Zweite Szene

[138] Die Vorigen. Neun verschleierte Mädchen, mit den Sinnbildern der neun Musen, unter ihnen Phaino, Strution, treten in langsamem Zuge ein.


DIOKLES.

Entschleiert euch und werdet, was ihr seid!


Die Mädchen wenden die Köpfe zueinander.


Ihr zögert noch?

DIE ERSTE.

Und unser Wechselsang?

DIE ZWEITE.

Und unsers Reigens wohlgefügtes Spiel?

DIE DRITTE.

Du selbst hast ihn geübt. Du selbst gedachtest

Im Zitherspiele dich hervorzutun!

DIOKLES.

Entschleiert euch und legt euch zu uns Helden!

DIE MÄDCHEN schlagen murrend die Schleier zurück. Freudige Ausrufe des Erkennens von seiten der Jünglinge.

EINER.

Melissa, du!

EIN ZWEITER gleichzeitig.

Du hier, Stratyllis?[139]

EIN DRITTER.

Lypta,

Hierher!

LYSIMACHOS gleichzeitig.

Ortaia, komm!

HERMACHOS.

Chalkiope,

Auch du?

EINS DER MÄDCHEN.

Auch du, mein Hermachos!


Alle haben sich verteilt. Nur zwei, die stolze, dunkle Phaino und die blonde, zarte Strution sind vorne stehen geblieben.


PHAINO sich umwendend.

Und mir,

Der braunen Phaino, bietet sich kein Freund?

ARTEMIDOR trocken.

Das Gastrecht dieser Kissen gönn' ich dir.

PHAINO.

Das Gastrecht meines Mundes weigr' ich dir.

ARTEMIDOR.

Ich will's ertragen, schöne Phaino.

PHAINO.

Sei's!


Sie legt sich zu ihm.
[140]

STRUTION nach Diokles hin, weinerlich.

Ich als Urania muß diese schwere

Weltkugel schleppen. Keinen kümmert's, keiner

Begrüßt mich. Ludst du mich, um mich zu kränken?

DIOKLES.

Strution, armer Spatz, was schielst du noch

Hierher? Vergeudet ist der letzte Brocken,

Den man mir jüngst von meinem Eignen zuwarf,

Und morgen werd' ich ärmer sein als du.

STRUTION.

Was schert das mich?


Sie will sich zu ihm setzen.


DIOKLES.

Halt ein! Der Platz gehört

Nicht dir.

STRUTION.

Wem sonst?

DIOKLES.

Noch einen Gast erwart' ich.

STRUTION eifersüchtig.

Ein Weib?

DIOKLES schüttelt den Kopf.

STRUTION.

Dann will ich hier am Boden sitzen![141]

DIOKLES.

Auch wenn der Mann an deiner Seit' ein Bettler,

Ein schmutz'ger, blinder Bettler ist?

HERMACHOS.

O hört

Die Tollheit! Einen blinden Bettler gibt er

Zum Tischgenossen uns!

LACHENDE RUFE.

Was? Einen Bettler?

ARTEMIDOR aufspringend.

Denselben, der beim Achradina-Tor

In dreistem Fragespiel an meinen Vater

Sich drängte? Unglücksel'ger, sprich ein Ja!

Wag es zu sprechen!

DIOKLES lachend.

Wenn auf Erden mir

Nicht mehr zu wagen bliebe als dies Ja!

LYSIMACHOS zu Artemidor.

Nun wandl' ihn doch! Es scheint mir hohe Zeit.

ARTEMIDOR in kaltem Zorne.

Und hohe Zeit, daß ich mit dir, den ich

Bis heut' als Bruder grüßte, dir, des besten,

Liebreichsten Pflegers dünkelhaftem Sohn – –[142]

PHAINO die sich halb erhoben hat.

Ihr Schwestern! Diese Männer wissen nicht,

Was Groll dem Weine, Zank dem Liebreiz, Sturm

Dem Hauch der Frauennähe schuldig ist.

ARTEMIDOR.

Gib Frieden, schöne Phaino. Meine Schuld

Bezahlt mein Schweigen.

DIOKLES Artemidor mit den Blicken messend.

Und mein Schweigen werf' ich

Als Gastgeschenk noch obendrauf.

KTESIAS.

Zudem,

Wenn man's erwägt, ihr Freunde, jener Bettler

– Ich hört' ihm zu und stehe für mein Wort –

Ist an Ergötzlichkeit ein Kleinod, das

– Die schöne Phaino woll' verzeihn! – der Frauen

Hauchsüße Nähe fast entbehrlich macht.


Zurufe lachenden Zweifels.


Noch keinen Lustigmacher fand ich, dessen

Von Hohn getränkte Wortflut so aufklatschend

Den Ernst, dem sie entquoll, erraten ließ.

DIOKLES vor sich hin, leise.

Wenn du die toten Helden heiß beklagst –[143]

KTESIAS.

Drum Dank dir, Diokles –

DIOKLES hochauffahrend, laut ihm ins Gesicht.

Beklagst du nicht

Den Feldherrn, der sie führte?

STRUTION aufspringend.

Lieber, was – –?

WIRRE RUFE.

Er ist von Sinnen!

STRUTION ihn streichelnd.

Werde ruhig!


Auch andre bemühen sich um ihn.


KTESIAS.

Laßt!

Der Spruch des Blinden, scheint es, wühlt in ihm.

ARTEMIDOR.

Und so wird's klar, weshalb er ihn geladen.

DIOKLES.

Geladen – ja ... doch nicht geleitet Und –

Karthager lieben dunkle Gassen. Mago,

Des Herrschers Freund, den er dem Volksgespötte – –[144]

– – Horch! Welch ein Lärm erhob sich vor dem Hause?


Man hört das dumpfe Geräusch vieler Stimmen.


Ihr Diener! ... Still! Klang nicht das Außentor?


Die Tür des Hintergrundes wird geöffnet.


Dank sei den Göttern, die dich hüteten!


Er stürzt nach hinten.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 138-145.
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