Eine Nacht

[250] Es war eine Nacht voll Grimm und Graus,

In Tränen die Wolken schwammen,

In der Ferne stand Deines Vaters Haus,

Drum tanzten die Blitzesflammen.


Die Erde schauderte bis zum Kern,

Es ächzte der Wald im Leide,

Wie eines Verzweifelnden Augenstern

So stierte mich an die Heide.


Und auf der Heide öd' und kalt,

O könnt' ich's endlich vergessen –

Da hat eine weiße Frauengestalt

An meinem Wege gesessen.


Und wie ich entsetzt, halb unbewußt,

Von dem stutzenden Rosse schwang mich,

Da fühlt' ich, wie mit bebender Lust

Dein zittender Arm umschlang mich.


Ich hab' Dich verlassen wie ein Wicht,

O könnt' ich das Wort versenken!

Stets muß ich, beim hellsten Tageslicht,

An jene Nacht gedenken.


Stets seh' ich Dich, verratenes Weib,

Beim Donnerschlage Dich bücken,

Stets seh' ich Deinen zärtlichen Leib

Im Sturm zusammenknicken.


Du gingst durch der Nacht zornbrüllende Wut,

Um mich einmal zu umfassen,

Ich aber hab' Dich mit leichtem Mut

Drei Tage darauf verlassen.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 250-251.
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