289.

[28] Die alten Volksgebräuche, soweit sie nicht direkt götzendienerisch oder abergläubisch waren, wurden nach Einführung des Christentums durch andere ersetzt. An Stelle Wodans, der als Gott des Sturmes auf einem Schimmel reitend gedacht wurde, trat bei uns der hl. Nikolaus (plattdeutsch Sünner Klas = Sankt Niklas). Und da Wodan als Gott des Sturmes zugleich Gott der Fruchtbarkeit war, weil von Wind und Wetter die Fruchtbarkeit abhängig ist, so mußte auch der hl. Nikolaus als Gabenspender auftreten und wurde daraufhin speziell der Kinderfreund. Sein Fest fällt auf den 6. Dezember, es ist die Zeit der Winde und der winterlichen Stürme. Mit oder ohne Bischofsmütze besucht St. Nikolaus am Vorabende seines Festes oder am Feste selbst, eine winterlich eingemummte Gestalt, die Häuser, ermahnt die Kinder artig zu sein, spendet den guten Nüsse, Äpfel und Gebäck, den faulen, ungehorsamen eine Rute. Er geht entweder zu[28] Fuß (Amt Cloppenburg), oder er erscheint auf weißem Pferde als lichte Gestalt (Saterland, Barßel), begleitet vom einem Knechte, der die Geschenke in einem Sacke bei sich trägt. Dieser Knecht ist Ruprecht, der enthronte Wodan. In den evangelischen Landesteilen hat die Kirchentrennung den hl. Nikolaus meist beseitigt, an seine Stelle ist sein Knecht getreten, nur auf Wangerooge, an der ostfriesischen Grenze und in Butjadingen hat sich bis heute »Sünner Klas« einigermaßen behauptet. Im Jeverland erscheint Knecht Ruprecht einige Zeit vor Weihnachten auf einem Schimmel und läßt die Geschenke herabfallen. – Vor 70 Jahren war der Nikolaustag im Münsterlande noch ein hoher Festtag. Er war der eigentliche Bescherungstag im Winter, der die Kinder vorher wochenlang in Aufregung hielt. In den Schulen wurden lange vor dem Feste die Unterrichtsstunden mit einem überall bekannten Nikolausliede geschlossen:


Laßt uns froh und munter sein

Und uns heut im Herrn erfreun.

Lustig, lustig, trallalera,

Bald ist Nikolaus-Abend da.


Gleich ist unsere Schule aus,

Dann gehn wir vergnügt nach Haus.

Lustig usw.


Dort setz ich den Teller hin,

Nikolaus legt gewiß was drin.

Lustig usw.


Wenn ich schlaf, dann träume ich,

Jetzt bringt Nikolaus was für mich.

Lustig usw.


Wenn ich aufgestanden bin,

Lauf ich schnell zum Teller hin.

Lustig usw.


O! was hab ich schönes all,

Vater! Mutter! seht einmal.

Lustig usw.


Nikolaus ist ein guter Mann,

Dem man nicht genug danken kann.

Lustig usw.[29]


Nun will ich recht artig sein,

Gott und Eltern stets erfreun.

Lustig usw.


Am Abend vor dem Nikolausfeste gingen drei weißgekleidete junge Leute, der eine mit einer Bischofsmütze auf dem Haupte, nach allen Häusern, worin Kinder waren. Die Begleiter trugen der eine einen Korb mit Backwaren, Äpfeln, Nüssen, der andere eine Rute. Der als Bischof Verkleidete forderte die Kinder auf, zu beten, ermahnte und tadelte und teilte darauf seine Gaben aus. Wo er es angebracht hielt, drohte er mit der Rute oder strafte damit.


Kindersprüche auf Nikolaus:

Vater unser, der du bist,

Ich weiß nicht wo mein Messer ist,

Ich wollt gern ein Stück Brot abschneiden,

Sonst muß der arme Nikolaus Hunger leiden.


Oder:


Heiliger Nikolaus komm,

Denn wi sünt ja fromm,

Bring us schöne Gaben,

Dei wi gerne haben,

Heiliger Nikolaus komm.


Wenn die Glocke sieben schlägt,

Kommt Sankt Nikolaus angefegt,

Mit dem dicken Besenstiel

Schlägt er die Kinder viel zu viel,

Gar zu viel ist ungesund,

Sankt Niklas mach' es nicht zu bunt.


(Dinklage. Alte Leute wissen zu erzählen, daß früher der verkleidete Nikolaus mehr Schläge ausgeteilt habe als Äpfel und Nüsse. Vorstehende Klage erinnert an diese Zeit.)


Oder:


Sünner Klas, en Edelmann,

En Edelmann is he,

He hat en Brock (Mantel) von Korinthen an,

En Rock von Riesebrei,

Sin Ogen sünt Rosinen,[30]

Sin Hoar van Seutholt,

Sin Lippen sünt van Zuckergaud,

Sin Wangen sünt van Gold.


(Friesische Wede, an der ostfriesischen Grenze. Die Kinder bekommen bei ihrem Singen von Haus zu Haus Pfeffernüsse geschenkt.)


Oder:


Sünner Klas du gaude Blaut,

Brink mi'n bitsken Zucker,

Nich tau väle, nich tau minn,

Schmit' mi't man in'n Schoot herin.

(Löningen.)


Oder:


Sünt Nikolaus, du gaude Blaut,

Gif mi'n End van 'n Zuckerhaut,

Woll tau väle, nich tau min,

Schmit mi't man tau'n Schoot herin.

(Bunnen, vgl. 327.)


Oder:


Die Winde sausen um das Haus,

Da erzählt der Vater von Nikolaus.

Ihr Kinder hört: Ich hab's vernommen,

Daß bald St. Nikolaus wird kommen.

Er ist bereits auf seiner Fahrt, euch zu besuchen,

Die Knaben zu sehen und die Mädchen,

Was sie gelernt haben im verflossenen Jahr,

Als beten, singen, schreiben und lesen,

Und ob sie auch hübsch artig gewesen,

So wird er sie beschenken mit seinen Gaben.


Vor dem Zubettegehen setzten die Kinder Teller auf den Tisch, damit der hl. Nikolaus während der Nacht seine Gaben hineinlege. Die meisten konnten vor Aufregung nicht schlafen, und welcher Jubel am andern Morgen, wenn die Teller gefüllt waren. Ursprünglich waren es Gaben, die auch abends vorher durch den verkleideten Nikolaus verteilt waren: Äpfel, Nüsse und Nikolausgebäck (Backwerk in allerlei Gestalten: Männer, Frauen, Pferde, Hasen, Hirsche usw.). Als Bonifazius in den deutschen Gauen das Christentum predigte, eiferte er gegen die »Götzenbilder aus Mehlteig« und verbot strenge deren Anfertigung. In dem Nikolausgebäck, heute verfeinert als Spekulatien im Handel, haben sich die Götzenbilder aus[31] Mehlteig erhalten. Ebenso verbot Bonifazius »Götzenbilder aus Holz oder Alraunwurzel geschnitzt« und mit Kleidern umgeben, also Figuren, die heute die Mädchen in Gestalt von Puppen bekommen. Später wurde es nämlich Sitte, die ursprüngliche Bescherung zu erweitern. Schulbücher, Kleidungsstücke, Puppen usw. lagen neben den bisher üblichen Gaben auf den Tellern. Ein Beschenken auf Weihnachten war noch nicht Mode. Jetzt ist der Nikolaustag als Geschenktag mehr und mehr abgekommen, an seine Stelle ist das Weihnachtsfest getreten, nur in Holland und Belgien steht er noch in Blüte. In Städten wie Friesoythe, Vechta und Cloppenburg und stellenweise auf dem Lande wird man an den alten Nikolaustag noch insofern erinnert, als Kindern eine Spende verabreicht wird, und am Vorabende verkleidete Kinder oder halbwüchsige Jungen durch die Straßen ziehen und in einem oder anderen Hause ihre Späße machen. In Butjadingen geht ein verkleideter »Sünner Klas« in der Zeit vor Weihnachten von Haus zu Haus, fordert zum Beten auf und beschenkt die, welche der Aufforderung Folge leisten. Wer nicht betet, erhält Schläge mit einer Gerte. Vgl. 327.

Lebte der alte segenspendende Wodan im Jeverlande als Knecht Ruprecht fort, im Münsterlande als St. Nikolaus, dann war er anderswo der Weihnachtsmann, auch hl. Christ genannt. Auch der Weihnachtsmann, der zu Weihnachten seine Geschenke an die Kinder austeilte, kam auf einem weißen Schimmel herangeritten. Auf der Osternburg und anderswo (Ostfriesland) pflegten die Kinder am Weihnachtsabend dem Pferde Heu hinzulegen, dann halte der Weihnachtsmann länger an und packe mehr Geschenke ab. In der Umgegend von Vechta legten die Kinder einen Bündel Heu vor die Türe für den Esel des Christkindes. Hatten die Hausgenossen das Heu bei Zeiten beseitigt, dann war es vom Esel gefressen. (Veranlassung an einen Esel zu denken, haben wohl die Krippen-Darstellungen gegeben.)


Kinderreime:

Up einen blanken Schimmel

Hendoahl van'n Himmel

Över Regenboagen

Kummt Christkindken getoagen.

Sünte Peter röhrt de Schötteln,

Un sine güldene Schötteln[32]

Rullet över den Regenboagen,

Un herdoal kummt getoagen

Up en blanken Schimmel

Christkindken van'n Himmel.


Backwaren in Gestalt von Tieren und Menschen waren auch die Hauptgaben des Weihnachtsmannes. Rosinen und Korinthen mußten im Gebäck Augen, Mund und Nase ersetzen. Im Jeverland und Ostfriesland war besonders beliebt ein Schwein aus Semmelteig mit Korinthen, acht bis zehn Zoll lang. Beigegeben wurde ein kleiner Trog nebst Messer und Leiter, alles aus Holz geschnitzt, damit das beschenkte Kind das Schwein schlachten könne. Die Bescherung zu Weihnachten erfolgte stets am Abend vor dem Feste oder am Morgen des Tages.


Kinder beteten vor Weihnachten zum Weihnachtsmann:

Heili Christ, du gaude Mann,

Klopp an alle Doeren an,

Lütje Kinner brink he wat,

Grote Kinner kriegt 'n Klapp.


Der Tannenbaum ist erst zu Ende des 18. Jahrhunderts hier aufgekommen. Er nahm seinen Zug von Osten nach Westen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts tauchte er in Westfalen auf. In den 50er Jahren war er hierorts nur in den Häusern der sogenannten Honoratioren zu finden.

In der Gemeinde Löningen wird in der Adventszeit abends von Schulknaben und jungen Burschen das Mittewintershorn geblasen. Dies soll an das Blasen der Hirten, die bei der Geburt Christi auf dem Felde wachten, erinnern. Am heftigsten tobt der Kampf in der Weihnachtsnacht, wenn die Schläfer zum Frühgottesdienst geweckt werden. Hat die Christmesse begonnen, dann ist das Blasen zu Ende. Früher ist auch in der Weihnachtsnacht in der Kirche das Horn gebraucht, hauptsächlich von Schäfern, die das Blasen als ihr Vorrecht ansahen. Der Brauch wurde um 1804 unterdrückt. Vgl. Jahrbuch für die Geschichte Oldenburgs, 13. Heft, 1904.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 28-33.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg
Aberglaube Und Sagen Aus Dem Herzogtum Oldenburg (Paperback)(German) - Common
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg: Erster Band

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon