Erster Absatz

[437] Des Polyphilus Briefwechsel mit Macarien / Ihre Klage / und sein Traum vom Eusephilisten. Auf Einrahten des Talypsidamus / kommet sie zum Solettischen Fest-Mahl: wobey auch Atychintide sich unversehens einfindet. Ihr Gespräche / von der Ungerechtigkeit des Männlichen gegen dem Weiblichen Geschlecht / und von dessen Vollkommenheit.


Das Leben der Menschen / sonderlich der Verliebten /ist eine Schau-Bühne / auf welcher / bald traurige /bald fröliche Begebenheiten vorgestellet werden. Es gleichet einem fliessenden Bach: welcher seine Crystallen-helle Flut / bald durch Smaragden-grüne Felder / bald wieder durch sumpfichte Thäler / und über[437] scharffe Steine fort führet. Dieses sehen wir an unsren Verliebten: die wir in einem sehr ergetzlichen Zustande verlassen. Daß aber solcher nicht lang gewähret /und das Glück ihnen / durch diese Freude / nur eine Linderung / und kein Ende / ihrer Widerwärtigkeit geben wollen / werden wir nun erfahren.

Dann als Macarie / nach ihres Liebsten Abschied /wieder nach Soletten gekommen / muste sie / nicht allein von den Inwohnern / viel schimpfliche und bedrohliche Worte wider ihren Polyphilus anhören /sondern sie bekam auch / gleich des andern Tages /einen Brief durch des Gärtners Jungen / dieses Inhalts:


Verlangtes Herz!


Ihre hohe Freundlichkeit / wird mir zu gut halten /daß ich diese Begrüßung / wegen Kürze der Zeit /nicht zierlicher / wegen der unvermuteten traurigen Post aber / die mich diese Stunde erschröcket / nicht liebreicher und frölicher setzen kan. Hat sie dann /ach liebes Kind! die feindselige Insul / so hefftig verlanget / damit sie desto geschwinder in die Strafe der Liebe gerahte: Das ist aber deren Eigenschafft / daß sie / auf den höchsten Griffel der Süssigkeit / einen Wermut-Strauch wachen lässet. Wolle sie sich demnach nicht bekümmern / so lange die Brunst meines Verlangens sie begleitet / welche nicht eher / als mit ihrer beharrlichen Gegenwart / verleschen wird. Diese / in dem sie je länger je befeürter glühet / wird sie auch alle Beförderung erwehlen[438] / das Gefängnus ihrer Widerwertigkeit zu öffnen / und ihre mir vertraute Freyheit / von den Fessel / so ihr der unruhige Eusephilistus anzuknüpfen gedenket / zu entledigen. Aber schöne Seele! was macht sie ihr selber Plage: Sie vergönne mir doch / durch ein einig Wort an Eusephilistus / sie von fernerer Bestreitung zu befreyen /sonderlich da ich keine Ursach der Verhinterung /oder der Verschwiegenheit erkennen kan. Was mein Hertz bißher gefürchtet / dessen allen dürffen wir nunmehr nicht achten / und können dem Werber mit einem aufrichtigen Nein kühnlich entgegen geben. Ich erwarte bey dieser Gelegenheit / gewiße Antwort und völligen Bericht / was sich bißher begeben. In was Kümmernus ich aber lebe / kan mein Hertz leicht ermessen. Doch tröstet mich ihre Beständigkeit / deren ich meine Treu zusetze / und so lang ich lebe / seyn und bleiben werde

Ihr einig Ergebener

Polyphilus.


Daß Macarie über diese unvermutete Zeitung hefftig erschrocken / ist unschwer zu ermessen: sonderlich /weil sie nicht wuste / von wem Polyphilus solche erhalten / und befürchten muste / daß vielleicht ein listiger und gefährlicher Anschlag / von Eusephilistus und den Solettischen Inwohnern / zu ihren Verderben / geschmiedet werde. Welches zu erkundigen / sie bey Polyphilus / den Grund dieser Klage / mit folgenden Zeilen suchte.
[439]

Mein Polyphilus!


Ich habe mein Verlangen / so lang mit euren süssen Gedächtnus unterhalten / biß ich von eurem erwünschten Brieflein bin erfreuet / aber auch zugleich verwirret worden: weil mir alle die Widerwertigkeit und Unruhe / in welche mich / seinem Schreiben nach / des Eusephilistus Anwerbung soll gebracht haben / gantz unbekandt ist. Verständiget mich doch /mein Kind! wer euch mit dieser ungegründten Zeitung betrübet: und glaubet / ins künfftige / keinem Bericht / als der von mir selbsten kommet. Versichert euch meiner Aufrichtigkeit / wider allen Zweifel / und glaubet / daß ich euch nichts verhalte. Solte ich unverhoffte Gelegenheit überkommen / es sey gleich durch was Mittel es wolle / mit Eusephilisten zu sprechen / so werde ich ihm mit solchen Worten begegnen / die ihme unsere Freundschaft glaublich / und doch nicht gantz gewiß machen. Dann ob gleich etliche Umstände nicht mehr so gefährlich scheinen / wie vorhin / so ist es doch weit sicherer / daß wir unsere Liebe / noch zur Zeit / hinter dem Vorhang einer fremden Verstellung verbergen / und die Verschwiegenheit so lang zur Hüterin stellen / biß dieses Geheimnus die Lufft ertragen kan: sollen anderst die / in so viel Augen / Ohren / und Zungen / leuchtende Funken unsrer Liebe / mit der Asche der Vergessenheit bedeckt bleiben / und unsre Ruhe nicht zerstören. Es ist ja genug / daß wir es wissen / und[440] kan ich gar nicht absehen / was die Eröffnung nutzen / aber wohl / was sie schaden könte. Vergnüget euch demnach / mein Allerliebster! mit der Gewißheit meiner Liebe / welche keiner Veränderung unterworffen /sondern mir jederzeit den Namen erhalten wird /

Eurer beständigen

Macarie.


Mit dieser Antwort / schickte Macarie den Jungen wieder zum Polyphilus / mit Befehl / ihr eilends eine Gegen-Antwort zu bringen. Sie aber blieb indessen /unter einem Hauffen sorglicher und ungewisser Gedanken / zu Soletten / und unterließ nicht / heimlich nachzuforschen / von wem doch Polyphilus die Nachricht / wegen des Eusephilistus / möchte erhalten haben. Sie konte aber nichts erfahren. Bin ich nicht /(gedachte sie) eine Stief-Tochter des Glückes / und eine Wiege der Widerwertigkeit? wie gönnet mir doch mein Verhängnus so gar keine beständige Freude? Wann die Blume meiner Ergötzung kaum anfähet zu blühen / so wird sie durch einen verdrießlichen Wind wieder abgebrochen. Solte ich doch / in Ansehung dieser Unbeständigkeit / fast das Unglück vor der Lust erwehlen: weil jenes von Hoffnung der Errettung / diese aber / von Furcht der Gefahr begleitet wird? Besser aber werde ich handeln / wann ich keines von beyden achte / und die Thür meines Gemüts vor diesen Aufrührern zuschließe. Dann der Himmel pfleget ohne unterlaß mit uns Sterblichen zu wechseln / und lässet bald einen linden[441] West in unsre Segel streichen / bald aber wieder einen strengen Nord-Wind unsern zerschöllten Kahn bestürmen: damit wir lernen / uns auf nichts als ihn verlassen /und im Unglück nicht verzagen / im Wolstand aber /nicht hoffärtig werden sollen. Ich werde ja / durch so vielfältige Ubungen allmählich gewohnen / der Gunst des Glückes nicht mehr / als dem Glantz der Sonne /welchen leicht eine Wolke wegnehmen kan / zu trauen. Ich will mich auf dieser Lebens-Reise / bloß auf den Anker der Tugend verlassen / und weder die Stille noch die Ungestümme der Winde mich bewegen lassen. Du aber / unbewegliches und unveränderliches Wesen der Gottheit! von welchem doch alle unsere Veränderungen den Ursprung haben: erhalte mich in diesen Gedanken / und laß mich Glück und Noht ohne Wanken und mit einerley Gesicht betrachten: damit ich allen Verwirrungen / durch deine Hülfe obsiege.

Diß war der Vorsatz Macarien / welchen sie / zu Uberwindung aller Widerwärtigkeit / gar vernünfftig gefasset. Wir wollen aber fortfahren / und sehen / wie vest sie darinn gegründet sey. Sie bekommet / gleich des andern Tages / einen Brief vom Talypsidamus /welchen Polyphilus geschrieben / dieses lauts.


Mein Hertz!


Gleichwie mich billig / das angenehme Zeugnus ihrer getreuen Liebe / in der schuldigen Gegen-Pflicht verstärken würde / wann nicht meine Entzündung in solcher Vollkommenheit sich befände / daß sie keine[442] Vermehrung zulässet: Also besieget / die Tugend ihrer Beständigkeit / mein Herz mit so verliebter Ergötzung / daß ich nunmehr / aller Furcht entnommen /dem süssen Verlangen mit einer gleichsam verkürzten Begierde / in dem Vertrauen ihrer Gewogenheit /nachhänge / und mich mit demselben als vergnüget sättige. Wiewol ich dieses / Allerliebste! auch ohne ihre Erinnerung gethan hätte / so thue ichs doch anjetzo desto freudiger / auf ihren Befehl / sonderlich /da derselbe mich nicht allein / mit dem allersüssesten Namen ihrer Allerliebsten / hinwider betitelt / sondern auch eine getreue Liebe / die keiner Veränderung unterworffen / zum Grunde setzet / daß die ewig-beständige Macarie diesen Namen erhalten werde / biß an ihr Ende Ach / liebste Seele! welcher Schatz solte so unschätzbar seyn / als diese ihre herrliche Reden / die mich zu den seeligsten unter allen in der Welt lebenden machen: Das einige Wort: Versichert euch meiner Aufrichtigkeit wider allen Zweifel! erdrucket alle Furcht / und befestet die Hoffnung mit guldenen Seulen. Ach! daß ich doch / liebes Kind! zugegen wäre /den Dank / wie ich schuldig bin / mit einen freundlichen Ruß zu bezeugen: Ich wolte meine gleich-getreue Aufrichtigkeit mit dem Werk erweisen. Doch nehme sie / schönes Herz! meinen demütigen Kuß /wie ich ihn in dieser Schrifft verschlossen überschicke / und bewürdige denselben mit einem holdseeligen Anblick / wie das ihre Natur erfordert: bloß[443] darum /weil er ein gewißer Zeug ist / wie ich keinen Augenblick / ohne ihr Andenken / vorbey lasse. Ich lebe hingegen der Hoffnung / es werde auch sie / Allerliebste! ihres Polyphilus bey müßigen Stunden nicht vergessen / sondern wenigst seiner Beständigkeit / und dabey des häftigen Verlangens gedenken / das ihn /mehr bey seiner Macarie / als bey sich selber wohnen und leben heisset. Und dieses verrichtet er um so viel frölicher / weil er vernimmet / daß Eusephilistus nichts bey ihr suchet. Allein / mein Herz! sie lebe nicht zu sicher / und vollführe ihr Vornehmen / durch einige Entdeckung unsrer Liebe / so bald sie kan: es möchte sonst mein Traum nur allzuwahr werden. Indessen lebe sie in guter Ruhe / und glaube / daß ich sterben werde /

Ihr ganz eigner

Polyphilus.


Nachdem Macarie diesen Brief gelesen / fragte sie den Talypsidamus: ob er etwas vom Eusephilistus gehört /und wann er diesen Brief vom Polyphilus bekommen? Gestern (sagte er) bin ich bey seiner Heerde vorbey geritten / eben / als er ihren Brief / wehtriste Base! von den Gärtner-Jungen erhielte / und deßwegen meiner Ankunft froh wurde / ihr wieder eine Antwort zuzuschicken. Er erzehlte mir / wie er die Nacht nach ihrer Abreise / einen Traum gehabt / der ihm / die Werbung des Eusephilistus bey seiner Macarie / so gar deutlich und beweglich vorgeftellet / daß[444] er ihme wachend Glauben gegeben / und deßwegen an seine Liebste geschrieben. Ich belachte diese Einbildung /sagte aber doch / daß sie nicht allerdings unwahr wäre: weil ich aus des Eusephilistus eignem Munde gehöret / daß er gesonnen sey / keine andere / als Macarie zu erwehlen. Ist aber dieses gewiß? fragte Macarie. Freylich! (versezte Talypsidamus) und suchet er Gelegenheit / mit ihr zu reden: er kan auch ihre gegen Polyphilus tragende Liebe weder glauben / noch achten. So muß ich (sagte Macarie) ein Mittel ersinnen /mit ihm zu sprechen / damit ich ihm unsre Freundschaft zu verstehen gebe / ehe er mit offentlicher Werbung bey mir ankommet. Das ist das sicherste / (begegnete ihr Talypsidamus) und kan sie keine bequemere Gelegenheit hierzu ergreifen / als wann sie /morgen bey unsern Fest / der angestellten Malzeit beywohnet. Ihr erinnert sehr wohl: (sagte Macarie) und will ich auch diesem Raht folgen. Ich bedanke mich indessen / vor den wohlgemeinten Einraht / und bitte / auch künftig meine Wolfart ferner zu befördern.

Also ließe Macarie den Talypsidamus von sich /und rüstete sich zu bevorstehendem Fest: welches zu Soletten jährlich dem Himmel / vor die gnädige Errettung und Beschützung ihrer Insul / mit Gebet und Opffer zu danken gefeyret / und nach geendigten Gottesdienst / auf einem dazu bestimmten herrlichen Saal / mit einer kostbaren Malzeit / von den vornehmsten Inwohnern beschlossen wird. Ob nun wol Macarie / wegen ihres Trauerstandes / bißher diesem Gastmal nicht beygewohnt / sondern nur den Tempel besuchte: so entschlosse sie doch[445] dißmal / auch bey der Malzeit zu bleiben / und suchte also Gelegenheit /ihres Polyphilus Bitte zu willfahren / und dem Eusephilistus ihre Liebe / in etwas zu entdecken. Solches Vorhabens / verfügte sie sich / neben andern / in den Tempel / und verharrete daselbst / in ihrer Andacht /biß sie / mitten unter dem Opfer / gewar wurde / daß Atychintide / die Königin von Sophoxenien / mit ihren Bedienten / hinein kame. Es ist leicht zu gedenken / was die Ankunft dieser Fremden / in einer so einsamen Insul / für Aufsehen und Verwunderung erreget. Der ganze Tempel ward voll Unruhe und Getöße / und Macarie selbst / welche erstlich die Königin (als die sie noch nie gesehen) nicht erkennet / so bald sie der Phormena und des Servetus bey ihr gewar worden / fiele darüber in Schrecken und Bestürtzung: weil ihr die törichte Liebe der Atychintide / gegen ihren Polyphilus / bekandt / und sie sich dannenhero eines Anschlags wider sie besorgen muste; sonderlich / weil Melopharmis nicht dabey war / die ihr Unglück verhüten konte. Nachdem nun der Gottesdienst zu End gebracht war / stellte sich Atychintide / als ob sie wieder abziehen wolte: wurde aber von Eusephilisto und den andern Vorstehern / unterthänig ersuchet / daß sie gnädig geruhen wolte / das Fest ihrer Insul / ferner / bey dero geringen Malzeit / mit ihrer hoch-ansehlichen Gegenwart zu beseeligen. Und ob wol sich die Königin entschuldigte / daß sie bloß die Gebräuche des Festes zu sehen / ankommen wäre /und weiter kein Beschwernis verursachen wolte: so unterliessen doch selbige nicht / in ihrer Bitte fortzufahren / biß sie einwilligte / und darauf von ihnen zu vorgedachtem[446] Saal begleitet wurde / allda man ihr eine besondere Tafel köstlich zurichten ließe. Weil sie sich aber wegerte / allein zu speisen / und bald anfangs nach Macarie fragte / als ward selbige zu ihr /hernach Phormena und Erothemitis / eine Jungfer aus den Frauenzimmer / unten an der Tafel aber Eusephilistus mit noch zweyen von Soletten / gesetzet.

Die Königin sahe die Macarie / unter dem Essen /ohn unterlaß an / und führte allerhand Gespräche: welche von dieser sehr vernünfftig und bescheidentlich beantwortet wurden. Atychintide bewunderte sie nicht wenig / und sagte endlich zu Eusephilisto / und seinen Beysitzern: Wie komt es doch / daß ihr die schöne und kluge Macarie / als das Liecht eurer Insul / so lang ohne Liebsten lasset? Ihre so veste Entschließung / Durchleuchtigste Königin! (gab Eusephilistus zur Antwort) hat bißher alle unsere Beredungen unkräftig gemacht. Wir hoffen aber / es soll nun bald dieser Vorsatz / von einem andern überwunden werden. Gar schwerlich! (versetzte Macarie / die /in Gegenwart der Königin / keiner Liebe sich schuldig machen wolte) je länger ich der Einsamkeit genieße / je mehr ich mich in sie verliebe.

Solte ich doch / sagte die Königin / fast selbst der klugen Macarie Beyfall geben / daß die Einsamkeit /weit sicherer und freyer sey / weder die Gesellschaft der Männer? durch welche wir oft Hülffe suchen / und Qual finden; Beschützere hoffen / und Verfolger erlangen. Dann / wann wir die Warheit bekennen sollen / so hat das Frauenzimmer keine ärgere Feinde /als eben die jenigen / welche sie so[447] eifrig lieben / und so heftig verlangen. Man lese nur ihre Schrifften / und erwäge / wie schimpflich und verächtlich sie ihrer gedenken. Das Geschlecht voller Mängel / ein notwendiges Ubel / eine Abbildung der Gebrechlichkeit /eine Grund-Quelle der Boßheit / die Unvollkommenheit selber / und dergleichen verächtliche Namen /sind die schöne Titel / mit welchen uns die jenigen ehren / die uns ihr Leben / ihre Geburt / ihre Nahrung / und Auferziehung zu danken haben. Kein Laster ist / das sie uns nicht beylegen; kein Unglück /dessen sie uns nicht die Schuld geben; und keine Schmach / die sie nicht auf uns schütten. Ja es dörfen sich auch etliche unterstehen / ihnen gar die Menschheit abzusprechen: womit sie zwar / (weil ja ein jedes seines gleichen zeuget / und von Menschen Menschen geborn werden) sich selbsten als Un-Menschen vorstellen. Dahero sie vielmehr den jungen Nattern / die ihren Müttern für die Geburt mit den Tode danken /als vernünftigen und dankbaren Menschen zu gleichen sind.

Billig solte eine Weibs-Person erschrecken / wann sie / nach ausgestandenen Geburt-Schmerzen / sich eines Sohns Mutter sihet / und den jenigen mit so grosser Mühe und Sorge erziehen soll / der nachmals sie und ihr Geschlecht so schmählich lästert. Wol und weißlich haben demnach die Amazonen gehandelt /daß sie ihre männliche Geburten von sich gestoßen /und so undankbare ihrer Auferziehung nicht würdigen wollen. Ich habe mich oft verwundert / wann ich gesehen und gehöret / daß die Jungfern den Schmeichel- Worten ihrer Anfwarter und Liebhabere so sichern Glauben[448] zustellen / und alles für wahr halten / wann sie sich verpflichten / ihre unterthänige Dienere zu sterben / und sie jederzeit / als ihre Engel und Göttinnen / zu verehren. Ach! ihr unschuldige und betrogne Kinder! Lasset nur etliche Monate nach eurer Verehlichung ins Land laufen / so werdet ihr die Demut eurer Männer in Hochmut und Tyranney / eure Liebe hingegen in Furcht und Schrecken / verwandelt sehen. Die Diener werden zu Herren / die Bitten zu Befehlen /die Lob-Reden zu Schmäh-Worten / und die Küße und Umarmungen / zu Verdruß und Eckel / wo nicht gar zu Schlägen und Grausamkeiten.


– – – Ach! haß doch keine Frau

Den Männern / nach der Zeit / und ihrem Eyde trau!

Dann wann sie hitzig sind / und was von uns begehren /

So hört man sie sich hoch verbinden und verschwören.

Ist nachmals solche Lust / von uns geschöpft / dahin:

Sind alle glatte Wort und Zusag aus dem Sinn.


Also sagte dorten die Ariadne / als sie der undankbar Theseus schändlich verlassen hatte. Jenes Weib / welches der zauberische Trank der Circe in eine Hündin verwandelt / weigerte sich / auf des Vlysses Zusprechen / wieder ein Mensch zu werden: einwendende /daß sie solcher Gestalt viel vergnügter lebe / und die Thiere ihre Gesellinnen ungleich mehr / weder die Menschen / liebten und versorgten. Wer solte dann nicht lieber in der Einsamkeit bleiben / als sein Bette mit solchen Fremden beschweren / die Feindschaft im Herzen halten / und an uns nie ohne Verachtung gedenken?

Diese Rede / welche die Königin gethan / üm der Macarie einen Eckel vor des Polyphilus Liebe[449] zu machen / vollführte sie mit solcher Freyheit / wie sie wegen ihres hohen Stands befugt war / und hatte weder Eusephilistus / noch jemand anders den Muht /ihrem Vorbringen zu widersprechen. Macarie aber /wolte sie nicht gar ohne Antwort lassen / sondern sagte: E. Maj. haben die männliche Gemüter so schwarz abgemahlet / daß sie bald dem Frauenzimmer eine Abscheu davor machen solten. Doch kan eine jede hoffen / mit einem bässern beglückt zu werden: weil doch noch viel verständige / fromme und tugendhafte Mannsbilder leben / die nicht allein ihre Ehegatten lieben und ehren / sondern auch / unsers ganzen Geschlechts höf- und rühmlich gedenken. Ist also / an etlicher unfreundlichen / unverständ- und boßhaftigen Manns-Personen Urtheil / sich nicht zu kehren. O schöne Macarie! (begegnete ihr Atychintide) es schimpfen uns nicht nur die Boßhaftigen und Unverständigen / sondern auch die Allerklügsten / und zwar diese vielmehr / als jene / die uns wenig zu lesen geben / Protagoras sagte: Er habe sich an seinem ärgsten Feind nicht bäßer zu rächen gewust / als daß er ihm seine Tochter zum Weib gegeben / weil er vermeinet / daß er ihm nichts üblers zueignen könne. Vom Democritus schreiben sie / daß er deßwegen eine kleine gefreyet / weil er unter den Ubeln das kleinste erwehlen wollen. Der unfreundliche Diogenes wünschte / als er ein Weib hangen sahe: daß alle Bäume solche Früchte tragen möchten. Wie uns die heutige Geschicht- und Bücherschreiber ehren / sihet ein jeder / der ihre Schriften liset. Die allerwenigsten werden unser mit Lob und Ruhm erwehnen.[450]

Vielleicht sind die andere / (sagte Macarie) durch das Leben ihrer lasterhaften Ehe-Weiber bewogen worden / einen bösen Schluß auch auf die übrigen zu machen? Jener nennete / die boßhaften Frauen / der Gelehrten Unglück / und wäre Socrates nicht zu verdenken gewesen / wann er von bösen Weibern geschrieben hätte / weil er deren lebendiges Ebenbild an seiner Xantippe vorstellen konte. So ist auch keineswegs zu langnen / daß unter unserm Geschlecht / viel unverständige / waschhaftige / zänkische / regirsüchtige / wollüstige / hoffärtige und geitzige / die ihrer Männer Last / Schande und Plage sind / anzutreffen seyen.

Gleich als wann dergleichen Laster (fiel ihr die Königin / etwas hitzig / ein) nicht auch bey den Männern zu finden wären! Ich weiß kein einiges / aus erzehlten / von welchen sich das Männliche Geschlecht ausschließen könte. Nur daß sie die Freyheit haben / ihre Mängel zu verdecken / und zu entschuldigen / unsere hingegen ans Liecht zu stellen / und größer zu machen. Da muß eine Stille einfältig / eine Gesprächige wäschhaftig / eine Freundliche leichtfärtig / und eine Ernsthafte hoffärtig heisen. Schweigen sie / zu allen Handlungen ihrer Männer / so sind sie alber; reden sie dawider / so wollen sie regiren; fordern sie Geld / so sind sie verschwendisch und wollüstig; wollen sie es dann ersparen / so sind sie geitzig. In summa / keine Tugend ist an uns / welche sie nicht tadeln; und kein Laster an ihnen / das sie nicht entschuldigen. Hätten wir aber die Freyheit / oder vielmehr die Gewonheit /Bücher zu schreiben / als sie: wir wolten ihnen ihre Fehler ja so deutlich / als sie die unsere /[451] vorstellen. Und eben darum berauben sie uns aller Unterrichtung / und stoßen das weibliche Geschlecht / von Kindheit an / in die Küchen und Haußhaltung: damit sie ihnen alle Gelegenheit zur Wissenschaft benehmen / und sie den Ruhm der Weißheit allein behalten. Gegen einem Stummen / kan ich viel Lästerungen ausstoßen / weil er dieselbe nicht beantworten kan: also haben auch die Männer gut wider uns schreiben /weil sie wissen / daß sie nicht widerlegt werden.

Vielleicht sind auch (versetzte Macarie) unsere Gemüter und Beschaffenheiten unvollkommener / und der Wissenschaft unfähiger / als die Männliche? Man sihet gleichwol an den meinsten Thieren / daß das Weiblein schwächer und mangelhafter ist / als das Männlein. So hat auch der Schöpfer selbsten / dem männlichen Geschlecht / die Herrschaft / über das Weibliche zuerkennet. Diese Ordnung (erwiederte Atychintide) ist eine Strafe / welche von des Weibes Verbrechen / und gar nicht von ihrer Unvollkommenheit herrühret. Wann / ein kluger und hochgesinnter Minister / seinem König nach der Cron trachtet / auch wegen solches Verbrechens seiner hohen Würde entsetzet / und einem andern unterworffen wird: so dienet er demselben / nicht wegen Unvollkommenheit seines Verstandes / sondern zur Strafe seiner Empörung. Also hat es sich auch / mit der Herrschafft der Männer. Der Thiere Vorzug / bestehet mehrenteils in der Größe und Stärcke / davon ihre Hertzhaftigkeit herrühret: und wird solches / von der Nutzbarkeit des Weibleins / reichlich ersetzet. Wann die Männer sich solches Vorzugs rühmen / wollen[452] wir es gern leiden: weil sie uns hingegen die Gedult und Freundlichkeit lassen müssen. Daß sich aber auch / in dem weiblichen Gemüt und Verstande / so ein großer Unterschied finden soll / zweifele ich so lang / als das weibliche Geschlecht gleicher Unterrichtung ermangelt: welcher Mangel / meines Erachtens / allein die Ursach ist / unsrer Verachtung und ihres Ruhms. Dann was haben sie sich sonst zu erheben? Ihre Ankunft ist geringer / dann unsre / weil sie bloß aus der Erden / wir hingegen / aus dem edelsten Geschöpfe /den Menschen / erbauet sind. So nun ein jedes Geschöpfe / wann es verändert / auch verbessert wird /massen auch aus der verächtlichen Erde / der schöne Mensch gebildet worden: so folget / daß die Frauen den Männern so weit / als der Mensch der Erde / vorzuziehen seyen.

Macarie lächelte / mit den andern / hierüber / ließ sie aber doch in ihren Beweiß fortfahren / welcher also erfolgte. An Schönheit der Gestalt / gestehen sie selber / daß wir nie ihnen gleich / wo nicht überlegen sind. So ist auch die Kindheit und Jugend des mannlichen und weiblichen Geschlechts / nur in diesen unterschieden / daß das Weibliche gedultiger / gehorsamer und vernünftiger / als das Männliche / erfunden wird. Dann man muß gestehen / daß von den zehenden biß in das vierzehende oder sechzehende Jahr /das Frauenzimmer viel verständiger / höflicher und tugendhafter sich hervor thut / als die Männliche Jugend: welche gemeinlich in solchen Jahren am ungezogensten erscheinet. Daß sich aber nachmahls das Blat wendet / und die Manns-Personen uns übertreffen /[453] komt von ihrer Beobachtung / und unsrer Versäumnus. Wie sollen wir Verstand lernen / wann man die Quelle der Weißheit vor uns verstopfet? Aber können die Mannsbilder von Lastern sich nicht befreyen / da ihnen dieselben so häßlich / und hingegen die Tugenden so wunderschön vorgemahlet werden: Was ist es Wunder / daß auch wir unsere Fehler behalten / welchen die blosse Natur und Erfahrung von der Sitten-Lehre predigen muß? daß aber auch die Weibs-Personen der Unterrichtung fähig seyen / bezeuget das Exempel vieler gelehrter Weibsbilder /welche die Welt gezehlet und noch zehlet.

Selbige werden auch (erwiederte Macarie) von verständigen nicht geschimpfet / sondern vielmehr mit höchstem Ruhm gepriesen. Demnach sol billig keine vernünftige Weibs-Person über die Verachtung lasterhafter Weibsbilder eifern / sondern vielmehr deßwegen der Ehre klüger und tugendhafter nachstreben lernen. Kein einiger ist / so das Frauenzimmer tadelt /der nicht hingegen die Vollkommenen unter ihnen rühmet: und dieses um so viel mehr / je weniger derselben zu finden sind. Je seltener eine Tugend ist /je großwürdiger sie sich machet. Je geringer die Anzahl ist der jenigen / die ihre Männer lieben / ehren und rühmen: je glückseeliger schätzet sich der Mann /welcher seine Liebste gegen ihm aufrichtig / Ehrerbietig und liebreich / und sonst gegen jederman verständig und tugendhaft befindet. Ich sehe wol / (sagte hierauf Atychintide) daß das männliche Geschlecht an Macarien eine starcke Beschützerin hat / und erscheinet hieraus / daß sie demselben sonders[454] gewogen /auch mit einem sich in Vereinigung einzulassen gewillet sey.

Eben wolte Macarie / wegen dieser Auflage / sich entschuldigen / als ein Lackey in den Saal kam / und der Königin ansagte / wie daß Melopharmis vorhanden sey. Melopharmis! fragte Atychintide / mit Verwunderung: Wie kommet diese jezt nach Soletten? laß sie doch herein kommen. Also gienge Melopharmis in den Saal / und küste der Königin den Rock / und grüste Macarien neben den andern / mit grosser Höflichkeit. Wie komt es / Melopharmis! (fragte die Königin) daß ihr mich zu Soletten suchet? Weil E. Maj. ich sonst nirgend finden konte / (gab diese zur Antwort) und ich auf dem Weg nach Sophoxenien / Bericht erhalten / daß sie herüber verreist wären. Weil ich auch diese Insul noch niemals gesehen / habe ich in derselben meine Aufwartung ablegen wollen. Daran habt ihr wol gethan! versetzte Atychintide. Mir ist die Zeit / in eurer Abwesenheit / lang worden: welche zu kürtzen / ich diese Insul (weil eben derselben Jahr-Fest eingefallen) besehen wollen: nicht willens /den Inwohnern meine Besuchung so schwer zu machen / wie ihr sehet. Solte das jenige schwer seyn /(sagte hierauf Eusephilistus) was Gnade und Ehre schenket? Unsere Insul / und wir in derselben / schätzen uns billig heute glückseelig / weil E. Maj. uns Ihrer gnädigen Gegenwart haben würdigen wollen. Nehmet mir nicht den Dank / höflicher Eusephilistus! (erwiederte die Königin) zu welchen ich mich verbinde: dann ich bekenne / daß ich hier viel Ehre genieße /werde auch bedacht seyn / solche nicht unerwiedert zu lassen.[455]

Aber sagt mir doch / Melopharmis! (sagte sie gegen selbiger) was machen eure Schäfere? sind sie von ihrer Reise wieder zu rücke gekommen? Freylich / gnädigste Königin! (begegnete ihr Melopharmis) sie lassen E. Maj. sich unterthänigst befehlen /und wollen ehest nach Sophoxenien kommen / ihre unterthänige Aufwartung abzulegen. Ihr langes Aussenbleiben / hat seither meine Wiederkunft verhintert: üm deren gnädige Vergebung ich bitte. Das hat nichts zu bedeuten! sagte Atychintide / und blieb hierauf eine gute Weile ganz stille / der Liebe des Polyphilus in ihren Gedanken Raum gebend. Als aber Melopharmis ihr etwas ins Ohr gesagt / wurde sie alsbald munderer / und gabe dem Servetus einen heimlichen Befehl / den er auszurichten abgienge. Macarie hatte diesem allen mit Fleiß zugesehen / und aus der Melopharmis heimlichem Zureden allerhand Argwahn geschöpfet.

Als ihr aber dieselbe durch einen Wink zu verstehen gab / daß Polyphilus vorhanden wäre / fiele sie auf einmal in Schrecken / Zorn und Furcht. Schrecken machte ihr / die unverhofte / und gefährliche Besuchung des Polyphilus: Zorn aber / daß er ihre so sehnliche Bitte / die Insul zu meiden / verachtet: Und Furcht / daß er durch den Grimm der Inwohner /möchte in Unglück fallen. Diese Furcht ward noch grösser / als sie sahe / daß ein kleiner Junge dem Eusephilistus ein Brieflein zustellete / über dessen Lesung er bleich und roht wurde: daher sie leicht schließen konte / es würde wegen des Polyphilus geschehen. Er sahe Macarien etliche mahl an: sie aber machte / wie beschwert auch[456] ihr Gemüte war / eine gar unschuldige Mine / und daurte also diese Verwirrung aus / biß die Königin von der Tafel aufstunde / und von den Inwohnern / auch von Macarien Abschied nahm / welche sie biß auf die Gasse begleiteten: da sie / nach vielen beyderseits Höflichkeiten / auf ihre Kutsche saß / und davon fuhre.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 437-457.
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