Fünfte Szene

[13] Robert. Heinecke. Später Frau Heinecke.

Robert und Heinecke schweigen.


ROBERT die peinliche Stimmung niederkämpfend. Die Schachteln klebst du auch noch, Vater?

HEINECKE. Immerzu kleb ich se.

ROBERT. Und der Arm hindert dich nicht?

HEINECKE. Der Arm, hahaha, der Arm! Willst du sehen, wie ich klebe? Zuerst die Pappe – so – dann die Falze – so! Läßt mit großer Geschwindigkeit den Pinsel über ein paar Pappplatten gleiten, die er mit dem Ellbogen des linken Armes fest aneinanderstreicht. Wer macht mir armen Krüppel das nach?

ROBERT. Du bist ein Tausendkünstler.

HEINECKE. Bin ick ooch! Aber wer erkennt des an? Wer ästimiert mir? Keiner ästimiert mir! Natürlich, wo soll bei de Fräuleins – die eine ist ja nu Madam – die Achtung herkommen, wenn die eigne Mutter mit so schlechtem Beispiel vorangeht?

ROBERT unwillig. Vater!

HEINECKE. Ja du, du bist weit vom Schuß! Aus de Ferne sieht sich das allens wunder wie schön an! Da heißt es: teures Mütterlein und holdes Schwesterlein! – Aber sähest du nur zu, was ich alles aus halten muß! Nicht einmal das Pferdebahngeld gibt sie mir, wenn ich in die Stadt zu Biere will.

ROBERT. Vater, tust du ihr nicht Unrecht? Hegt sie dich nicht wie ihren Augapfel?

HEINECKE. Jott, ick will ja nischt gegen sie gesagt haben, aber ... pscht, sie kommt!

FRAU HEINECKE mit der dampfenden Kaffeekanne. Nimm Platz, Robertchen! Ne, hier uf den Fotölch! – Wart ein biscken! Reißt die Überzüge herunter. So ein vornehmer Herr muß auf pure Seide sitzen.

ROBERT. Himmel, was für 'ne Pracht![13]

FRAU HEINECKE. Ja, und der andere is ebenso. Zwei Stück haben wir. Und hast du dir den Trimo schon angesehen? Lauter joldene Ranken und das Glas aus einem Stück. Aujustens Mann sagt, der kost't mindestens 200 Mark.

ROBERT. Wo habt Ihr diese Herrlichkeiten her?

FRAU HEINECKE. Vom Herrn Kommerzienrat.

ROBERT. Der macht Euch solche Geschenke?

HEINECKE. Na eigentlich –

FRAU HEINECKE leise. Pscht! Weißt du nich, daß Herr Curt nicht genannt sein will? Laut. Ja, vorigen Weihnachten gab's den Trimo und diesen Weihnachten gab's die Fotölchs. Vater, bohr nicht so im Napfkuchen rum.

ROBERT. Aufrichtig! Diese Art der Freigebigkeit will mir nicht behagen.

FRAU HEINECKE gießt Kaffee ein. Für manchen passen so feine Sachen auch nicht. Aber wenn so noble Besuche einen beehren und man einen so vornehmen Herrn zum Sohne hat und eine Tochter, die so furchtbar talentvoll ist – –

ROBERT. Alma?

HEINECKE. Jawoll! Wir haben für unsere Tochter getan, was in unsern Kräften stand.

FRAU HEINECKE. Und du hast ja auch immer fleißig geschickt –

ROBERT. Damit sie eine gute Schule besuchen konnte und dann Putzmachen und Buchführung lernen, so war es ja bestimmt. –

FRAU HEINECKE. Gewiß. Früher!

ROBERT. Und jetzt? Hat sie ihre Stelle nicht mehr?

FRAU HEINECKE. Schon seit sechs Monaten nich.

ROBERT. Was treibt sie jetzt?

HEINECKE stolz. Sie bildet sich für den Jesang aus.

ROBERT. Ich habe nie erfahren, daß Alma musikalisch ist.

HEINECKE. Ungeheuer!


Man trinkt Kaffee.


FRAU HEINECKE. Sie hat sich prüfen lassen bei eine italienische[14] Sängerin – Sinjohre oder so – die sagt, so was wär noch jar nicht dagewesen und sie würde sich's zur Ehre rechnen, Alma'n umsonst auszubilden.

ROBERT. Aber sagt, wie habt Ihr mir das alles verschweigen können?

FRAU HEINECKE. Jott, bis nach den heißen Indien is es so weit, da vergißt sich dies und jenes. Und dann haben wir dich überraschen wollen.

ROBERT steht auf und geht erregt auf und nieder. Auguste beschützt sie doch nach Kräften?

FRAU HEINECKE. Natürlich. Sie läßt keen Ooge von ihr ab. Alma ißt bei ihr und übt bei ihr und wenn es abends zu spät wird für die Pferdebahn, schläft sie ooch bei ihr – wie eben diese Nacht.

ROBERT. Und wenn sie abends fortbleibt, so beunruhigt Euch das nicht?

HEINECKE. He, he! Großes Mächen!

FRAU HEINECKE. Da wir sie bei Aujusten so gut ufgehoben wissen! Sie könnten übrigens schon da sein, denn der Milchwagen hat in der Früh' den Brief an sie mitgenommen. Das wird ein Jubel sein!

ROBERT. Und Auguste lebt glücklich?

FRAU HEINECKE. Wie man's nehmen will. Er sauft ein bißken und arbeeten möcht' er wohl ooch nich, aber –

HEINECKE. Aber mucken und Schkandal machen – des kann er.

FRAU HEINECKE. Im Janzen scheint es ihnen doch recht jut zu jehn. Aujuste hat zwei Zimmer hochherrschaftlich ausmöbliert und an einen feinen Herrn aus Potsdam vermietet, der manchmal dort absteigt, aber bezahlt fürs volle Monat. Das bringt manchen schönen Groschen. Für den Morgenkaffee allein gibt er 'ne Mark. Zum Fenster gehend. Dort kommt sie an, und den Mann hat sie ooch mitgebracht.

ROBERT. Wie? Alma ist nicht mit ihr?[15]


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 13-16.
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