsten die Najaden / in diesen Lieb-rauschenden Strömen / nicht ohne sondere Begierde / ihre stündlich-gewohnte Bade-Lust verüben. Ja / fieng er an / wann ich meinen Augen etwas gewieses trauen darff / halt ich davor /daß der Lieb-durstige Pan / an keinem Ort weniger /als in diesen Lust-tragenden Feldern / seiner Hirten-Freude vergessen: Auch die Busch-liebende Diana wird ihre Wild-treibende Jagt-Begierde / in diesen Baumreichen Wäldern / ohne einige Verlust ihrer Arbeit / und mit völliger Begnügung endigen. Zu dem kam die in der Lufft hell-zwitzrende kleine Vogel-Meng / die auch dem Gehör keine geringe Freudigkeit verursachete: und so viel das Verlangen der übrigen Sinnen und Begierde seyn mochte / konten die mancherley[2] Arten der bund-gefärbten Blumen / und andere Früchte der Erden / diesen Polyphilum in so gehäuffter Meng vergnügen / daß er mit allen Zufriedenheiten / müde zwar von der gefährlichen Reyse / sich in das grüne Thal niederlegte / umb ein wenig seine matte Glieder / mit einer anmuthigen unverhinderten Ruh / welche ihm dieser Ort sattsam gewähren konte /zu erfrischen.

Kaum hatte er sich / wie gedacht / solcher Morpheischen Beherrschung ergeben / daß nicht alsobald der sonst Lügen-liebende Mahler der Nacht / durch seine Lust-schattigte Abbildung anderer gleichfalls erwünschter und annehmlicher Dinge / sein Gemüth /nunmehr von Betrachtung der Gegend befreyet / anderwerts / und auf solche Erwartung richtete / die viel schwerer in Gedancken zu ertragen / als im Werck zu erlangen war. Er führete ihn an den Ufer des Wassers gleiches Weges hinauf / zeigete dessen Bewandschafft / und wunderbaren Fall / der / weil er mehr zu steigen scheinte / allen und jeden / sonderlich aber vor dißmal diesem Fremden-Schäfer / sich über die Kunst der Natur / und göttlichen Allmacht höchlich zu verwundern / Ursach und Gelegenheit genug zur Hand gab. Wie dann auch Polyphilus dem allem / wiewol schlaffend / mit grosser Ergötzlichkeit lang zusahe /und die Herrlichkeit der Geschöpff und Ordnung des Himmels / mit tieffstem Nachsinnen bey sich überlegte. Da er aber voll solcher angenehmen Gedancken /das Liecht seiner weit-strahlenden Augen etwas schärffer / (so traumete ihm) entzündete: Ward er /wieder alles verhoffen / etzlicher hocherhabenen Gebäu / gegen dem Strom stehend / gewahr; kondte doch / weil / wie ihm dauchte / die schimrende[3] Strahlen der Sonnen / durch den Gegenschein des herunter-steigenden hell-gläntzenden Wassers / seine Augen in etwas blendeten / nicht allerdings vernehmen / was ihm zu Gesichte kommen wäre. Deßwegen er dann verursachet / seinem Verlangen die Pflicht-Schulden zu leisten / sich immer näher und näher / durch das Ufer dem Ort zu machte / biß er endlich völlig verstehen konte / was ihm zuvor die Schwäche seines Gesichts versaget. Es war eine zwar kleine / doch sehr anmuthige und wohlgelegene Insul / dermassen gebauet / daß / wann Polyphilus die Bau-Kunst nicht wol verstanden / er fürwahr vor Verwunderung und Nachsinnen erwachen müssen. Das alles aber / und ein jedes dessen / was ihn / wegen dieses köstlichen und künstlichen Gebäues / in die Verwunderung setzete / war Ursach / daß ihn sein Verlangen / diß edle Meisterstuck und Haupt-Werck aller Kunst / eigentlicher zu besehen / aufs näheste zu der Insul hinführete. Und in dem erwachte Er.

Wie es nun mehrentheils geschicht / daß die nichtige Traum-Freude / ihr Bildnüß / auf einen zerbrechlichen Grund setze: Also hatte auch Polyphilus den gäntzlichen Betrug für seinem Gesicht / da er selbige mit wachenden Augen besehen wolte / deswegen er dann voller Betrübnüs / über den Verlust / seines gehabten Gesichts / nicht gnug klagen könte: Seine genossene Traum-Freude aber / auch in der höchsten Betrübnüs / nicht gnug verwundern. Darumb sagte er unverhindert / er müsse bekennen / daß / ob schon das grosse Liecht der Sonnen / den / in der Lufft hangenden / künstlichen Erden-Bau / schon über die 23. mal mit ihren Gold-gläntzenden Stralen[4] bemahlet / seynd er / durch seine Eltern / in das Register der Natur eingenahmet worden / ihn doch niemaln solche sattsame Zeit-Kürtzung oder Lust-Vollbringung / als dazumal /wie er auch nur von einen schattichten und nichts-würckenden Traum geführet wurde / erhoben. Sonderlich / weil er in der festen Einbildung verharrete / es beherrsche das Bild der stillen Ruh / die eingeschlaffenen Sinne nicht allemal mit blosser Phantasey: sondern es werde offtermals dem Menschen / theils die Warheit; theils / seiner gefasten Einbildung und Verlangen nach / in einem / so zu reden / schartichtem Mahlwerck / ein solches Bild / durch das Kind der Nacht abgedrucket und verbracht / als er ihm zu sehen oder auch zu haben gewünschet Diese und dergleichen viel-freudige Gedancken vermochten bey dem Schäfer Polyphilo so viel / daß er / ungeacht seiner grossen Müdigkeit / noch beförchtenden vergeblichen Beginnens / sich also bald entschloß / seinem Traum-Bilde vor diesesmal völligem Warheits-Glauben beyzumessen / und demselben mit wachsamer Behendigkeit nachzustellen / was er durch die schlumrende Müdigkeit nicht erlangen können: Weil ihm sonderlich / weiß nicht / soll ich sagen / die unruhige Einbildung / so offtermals viel zu versprechen pflegt; Oder das so-wollende blinde Glück / so doch eben auch wenig beständig zu halten / gewohnet; eine grosse Hoffnung gemacht / herrliche und wunder-würckende Ding zu erfahren. Darum ihn / weder die Lieblichkeit des Orts / noch die Müdigkeit der Glieder von seinem Vornehmen zu ruck halten kondte / als welche billich folgen musten / wohin sie die Lehr-begierige Vernunfft-Herrschafft führete.[5]

Wie es nun nicht selten zu geschehen pflegt / daß /dem alten Sprichwort nach / der wagende Gewinn /zuvor / wann die blindgeneigte Gunst des unverhofften Glücks unser Vornehmen etwas reicher beseeliget: So traff es auch in diesem Stück allermassen dem Schäfer Polyphilo ein / daß / was ihm der Traum-Schatten angedeutet / er nicht ohne völlige Vergnügung wachend erhalten und gewonnen.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 1-6.
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