69. Schön Klärchen

[132] Eine Ballade.


1780.


Schön lächelt der Mond uns aus himmlischem Zelt,

Süß duftet im Taue gebadet das Feld,

Und lieblich ertönt in der Laube

Des Lieds und des Bechers vereinigter Klang,

Und süß an der Quelle der Nachtigall Sang,

Und lieblich das Girren der Taube.


So schön und so lieblich und honigsüß ist

Ein rosiges Mädchen, das freundlich uns küßt:

Wir schmelzen, wie Wachs an der Sonne,

An ihren feuchtschimmernden Augen dahin;

Es badet in zaubernden Fluten der Sinn,

Und schwimmet von Wonne zu Wonne.
[132]

Wohl schwimmt er bei Tage, wohl schwimmt er bei Nacht,

Im Meere des Traumes; doch wenn er erwacht,

Empfangen ihn steinichte Küsten:

Die Lüfte sind schneidend, der Himmel ist grau,

Die Auen, gebadet in duftendem Tau,

Verwandeln sich plötzlich in Wüsten.


O wär' es uns möglich, den seidenen Traum,

Noch wenn er schon flöhe, zu haschen beim Saum,

Und am Ufer des Lethe zu liegen,

Wo Freuden, der sengenden Wahrheit zum Hohn,

Im Schatten des Wahnes, auf wankendem Mohn,

Mit lächelnden Amorn sich wiegen!


Doch bist du noch glücklich, wenn Weisheit dich weckt,

Eh' schnell aus dem Traume dein Mädchen dich schreckt

Mit falschem und höhnischem Lachen:

Der Elende schüttelt die Locken, und sieht,

Wie mit dem Verführten sein Mädchen entflieht

Mit luftigen Wagen und Drachen.


Du scheinst mir zu sagen: Wo gaukelst du hin,

Im luftigen Wagen, mit luftigem Sinn,

Bei täuschender Irrwische Klarheit? –

So? Ward ich getäuschet? Komm, setze dich hier

In den Schatten der kühligen Linde zu mir!

Und höre die Stimme der Wahrheit!


So arm und so schön, wie ein Blümchen im Feld,

Saß Klärchen am Bache; da sah sie ein Held,

Und führte sie mit sich von dannen.

Wohl führt' er sie heim in sein väterlich Schloß;

Sie lag ihm im Arme, sie saß ihm im Schoß;

Die Jahre, wie Tage, verrannen.


In Klärchens Umarmung vergaß er die Welt,

Für Klärchen nur lebte der staatliche Held,

Entsagte Turnieren und Schlachten.[133]

Wohl jagt' er im Felde; doch jagte sie mit:

Auf einem getigerten Spanier ritt

Schön Klärchen mit ihm auf die Jagden.


Drei dänische Doggen, so schnell und so leicht,

Als über die Ähren der Abendwind streicht,

Durcheilten mit ihnen die Felder;

Sie packten beim Ohre den Keuler, kein Reh

Entrann und kein Hirsch; so weiß, wie der Schnee,

Durchflogen sie bellend die Wälder.


Bei Hunden ist Treue! Das lernt' ich von dir,

Mein mächtiger Roland, du redliches Tier!

Und von Fancy, der zottichten Kleinen.

Wie Kraniche wachsam, und treuer als Gold,

Sind Roland und Fancy, sind schmeichelnd mir hold;

Denn Hunde sind gut, wie sie scheinen.


Sie hatten selbander drei Jahre gelebt;

Es hatte die Liebe die Stunden gewebt,

Von schöneren Faden als Seide.

Wenn Liebe sich setzt an den Webstuhl der Zeit,

So webt sie dem Leben ein himmlisches Kleid,

Von morgenrotschimmernder Freude!


Nun kam zu dem Liebeberauschten ein Mann,

Des Ritters Vertrauter von Kindesblüt' an,

Und selber ein staatlicher Ritter:

Schön wallte vom Helme sein goldenes Haar;

Süß war er den Mädchen wie Rosenduft, war

Im Kampfe wie Sturm und Gewitter.


Sein freute sich herzlich der glückliche Mann;

Auch blickte gar freundlich Schön Klärchen ihn an,

Wohl sittsam in Züchten und Ehren.

Doch bebte der sittsame freundliche Blick

Vom Glanze des Ritters geblendet zurück,

Um lüsterner wiederzukehren.
[134]

Sie liebten, und hatten's selbander kein Hehl.

Oft fand sie der Ritter; doch sah er nicht scheel,

Wenn sie scherzten, und scherzte mit beiden.

Von Tage zu Tage ward leiser ihr Gruß,

Verstohlner ihr Blick, und geheimer ihr Kuß;

Und sie naschten gefährliche Freuden.


Die Liebenden hatten schon zweimal den Tag

Des Abschieds vertändelt; das dritte Mal sprach

Der Traute zum Mädchenbesieger:

Zum Zeichen der Brüderschaft fordre von mir

All', was dich gelüstet; so geb' ich es dir,

So wahr ich ein ehrlicher Krieger!


Schön Klärchen vernahm es, ward rot und ward blaß

Ward blaß und ward rot; zerbrechlich wie Glas,

Hing schon ihre Treu' an ein Härchen.

Wohl riß sie das hangende Härchen entzwei,

Und winkte dem Buhlen; der foderte frei

Vom staunenden Ritter Schön Klärchen.


Deß stutzte der Ritter; doch faßt' er sich bald,

Und traute Schön Klärchen: »Wie kann ich Gewalt

An Klärchen, die frei ist, verüben?

Ist's Klärchen zufrieden, so scheide von hier,

Und führe von hinnen Schön Klärchen mit dir!

Wie könnt' ich Schön Klärchen betrüben?«


Drauf wandt' er gar freundlich zu Klärchen sich hin:

»Was sagst du, Schön Klärchen? Wie steht dir der Sinn?

Willst du mit dem Ritter mich fliehen?«

Schön Klärchen errötete nicht mehr, und sprach

Mit eiserner Stirne: »Wohl zieh' ich ihm nach,

So du mich von hinnen läßt ziehen!«


Es lief ihm wie Regen den Nacken hinab

Ein Schauer des Todes; ihn stützte der Stab,

Sonst wär' er zur Erde gesunken:[135]

Er wankte, und sank in den Lehnstuhl zurück,

Mit bebenden Lippen, mit starrendem Blick.

Ins Grab wär' er lieber gesunken!


Wohl auf den getigerten Spanier schwang

Schön Klärchen sich freudig, und neben ihr sang

Der Ritter ihr Lieder und Märchen.

Doch ehe sie beide die Burg aus dem Blick

Verloren, da wandte sich sehnend zurück,

Mit schweigenden Blicken Schön Klärchen.


Das wurmte den Ritter: »Was ist dir, mein Kind?

Mein goldiges Klärchen! O sage geschwind,

Mein Klärchen, mein einziges Leben!« –

»Ach, soll ich's gestehen, Herzliebster? Mein Blick

Sah forschend umsonst nach den Hunden zurück!

O hätt' er die Hund' uns gegeben!


Geh', bitt' um die Hunde!« – Das daucht' ihm gar schwer:

Er furchte den Ritter, doch Klärchen noch mehr;

Ritt hin und begehrte die Doggen.

»Auch diese verlangst du? Was sollen sie mir!

Wofern sie dir folgen, gehören sie dir!

Sie kennen dich, magst sie nur locken!« –


Er lockte; sie schüttelten freundlich das Ohr,

Und sprangen mit wedelnden Schwänzen empor,

Und umliefen ihn bellend im Kreise.

Da ging er zur Pforte; sie liefen zurück.

Er lockte gar freundlich; sie blieben zurück

Beim Herren, nach hündischer Weise.


Da sprach er: »Mir bleiben die Hunde! Sag' an,

Wenn Schön Klärchen dich fragt, was die Hunde gethan,

Daß diese getreu mir verblieben!

Zwar ward mir die Freude an allem vergällt;

Doch gäb' ich nicht hin für die Schätze der Welt

Die Hunde, die treu mir verblieben!«

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 132-136.
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