An meine sterbende Schwester Sophie Magdalene

1773.


Rosenknospe! So schön blühete keine noch

Von den Töchtern des Mai's, welchen der Morgenthau

In den duftenden Busen

Schimmer träufelt und Lenzgeruch.


Und nun neigst du herab, Rose, dein lechzendes

Ach, dein welkendes Haupt! – Wenige Sonnen nur

Und du blühest, o Schönste,

Schöner wieder in Eden auf!


Labung thauen auf dich, kühlende Labung dann

Lebensbäume hinab; Lüfte der Sommernacht

Weht die Palme des Sieges

Dann entgegen der Dulderin!
[23]

Deiner Leiden entkeimt jedem ein blühender

Zweig zum Kranze des Lohns, der dich umflechten soll!

Wie so heiter, o Beste?

Zeigt dein Engel den Kranz dir schon?


Weinend naht' ich, und sank sprachlos an deine Brust,

Lächelnd küßtest du mich, aber nur bitterer

Floß die Wehmuth, und netzte

Deine Wange, Geliebteste!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 1, Hamburg 1820, S. 17-18,23-24.
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