Zehnte Szene

[57] Arratos. Philarete.


PHILARETE stammelnd, fassungslos.

Ich will – Menesto will ich rufen –

Damit sie mich geleite.

ARRATOS.

Bleib! Ich bitte!

Unwürd'ges Fragespiel vor aller Welt!

Zudem – wie leicht verfielst du Gauklerkünsten,

Die mit gefälschter Botschaft dich umgarnen!

Ich will den – da – verhören lassen – strafbar

Ist er gewiß – und mit dem nächsten Schiffe

Beiseite tun.[57]

PHILARETE.

Du, Mann, jetzt höre mich!

Seit Jahren wandl' ich neben dir in Stummheit,

Und meiner Seele Haus hab' ich verschlossen

Mit tausend Schlössern. Jetzo spreng' ich sie.

Daß ich Verbrechen, todeswürdige,

Beging, als ich mich deinem Willen gab

– Denn jenem einzigen war ich geweiht –,

Davon will ich nicht reden, dieses trifft

Mich ganz allein. Doch wenn du jemals wähntest,

Daß, weil ich um dich war in wacher Sorge,

Weil ich dein Bett geteilt und deine Nöte,

Daß darum dir von dieses Herzens Fülle

Mehr als ein Überrest, ein Armutsopfer

Zu eigen ward, so täuscht sich deine Mannheit

Denn ihm gehör' ich ganz – so heut' wie je –

Doch nicht in Sehnsucht mehr, nicht mehr in Liebe,

Die willenlos nach Unsichtbarem greift –

Angst ward mein Wesen, Angst und nichts als Angst,

Angst, daß er leb', Angst, daß er eines Tages –

Als Rächer nicht, denn seine Rache soll

Willkommen sein – o nein, in stummem Jammer

Als Freund und Mahnender so vor mir stehe,

Wie du hier stehst

Und nun, da hergesandt aus dunklen Landen

Eine Bote naht, der Frieden mir verheißt –

Da sträubst du dich und spinnest Ränke? Wahrlich,

Kannst du mit eignem Werke nicht den Mann

Vergessen machen, der mir alles war,

So hol dir einen Helfer! Ich dafür[58]

Gelobe dir: Wenn ich erst wieder lebe

– Vielleicht werd' ich lebendig, weil er tot –,

Dann will ich – ja doch – lieben will ich dich

Und lachen will ich wieder lernen – und –

Zutraulich will ich sein – und – mich – kleinmachen –

So klein, wie jener groß war, dessen Sterben

Mich jetzt befreien soll. Versteh mich gut

– Die Zukunft klammert sich in diese Stunde –

Und schaff ihn her, den blinden Mann – hierher,

Daß ich ihn fragen möge, zeugenlos.

Erfüllst du mein Verlangen?

ARRATOS nach einem Schweigen.

Dein Verlangen

Soll alsobald erfüllt sein. Noch vor Nacht

Wird er an dieser Stätte stehn.

PHILARETE.

Hab Dank!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 57-59.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon