57. An den Verfasser von Stillings Jugend

[114] 1778.


Dem Büchlein dein bin ich gar hold;

Ist's doch so rein wie lauter Gold,

Voll Unschuld, liebevoll und wahr,

Und wie der Morgentau so klar:


Der auf dem jungen Blümchen bebt,

Und seine Blätter neu belebt;

Im Tröpfchen schimmert hell und mild

Der Morgensonne Flammenbild:
[114]

So spiegelt auch dein Büchlein klein

Der höchsten Weisheit Himmelschein,

Und tränket freundlich unser Herz

Mit ernster Freud' und süßem Schmerz.


Ich lebte gern im stillen Thal

Mit deinen Menschen allzumal,

Ich sänge Wald und Strom und Au,

Und nähme Dortchen mir zur Frau.


Dein weiser frommer Nikolas

Sah nicht durch ein getrübtes Glas,

Wie mancher Pfaff den Sonnenschein

Erhellt mit der Laterne sein.


Der Einfalt und der Liebe Sinn

Sei unser Kleinod und Gewinn!

Sie reichen uns den Pilgerstab,

Und führen lächeln uns ins Grab.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 114-115.
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