Gedenkst du noch?

[168] Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht

Aus unserm Kammerfenster wir hernieder

Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll

Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?

Der Sternenhimmel über uns so weit,

Und du so jung; unmerklich geht die Zeit.


Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei

Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;

Und über unsrer Bäume Wipfel sahn[168]

Wir schweigend in die dämmerigen Lande.

Nun wird es wieder Frühling um uns her,

Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.


Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,

Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.

Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,

Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!

Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:

Doch eines blieb – wir gehen Hand in Hand.


Quelle:
Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 41978, S. 168-169.
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